EDITORIAL Nr. 116: Der Gipfel

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Von Lukas Vogelsang – In Bern haben wir eine Veranstalter-Organisation mit dem Namen BeKult. Auf deren Webseite steht: «Der Verein ver­steht sich als kul­tur­po­li­ti­sche Lobbyorganisation.» Das ist im Grunde eine Supersache. In Biel gibt es eine sol­che Organisation (AAOC) schon lan­ge. Nur Zürich hinkt da etwas hin­ten­drein mit der Demokratie.

BeKult hat aber Probleme. Das Verständnis einer Lobbyorganisation, einer «Stimme für die VeranstalterInnen» ist schlicht nicht vor­han­den. Auch fehlt es an einer Agenda, an einem Programm, dem Ziel wohin der Verein steu­ert. So brü­stet sich der Präsident des Vereins bei jedem kul­tur­po­li­ti­schen Thema in den Medien – zu 90% aller­dings nur mit der Aussage, dass die Mehrheit der BeKult-Mitglieder das Problem nicht als sol­ches sähen. Nun, Umfragen im Verein fin­den nicht statt – inso­fern kann der Präsident nicht für die Mitglieder spre­chen. Diesen Umstand hat er aller­dings sel­ber nicht erkannt. Schmerzlich muss­te BeKult in die­sem Frühling hin­neh­men, dass die wich­tig­sten Clubs von Bern sich laut­stark vom Verein trenn­ten. Zu Recht, denn Bekult sah bis Januar 2012 in Bezug auf die «Nachtleben-Kultur» kei­nen Handlungsbedarf und ent­zog sich der Thematik. Als die Clubs sel­ber aktiv wur­den, sah der Präsident die media­le Repräsentationsmöglichkeit und setz­te sich in die Medien, und damit auch in die Nesseln: Es ist unschön, wenn man einen sol­chen Gesinnungswandel auf Kosten ande­rer macht.

Als eine Höchstleistung der Vereinsaktivität von BeKult darf der in die­sem Jahr zum zwei­ten Mal durch­ge­führ­te «Gurtengipfel» genannt wer­den. Dabei tref­fen sich knapp 100 Mitglieder auf dem Gurten zu einem rund zwei­ein­halb-stün­di­gen (inkl. Apéro!) Gedankenaustausch. Was als Idee gut klingt, und von den Sponsoren und Partnerorganisatoren gut orga­ni­siert wird (gastro­no­mi­scher Service, die Räumlichkeiten und die gespon­ser­ten Festivalpässe für das gleich­zei­tig statt­fin­den­de Gurtenfestival sind toll!), schei­ter­te zum zwei­ten Mal an vie­len Konzeptfehlern. Zum Einen ist da der Umstand, dass der Event nicht BeKult-intern statt­fin­det und die Gegenseite, also die öffent­li­che Hand und PolitikerInnen, gegen die man sich ja lob­by­mäs­sig for­miert, im Publikum sitzt, und zum Zweiten, dass die öffent­li­che Hand (nament­lich der Kanton Bern) die­sen Anlass sogar mit­fi­nan­ziert, was der Vereinspräsident in der Ansprache gross ver­dank­te. Damit ist die Lobbyarbeit dahin, und wir sind unge­fähr auf dem Niveau der Diskussion um die Holcim Ausstellung im Berner Kunstmuseum ange­langt.

Viel schlim­mer aller­dings war in die­sem Jahr der pein­li­che Auftritt von Bänz Friedli, der mit sei­nem «saug­lat­ten» Input zum «Berner Selbstverständnis» (fast alles vom Blatt abge­le­sen) ver­such­te, das Bern-Zürich-Bashing zu top­pen. Warum an einem zeit­lich so kurz ange­leg­ten Kulturveranstaltertreffen noch eine «kul­tu­rel­le Darbietung» statt­fin­den muss, bleibt mir ein Rätsel. Im Anschluss ver­brei­te­te Pius Knüsel, der abtre­ten­de Direktor der Pro Helvetia, mit sei­nem Buch «Der Kulturinfarkt» im ver­such­ten Gespräch mit Heinrich Gartentor, dem Zentralpräsident des Berufsverbands Visuelle Kunst Visarte, all­ge­mei­ne Missstimmung. Das ging so weit, dass Leute aus dem Publikum dem Gartentor Unwissen vor­war­fen und der Knüsel mit dem Mikrophon laut zu spre­chen begann, damit er kri­ti­sche Einwürfe über­tö­nen konn­te.

Nach dem Anlass herrscht ein ein­ver­nehm­lich schlech­ter Geschmack im Mund und Sinnlosigkeit macht sich breit. Dabei ist der Tatbestand ganz ein­fach: Ohne eine gemein­sa­me Sprache kön­nen wir nicht über Kultur dis­ku­tie­ren. Am Anfang einer jeg­li­chen Gemeinschaft steht die gemein­sa­me Verständigung. Solange also ClubbetreiberInnen, KonzertveranstalterInnen, Theater, Opernhäuser, Kinos und all die wei­te­ren VeranstalterInnen nicht eine gemein­sa­me Sprache für ihre Anliegen kre­ieren, steht nur ein wei­te­rer «Turmbau zu Babel» an. Lösungen wird es kei­ne geben, nur den Zusammenbruch. «Kultur» ver­ste­hen alle TeilnehmerInnen ver­schie­den, die Forderungen sind ver­schie­den, deren Funktion im Kulturmarkt eben­so.

Interessanterweise lei­det das Buch «Der Kulturinfarkt», oder des­sen Autor, unter dem glei­chen «Kultur»-Pauschalisierungs-Syndrom, und bringt des­we­gen auch kei­ne Lösungen für die Kulturförderung zustan­de. Kultur ist a prio­ri nie pau­schal, son­dern immer nur ein Ergebnis einer leben­di­gen Gemeinschaft. Kultur ist ein Resultat, eine Summe. Kultur kann man des­we­gen nicht erzwin­gen, oder gar erschaf­fen (im Gegensatz zur Kunst…).
Insofern war die­ses Treffen auf dem Gurten eine wei­te­re ver­spiel­te Chance. Trotzdem: Immerhin exi­stiert in Bern ein sol­ches Treffen – im Vergleich zu Zürich. Da ist die Kultur zum rei­nen Standortmarketing ver­kom­men, und man dis­ku­tiert nicht, man bezahlt.

Ich hof­fe, dass wenig­stens ensuite mit die­ser Ausgabe ein paar inter­es­san­te und kul­tu­rell rele­van­te Impulse für die­sen Sommer set­zen kann, oder wenig­stens zum Denken anregt.


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 116,  August 2012

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