Ein ein­zi­ger euro­päi­scher Himmel

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Von Peter J. Betts – «Ein ein­zi­ger euro­päi­scher Himmel», so die postu­lier­te Forderung – und: «…neue ange­pass­te Systeme und Prozeduren – (sol­len) die Lösung sein…» Klingt ein biss­chen ras­si­stisch, fin­den Sie nicht? Schon eine Spur weni­ger schlimm, fast schon – um einen zuneh­mend belieb­ten Ausdruck zu ver­wen­den – «wert­neu­tral» tönt es mit dem Fachbegriff auf Englisch: «Single European Sky». Und so wur­de es denn auch im Text von Alois Schneider in «Bildung und Erziehung» (Beilage der NZZ vom 27. Oktober) ver­wen­det. «Sky». Keineswegs «hea­ven». In der deut­schen Sprache unter­schei­det man nicht so sub­til. Und Herr Schneider begrün­det den Sachverhalt damit, dass «Eurocontrol» (Nein, nein: ich ver­zich­te dar­auf, die­se – Institution inter­pre­ta­to­risch zu ver­un­glimp­fen, ihr gar einen dop­pel­ten Boden zu unter­schie­ben: sie ist ein-ein­deu­tig…), dass also «Eurocontrol» damit rech­ne, der gegen­wär­ti­ge Verkehr (im Himmel, genau­er: im euro­päi­schen Luftraum) wer­de sich bis zum Jahr 2020 ver­dop­pelt haben. Ungebremstes Wachstum, ver­mut­lich expo­nen­ti­ell, trotz Unkenrufen der «Ökologischen», trotz der end­lich fühl­ba­ren Verknappung der Ressourcen. Ungebremst, aber unter Kontrolle – und davon (dafür?) lebt ja die Dienstleistungsgesellschaft: ein­zig wür­di­ge Lebensform auf die­ser Erde. Damit das Wachstum wei­ter­hin rei­bungs­los ablau­fen kann. (In der letz­ten «ensuite»-Nummer habe ich in «Märchenform» eine Parodie auf das Wachstumscredo geschrie­ben). Und Alois Schneider, Ausbildungsdelegierter der AERO-SUISSE und Vorstand(smitglied?) mit Schwerpunkt Transport und Verkehr in der Konferenz der Höheren Fachschulen, beschreibt in sei­nem Artikel, was Jugendliche zur Vereinheitlichung des Luftraumes bei­tra­gen könn­ten. Jugendliche, die oft unsi­cher sei­en, ob sie eine Ausbildung an einer höhe­ren Fachschule (HF) oder an einer Fachhochschule (FH) wäh­len soll­ten, wür­den durch den star­ken Praxisbezug an höhe­ren Fachschulen (pro memo­ria: HF) für Transport und Verkehr oft den Weg zu die­sen HFs fin­den. Die gan­ze NZZ-Beilage ist den HFs gewid­met. Ihr Redaktor, Walter Hagenbüchle, nennt denn auch die HFs das «Rückgrat der Wirtschaft». Und wir alle wis­sen: die Wirtschaft sel­ber ist nicht nur das Rückgrat, son­dern der Sinn jeg­li­chen Seins auf Erden. Und er fährt fort: «Wir haben den Bildungsinstitutionen mit einer Pro-domo-Optik die Zeitungsspalten geöff­net – damit Sie sie unge­schminkt ken­nen ler­nen kön­nen.» Und so lesen wir denn etwa im Beitrag des Präsidenten der Konferenz der höhe­ren Fachschulen (K‑HF), Hans-Peter Ruggli, Hanebüchenes über die Politik der Kultur der HFs, etwa: «Politische Einflussnahme braucht kla­re Positionen! Nur wer Positionen hat, kann in poli­ti­schen Prozessen Partner sein». (Denken Sie schon an den 1. August?). Oder zur Stossrichtung der K‑HF Forderungen: «Diplome und Titel sol­len dank stan­des­po­li­ti­schem Effort natio­nal und inter­na­tio­nal aner­kannt wer­den, denn die Höheren Fachschulen sind eine Besonderheit des Schweizerischen Bildungssystems.» Diese Logik ver­blüfft. Was wür­de wohl die SVP zur Logik der fol­gen­den Forderung sagen? «Die Scharia, das in Koran und Hadith fest­ge­leg­te Gesetz, soll dank stan­des­po­li­ti­schem Effort natio­nal und inter­na­tio­nal aner­kannt wer­den, denn es regelt das gesam­te isla­mi­sche Leben». Herr Ruggli schreibt wei­ter unter dem Zwischentitel «Bundesrätlicher Segen»: «Es ist somit aner­kannt, dass das Produkt <höhe­re Berufsbildung> im In- und Ausland, etwa durch das Einführen grif­fi­ger Bezeichnungen, bes­ser ver­mark­tet wer­den muss.» Und rankt sich (unter dem glei­chen Untertitel) zur fol­gen­den Stilblüte empor: «…Den Anerkennungsverfahren liegt ein Verständnis von Bildungsevaluation als ein kon­ti­nu­ier­li­cher Qualitätsprozess zugrun­de.» Der Präsident der Eidgenössischen Kommission für Höhere Fachschulen, Martin Michel, hat auch eini­ges zu sagen, etwa: «Was die Absolvierenden der HF-Lehrgänge trotz der erwähn­ten Titelmisere aus­zeich­net, ist, dass sie als Folge ihrer markt­ori­en­tier­ten Ausbildung vom ersten Arbeitstag an Fach- und Führungskompetenzen über­neh­men kön­nen und wol­len.» (Möchten Sie in einem Betrieb arbei­ten, in dem der neue CEO an sei­nem aller­er­sten Berufsarbeitstag in sei­nem Leben über­haupt, Ihren Betrieb umstruk­tu­riert, die bis­her her­ge­stell­ten Produkte ent­sor­gen lässt, das Herstellen völ­lig ande­rer Produkte mit allen­falls unge­eig­ne­tem Maschinenpark befiehlt, und der hal­ben Belegschaft die Kündigung aus­spricht?). Bei der Lektüre die­ser Beilage könn­te den Lesenden bewusst wer­den, dass die Schweiz ein­mal ein Agrarland gewe­sen ist – in Bauernbetrieben war Dreschen der rei­fen Ähren an Strohhalmen ein wich­ti­ger Beitrag zum Überleben. Aber lee­res Stroh zu dre­schen war damals eher ver­pönt. Die NZZ, wenn es sie damals schon gege­ben hät­te, hät­te die­ser Tätigkeit kaum eine Beilage gewid­met. Fast alle Autoren und die Autorin spre­chen von Kompetenz, die erwor­ben wer­den kann. Niemand nimmt sich die Mühe zu erklä­ren, was denn die­se Kompetenz – im Einzellfall und all­ge­mein – bedeu­ten mag, wozu sie kon­kret befä­higt, aus­ser etwa «zu füh­ren», mei­nes Erachtens auch eine Leerformel. Und die teil­wei­se recht ehr­li­chen Begründungen für Motivationen, HFs zu absol­vie­ren, kön­nen einen erschrecken. So betont Christian Schär, Präsident des Verbands Bildungszentren Gesundheit und Soziales, zur Sinnfrage bezüg­lich Motivation, eine HF im Gesundheitsbereich zu besu­chen: «… Man wird auf selbst­stän­di­ges und pra­xis­na­hes Handeln aus­ge­bil­det. Durch die hohe Qualität die­ser Ausbildunggen ver­fü­gen die Absolventinnen und Absolventen über ein gros­ses Fachwissen und auch über Kaderpotenzial». Er will über­zeu­gen: «Das Gesundheitswesen bie­tet gute Teilzeit-arbeits- und Karrierechancen». Klar: ent­we­der Teilzeit oder Karriere. Und dann wer­den sich die Kaderleute und ihre Untergebenen um Leute küm­mern müs­sen (dür­fen?), die sich genau nach die­sem Muster ver­hal­ten, und die Entscheidung zu Gunsten der Karriere gefällt haben. Für die Gesundheitsinstitutionen ist das Burn-out-Syndrom sicher eine gute und (mei­ner Ansicht nach: lei­der) kri­sen­re­si­sten­te Einnahmequelle. Über das kon­kre­te Interesse an den Inhalten der ange­bo­te­nen Berufe wird in der gan­zen Beilage nir­gend­wo berich­tet. Goldrichtig. Ich zitie­re wie­der ein­mal Gretchen aus Faust 1: «Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles!». Eine kri­sen­re­si­sten­te Währung, nicht? Inhaltliche Interessen sind irrele­vant. Ein mil­des Gegengewicht lie­fert der Schulleiter der HF für Sozialpädagogik in Luzern, Eusebius Spescha: «… Sozialpädagogik ist nichts für Menschen, wel­che schnel­le Erfolgserlebnisse suchen, aber sie bringt viel Befriedigung, wenn viel Einsatz und Geduld über län­ge­re Zeit Erfolge zei­tigt». Der Redaktor begrün­det die NZZ-Beilage unter ande­rem wie folgt: «Höhere Fachschule, HF? Nicht weni­ge stut­zen, wenn sie den Begriff hören, ja, ver­wech­seln ihn gar mit jenem der Fachhochschule. Und vie­le von aus­län­disch geschul­ten Managern geführ­te Chefetagen haben den Begriff nicht ein­mal im Qualifikationsrepertoire. Tatsächlich sind Abschlüsse und Titel hie­si­ger HF im aus­län­di­schen Arbeitsmarkt fast unbe­kannt». Höchste Zeit, die Herren Ruggli, Michel & Co zu Worte kom­men zu las­sen? Die Gebiete «Die Praxisnähe als Trumpf», «Heim und Supernanny», «Die Weltweite Schweiz», «Entlang der Holzkette», «Bankkunden:Versteher» wer­den unter den Fittichen von Walter Hagenbüchle abge­han­delt, pars pro toto die Kultur der HFs. Herr Hagenbüchle hält sein Versprechen: man lernt die Kultur der Politik von Führungskräften der Hfs unge­schminkt ken­nen. Aus dem FF. Die näch­ste Beilage «Bildung und Erziehung» erscheint in der NZZ am 19. Januar 2011. Ich bin gespannt. Sie auch?

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010

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