Ein Leben aus Ideen – und jetzt?

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Von Albert le Vice – Seit September 2011 habe ich an die­ser Stelle zu erzäh­len ver­sucht, was es eigent­lich heisst, hier­zu­lan­de – und heu­te – ein gan­zes Leben von Ideen abhän­gig zu machen. Ideen. Darunter ver­steht man ja land­läu­fig irgend­wel­che Einfälle, die irgend­wem per Zufall durch den Kopf gei­stern. Und wer von Ideen leben will gilt als Spinner, allen­falls als bun­ter Vogel, der sich zwar recht hübsch aus­nimmt im Grau unse­res Alltags, wel­cher mitt­ler­wei­le zu einem Büroalltag gewor­den ist. Dass aber Ideen, auf die die­ser bun­te Papagei zu bau­en vor­gibt, sogar selbst für einen grau­en Alltag von Bedeutung sein könn­ten, wol­len wir schon gar nicht gel­ten las­sen. Darauf sagt dann jeder und jede ziem­lich schnell und über­zeugt, sol­ches sei zwar schön und gut, aber… Und bald kommt dann auch die Begründung des «Aber»: Man sei halt Realist und stün­de mit bei­den Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit. Und schon klebt dem Ideenmensch die berühm­te «Zwei» am Rücken, er muss sich recht­fer­ti­gen und hat zu bewei­sen, dass sei­ne Vorstellungen durch­aus Hand und Fuss haben. Gelingen wird ihm das nie, denn was der sagt – egal was es ist – betrach­tet man skep­tisch, um nicht zu sagen ableh­nend.

Natürlich, es gibt auch Leute, die etwas dif­fe­ren­zier­ter in die Welt schau­en; und die­se dif­fe­ren­zier­te Sicht will ich jetzt, in mei­ner letz­ten ensuite-Geschichte, zum Thema machen. In einer Art kri­ti­scher Bilanz will ich das, was ich Ihnen, lie­be Leserin, erzählt habe, zu wer­ten ver­su­chen: Ideen in der Schweiz, unter wel­chen Umständen wer­den sie Realität, unter wel­chen ver­schwin­den sie sang- und klang­los in irgend­wel­chen Schubladen? Generell gese­hen ist die Antwort rela­tiv ein­fach: Ideen, pri­vat ent­wickelt, pri­vat umge­setzt und wirt­schaft­lich erfolg­reich, sind in der Schweiz akzep­tiert, manch­mal sogar geschätzt. Überschreiten sie aber den Rahmen des Privaten, also: kosten sie bei­spiels­wei­se mehr, als die Einzelne auf­zu­brin­gen ver­mag, wird es schwie­rig – eigent­lich fehlt dafür schlag­ar­tig das öffent­li­che Interesse, zumin­dest im Normalfall.

Dazu mein erstes kon­kre­tes Beispiel: Das schie­fe Theater. Das schie­fe Theater war ein Erfolg: Über 1’100 Vorstellungen euro­pa­weit, mehr als hun­dert­tau­send Zuschauer auf einer Tournee von sie­ben Jahren in über sech­zig Städten. Dieses schie­fe Theater wäre nie ent­stan­den, wenn es da nicht zwei Typen (spä­ter kamen noch zwei Typinnen dazu) gege­ben hät­te, die davon über­zeugt waren, dass das, was sie zu bie­ten hat­ten, auch öffent­lich gut, also berech­tigt war. Wären sie also nicht bereit gewe­sen, Kopf und Kragen aufs Spiel zu set­zen, wäre die­ses klei­ne, fah­ren­de Theaterhaus nie gebaut wor­den, und nie auf eine so lan­ge Tournee gegan­gen. Es wäre aber auch nie ent­stan­den, wenn da nicht im Hintergrund ein Vater und eine Mutter Bürgschaft gelei­stet, also der Idee die­ser jun­gen Typen ver­traut und ein beträcht­li­ches Risiko mit­ge­tra­gen hät­ten. Und es wäre eben­falls nicht ent­stan­den, wenn nicht eine Bank (mit eben der erwähn­ten Bürgschaft im Hintergrund) das nöti­ge Geld, das eine sol­che Idee zwangs­läu­fig nötig hat, vor­ge­schos­sen hät­te. Trotzdem und in einem Wort: Eine Idee, die mit pri­va­ten Mitteln rea­li­siert wer­den kann, hat in der Schweiz eine Chance.

Doch damit ist noch nicht alles gesagt, was in die­ser Frage auch gesagt wer­den muss. Trotz des pri­va­ten Engagements hat auch die­se Geschichte ihre öffent­li­che Seite, die weder in den zustän­di­gen öffent­li­chen Instanzen noch in den Medien zur Kenntnis genom­men und ernst­haft dis­ku­tiert wird, die Frage näm­lich nach dem öffent­li­chen Interesse an einem sol­chen Unterfangen. Wie ist das nun genau mit die­sem Interesse einer Stadt, die sowas braucht, damit sie leben­dig wird, respek­ti­ve leben­dig bleibt? Liegt es dann nicht in ihrem urei­ge­nen Interesse, dass so etwas wie ein schie­fes Theater über­haupt ent­ste­hen kann? Unsere kon­kre­te Erfahrung: Jede öffent­li­che Instanz fin­det bei einer hand­fe­sten Nachfrage nach Unterstützung für ein sol­ches Vorhaben viel­fäl­ti­ge, schö­ne Worte, mut­ma­chen­de Floskeln und unend­lich vie­le Gründe fürs Abwimmeln sol­cher Anliegen. Vor allem natür­lich, wenn die Gesuchstellerin noch kei­nen Namen hat.

Nein, ein schie­fes Theater, das auf Hilfe von aus­sen gesetzt hät­te, wäre nie ent­stan­den – aus Angst der Angesprochenen vor dem mög­li­chen Misserfolg – und natür­lich aus grund­sätz­lich finanz­po­li­ti­schem Geiz, der bei uns ja System hat. Geld geht vor in der öffent­li­chen Schweiz, selbst wenn es offen­sicht­lich ist, dass eine gute Idee dem Leben in der Öffentlichkeit gut täte.

Diese Erkenntnis haben wir also mit dem schie­fen Theater gelebt; und wir haben unse­ren Weg gefun­den. Ihren Weg suchen die Eidgenossen noch immer, und ver­pas­sen beim ewi­gen Suchen die gros­sen Chancen. Also, wie gesagt, Ideen haben in der Schweiz eine Chance, wenn sie pri­vat getra­gen und erfolg­reich sind.

Doch wie ergeht es Ideen, die expli­zit für die Öffentlichkeit gedacht sind, und des­halb unver­zicht­bar auf eine enga­gier­te und kom­pe­ten­te Öffentlichkeit ange­wie­sen sind? Nach mei­ner Erfahrung geht es sol­chen Ideen ziem­lich eigen­ar­tig, näm­lich so, wie ich es in mei­ner Geschichte über den Berner Geburtstag erzählt habe. Diese Geschichte aller­dings muss man, um ihre Brisanz zu ver­ste­hen, mit jener um «Hans Sachs in allen Gassen» ver­glei­chen. Der Vergleich zeigt näm­lich, dass sich in die­ser Geschichte ein Problem mani­fe­stiert, wel­ches mit unse­rer Auffassung von Demokratie zusam­men­hän­gen muss: «Hans Sachs in allen Gassen», in Nürnberg, also in Deutschland rea­li­siert, ist geglückt, «Der Berner Geburtstag» in der Schweiz, und ver­mut­lich in den Köpfen einer Behörde, geschei­tert.

Wo liegt der Unterschied? In Nürnberg kam der Anstoss zum Fest vom Oberbürgermeister, respek­ti­ve vom Amt des Oberbürgermeisters. Er hat­te fest­ge­legt, dass die Ehrung von Hans Sachs die Stadt Nürn­berg was angin­ge, und er beauf­trag­te den Kulturreferenten, die­se Angelegenheit an die Hand zu neh­men. Mit ande­ren Worten: der Auftrag, Hans Sachs zu ehren, war nicht der Spleen irgend­ei­nes Beamten oder Politikers, son­dern eine Angelegenheit, die die Stadt etwas anging, und der die Stadt ent­spre­chend Gewicht geben woll­te. Im Gegensatz dazu spiel­te sich das Drum und Dran um den «Berner Geburtstag» wie eine Geheimoperation ab: Da mel­de­te sich bei mir der Polizeidirektor, offen­bar für die­ses Vorhaben zustän­dig, und erteil­te mir den Auftrag, ein Grundkonzept aus­zu­ar­bei­ten. Keine öffent­li­che, offi­zi­el­le Ankündigung des Vorhabens, kei­ne Medienmitteilung, kei­ne öffent­li­che Diskussion. Und am Ende, als das Konzept vor­lag, kein Wort an den Autor, kein posi­ti­ves, kein nega­ti­ves, nur Stillschweigen – und natür­lich auch kei­ne offi­zi­el­le Äusserung für die Öffentlichkeit.

Was mani­fe­stiert sich da?

Zwei Städte. Beide auf der Suche nach einer guten Idee für einen wich­ti­gen öffent­li­chen Anlass. Die eine Stadt führt einen ein­ge­hen­den Diskurs mit allen denk­ba­ren Gremien und in allen ver­füg­ba­ren Medien, die ande­re druckst in Geheimniskrämerei umher, als hand­le es sich bei die­sem Unterfangen um einen gehei­men Deal mit der Mafia.

Diese bei­den Beispiele machen deut­lich, wie die Einen einen ganz natür­li­chen Umgang mit Ideen pfle­gen, wäh­rend die Anderen gera­de­zu unter para­no­iden Berührungsängsten zu lei­den schei­nen, wenn es um Kultur, wenn es um Ideen geht, mit­tels derer man einen beson­de­ren Anlass der Stadt adäquat und viel­leicht sogar unkon­ven­tio­nell fei­ern könn­te. Dies das Eine. Dazu kommt jetzt aber noch ein wei­te­rer Aspekt des öffent­li­chen Umgangs mit Ideen: Bekanntlich sind Ideen, gera­de wenn sie noch sehr jung sind, ziem­lich fra­gi­le «Gebilde», und so kommt es dann halt schon dar­auf an, wie wer damit umgeht, wie eine Behörde bei der Beurteilung vor­geht und die Idee anschlies­send durch die öffent­li­che Debatte hin­durch­trägt. In Nürnberg hat­te ich das Glück, auf einen Referenten zu tref­fen, der kul­tu­rell sehr erfah­ren war, und fürs Überraschende, Unkonventionelle einen aus­ge­spro­che­nen Riecher hat­te. Im Gegensatz dazu mein Gesprächspartner in Bern: Ein typisch schwei­ze­ri­scher Politiker, ein soge­nann­ter Generalist, wahr­schein­lich Jurist von Haus aus, theo­re­tisch über­all ein­setz­bar und kaum geübt im Umgang mit Ideen. Dass so jemand Mühe hat beim Beurteilen von Gedankengängen, die das Ungewohnte suchen, liegt eigent­lich auf der Hand. Das heisst aber mit ande­ren Worten, dass es ein Zufall ist, wenn so jemand beim Beurteilen von Ideen inner­lich sicher ist und instink­tiv spürt, was mit einer Idee los ist, und was sie einer Stadt brin­gen könn­te. Damit will ich sagen, dass unse­re poli­ti­schen Strukturen, die den Laiengedanken über alles stel­len, denk­bar schlecht sind in Auseinandersetzungen mit Gedanken, die etwas ande­res suchen als die Bestätigung des gemein­hin Üblichen und Gängigen. Zwangsläufig wer­den unter sol­chen Voraussetzungen Ideen, die wei­ter­füh­ren, sehr schnell als uto­pisch (sprich: undurch­führ­bar), als fremd, als irgend­wie stö­rend emp­fun­den, und des­halb rascher als nötig als uner­wünscht abge­tan. So etwas hat aber Auswirkungen auf unser Zusammenleben in der Öffentlichkeit, und genau so wer­den mög­li­che Entwicklungen ver­passt, die unter Umständen aus einer ver­schla­fe­nen eine leben­di­ge Stadt machen könn­ten.

In die­sem zwei­ten Abschnitt habe ich jetzt eine Antwort auf die Frage gesucht, wie es hier­zu­lan­de Ideen ergeht, die aus­schliess­lich für die Öffentlichkeit gedacht sind. Nach mei­ner Erfahrung haben sie es des­halb auf­fäl­lig schwer, von den zustän­di­gen Behörden in ihrer Bedeutung wahr­ge­nom­men zu wer­den, weil deren Wahrnehmungsfähigkeit für Ungewöhnliches in der Regel unter­ent­wickelt ist. Generell haben unse­re Behörden Mühe im Umgang mit Ideen und begeg­nen ihnen des­halb mit Skepsis, also meist ableh­nend. Dazu kommt, dass in unse­ren poli­ti­schen Strukturen wahr­schein­lich der Chef fehlt, der für die Stadt wich­ti­ges im Voraus fest­le­gen kann.

Ideen in der Schweiz: Drei Spielarten, drei Projekte: Das schie­fe Theater, der Berner Geburtstag, resp. Hans Sachs in allen Gassen, das klei­ne Freudenhaus. Jetzt also die drit­te Spielart: Das klei­ne Freudenhaus. Auch die­se Geschichte habe ich Ihnen, lie­be Leser, aus­führ­lich erzählt. Jetzt geht es mir um jene Realität, mit der eine ziem­lich kom­ple­xe Idee fer­tig wer­den muss. Zu Ihrer Erinnerung: Das klei­ne Freudenhaus geht ja davon aus, dass Kultur, wenn sie demo­kra­tisch, also von der Mehrheit einer Stadtbevölkerung, wahrge­nommen wer­den will, dass also eine sol­che Kultur nicht ein­di­men­sio­nal in ein­zel­nen Sparten, son­dern in drei kon­zen­tri­schen Kreisen agie­ren soll: In einem inne­ren Kreis, einem Kunstwerk, dann in einem zwei­ten, in der direk­ten Umgebung des Kunstwerks, und von Zeit zu Zeit, das Ganze erfas­send, in der gan­zen Stadt. Wie kommt so etwas in Gang? Wie kann das funk­tio­nie­ren?

Eigentlich ganz ein­fach: Ein Einzelner, oder natür­lich auch eine Einzelne, der, oder die sich ein sol­ches Werk vor­stel­len und es kon­kret auch umset­zen kann, lässt zuerst den inner­sten Kreis ent­ste­hen, also das Kunstwerk. In ihm soll, für ein auf­merk­sa­mes Publikum fühl- und nach­voll­zieh­bar wer­den, was das Gesamtwerk eigent­lich will; wie es von sei­nem Geist her gemeint ist und was es, kon­se­quent ange­wen­det und umge­setzt, dem Ganzen, also der Stadt, brin­gen kann.

Gleichzeitig über­legt sich der Autor des Gesamtwerks, wie die direk­te Umgebung des Werks, von des­sen Geist geprägt, kon­kret aus­se­hen könn­te. In der Idee des klei­nen Freudenhauses ist damit so etwas wie ein kul­tu­rel­ler Stadtpark gemeint, also ein Ort, der durch Ideen von Bürgern, die Hand (und Kopf) anle­gen wol­len, geprägt ist – ein poe­ti­scher Ort qua­si.

Dann, und das betrifft jetzt den drit­ten Kreis, wird die Grundidee noch ein­mal aus­ge­dehnt auf die gan­ze Stadt, indem von Fall zu Fall und von Anlass zu Anlass Ideen für aus­ser­ge­wöhn­li­che Feste ent­wickelt wer­den, die mehr sind als die übli­chen, ideen­lo­sen, soge­nann­ten Volksbelustigungen. Realisiert wird dies wie­der­um durch enga­gier­te Bürger, denen das Zusammenleben in der Stadt ein Anliegen ist.

Es geht also bei der Idee «klei­nes Freudenhaus» ums akti­ve Heranbilden einer auf eine bestimm­te Stadt bezo­ge­nen Kultur, die natür­lich mit der Zeit zum inne­ren und äus­se­ren Wahrzeichen die­ser einen Stadt wird. Die Idee «klei­nes Freudenhaus» ist daher – und dies zu beto­nen ist mir sehr wich­tig – nicht ein Modell, über­all eins zu eins anwend­bar, son­dern eine Vorgehensweise, die sich nach den ver­schie­de­nen Gegebenheiten vor Ort rich­tet. Soweit der gedank­li­che Hintergrund die­ser ziem­lich kom­ple­xen Idee.

Und wie sieht nun die kon­kre­te Seite eines sol­chen Unterfangens in der Schweiz, und am Ende in einer wirk­li­chen Schweizer Stadt aus?

Der inner­ste Kreis, das Kunstwerk (in die­sem Fall ein Theater der Sinne), wur­de zu genau dem, was es nach der Idee wer­den soll­te, und es wur­de zu einem gros­sen Erfolg.

Im zwei­ten Kreis (also in der Umgebung des Sinnentheaters) rea­li­sier­ten sich zwei Werke. Auch sie waren öffent­lich erfolg­reich. Allerdings: als es dann hand­fest ums Schaffen jenes oben erwähn­ten kul­tu­rel­len Stadtparks, der soge­nann­ten «Berntorgasse / Kulturgasse» ging, kam der bis anhin erfreu­li­che Prozess ins Stocken. Umliegende Gewerbebetriebe began­nen kon­kret zu oppo­nie­ren mit dem Ziel, die Kulturgasse zu ver­hin­dern. Und genau hier fehl­te jetzt die poli­ti­sche Instanz (im Nürnberger Beispiel von vor­hin waren das der Oberbürgermeister und der Kulturreferent), es fehl­te also die Instanz, die sich hin­ter das gan­ze Projekt stell­te und mit ihrer Autorität für des­sen wei­te­re Verwirklichung ein­setz­te. Das war das Ende mei­nes Wirkens in Thun, weil ich eben allein­ge­las­sen war. Und selbst­re­dend kam es auch nie zu einem für sich spre­chen­den, gros­sen Fest in Thun.

Was geschieht eigent­lich mit Ideen in der Schweiz? Das ist ja die Frage hier. Ist die Idee «klei­nes Freudenhaus» ins­ge­samt gelun­gen? Zum Teil, wür­de ich sagen. Gelungen ist, was ich selbst – und unab­hän­gig – rea­li­sie­ren konn­te. Es ist tat­säch­lich ein Theater der Sinne ent­stan­den, das es vor­her noch nicht gab. Und es ist beim Publikum gut ange­kom­men. Es war ein gros­ser Erfolg sowohl in Basel, in Thun, und im Gwatt-Zentrum. Acht Jahre hat die­ser Teil der Idee öffent­lich sei­ne Wirkung ent­fal­ten kön­nen – und wirt­schaft­lich ist die Institution «klei­nes Freudenhaus» in jener Zeit auch über die Runden gekom­men.

Dieses pri­va­te Gelingen hat­te aber auch sei­nen Preis: Dreizehn Jahre voll­be­ruf­li­cher Arbeit ohne Entgelt waren nötig, um das Theater, also den inner­sten Kreis, zu rea­li­sie­ren. Und es kamen recht hohe Investitionen für die Vorstellung sel­ber dazu. Möglich war das nur durch das Engagement mei­ner Frau, die mir durch ihre – in die­sem Fall bezahl­te – Berufsarbeit den Rücken für mei­ne von nie­man­dem bezahl­te Berufsarbeit frei­hielt. Das klingt roman­tisch – ich wür­de dem ent­ge­gen­hal­ten, das sei schwei­ze­ri­sche Realität.

Ja, und wo war im Entstehungsprozess die­ses letzt­end­lich öffent­li­chen Werks die öffent­li­che Hand, wo war das Engagement einer sich für so etwas enga­gie­ren­den Wirtschaft? Es war vor­han­den – aber eigent­lich immer erst dann, wenn im Entstehungsprozess gesi­cher­tes Terrain erreicht war. Im Klartext heisst das: Das klei­ne Freudenhaus wäre weder als Konzept noch als Werk je ent­stan­den, hät­te ich auf die tra­gen­de Mithilfe einer Öffentlichkeit oder jene der Wirtschaft gesetzt. In einem Wort: Die Idee «klei­nes Freudenhaus» war zu gross, um in der rei­chen Schweiz geför­dert zu wer­den. Sie war so gross, dass sie nur durch das Engagement von zwei lächer­lich klei­nen Leutchen rea­li­siert wer­den konn­te! Auch das ist hel­ve­ti­sche Realität. Ich sage das nicht bit­ter oder ver­bit­tert. Aber ich benen­ne die Realität. Und ich for­de­re all jene Menschen, die von sich behaup­ten, Realisten zu sein auf, die­se Realität auch ein­mal zu beden­ken – und dann viel­leicht auch ein­mal ent­spre­chend zu han­deln. Wir brau­chen ein neu­es Denken.

Trotzdem – und das set­ze ich expli­zit an den Schluss –: die Öffentlichkeit enga­gier­te sich durch­aus in die­ser Geschichte. Und das geschah wie durch ein Wunder, näm­lich durch ein öffent­li­ches Bedürfnis nach Kultur. Die eid­ge­nös­si­sche 700-Jahrfeier stand bevor. Auf einen Schlag brauch­te es jetzt brauch­ba­re Ideen – und jetzt war Geld vor­han­den (für ein Jahr!). Und als nach dem Jubiläumsjahr 1991 das Gastspiel des klei­nen Freudenhaus in Basel been­det (also der Erfolg gesi­chert) war, enga­gier­te sich die Stadt Thun, dann gab es auch Gelder aus der Wirtschaft, um die Infrastruktur für ein Haus, in dem das klei­ne Freudenhaus unter­ge­bracht wer­den konn­te, bereit­zu­stel­len. (Obwohl eigent­lich, dies nur neben­bei, von der 700-Jahrfeier ein geeig­ne­tes Haus verfüg‑, transportier‑, nutz­bar und gra­tis zur Verfügung stand). Also, hier begann die Öffentlichkeit eine Rolle zu spie­len. Und das funk­tio­nier­te dann auch, immer mehr oder weni­ger, je nach Umständen, bis zu jenem oben erwähn­ten Moment, wo die Idee als Gesamtheit plötz­lich, und eigent­lich uner­war­te­ter­wei­se, zurecht­ge­stutzt wer­den soll­te – einer gewis­sen Wirtschaftlichkeit wegen. Was heisst dies nun alles? In knap­pen Worten dies:

  •  Ideen sind Privatsache, und wenn sie umge­setzt wer­den sol­len, ist auch dies eine pri­va­te Angelegenheit; sonst bleibt das Ganze unrea­li­siert lie­gen.
  • Medien kön­nen Ideen zwar auf­grei­fen, aber kul­tur­po­li­tisch ernst genom­men wer­den sie trotz­dem nicht.
  • Unterstützung, von wem auch immer, erhal­ten Ideen allen­falls als klei­ne Projekte, die in ihrer Wirkung klar abge­grenzt und im Voraus kal­ku­lier­bar sind.
  • Öffentlich gefragt sind Ideen nur, wenn ein ent­spre­chen­der öffent­li­cher Anlass besteht, für den im Voraus die nöti­gen Mittel auch gleich bereit­ge­stellt sind.
  • Nach sol­chen Anlässen fehlt das öffent­li­che Interesse, und natür­lich auch das Geld für Aussergewöhnliches wie­der. Die Gewöhnlichkeit nimmt dann wie­der ihren gewöhn­li­chen Gang.
  • Eine öffent­li­che Diskussion über Ideen, die für unse­re Kultur auch prak­ti­sche Konsequenzen haben könn­ten, exi­stiert in der Schweiz offi­zi­ell nicht.
  • Dass eine gute Kultur mit guten Ideen an ihrer Basis den Boden für ein gutes Zusammenleben der Bevölkerung bil­den könn­te, und das auch zum Ziel haben, ist der Schweiz als Gemeinschaft nicht bewusst.

Und als Letztes: In unse­ren Köpfen ist Kultur als Hobby ein­ge­stuft – nett viel­leicht, aber nicht eigent­lich nötig. Ein Leben aus Ideen? Für vie­le Menschen in der Schweiz ist das – als pri­va­te Meinung – viel­leicht eine fas­zi­nie­ren­de Option. Sie zu leben wagen sie aber kaum. Und öffent­lich gibt es ein Leben aus Ideen ein­fach nicht: Zu unsi­cher, zu wenig greif­bar (im Voraus), zu aben­teu­er­lich, zu ris­kant. Der Krämer in unse­rer Volksseele sucht das im Voraus Sichere, nicht das Hirngespinst.

Foto: Albert le Vice
ensuite, Januar 2013

 

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