EDITORIAL Nr. 112: Déformation pro­fes­si­on­nel­le

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Von Lukas Vogelsang – Synergien, Effizienz, Kosteneinsparungen – wo genau haben die­se Begriffe unse­re Welt ver­bes­sern kön­nen? Im Shopping-Center und im Gewühl von Markenartikeln, wel­che in China pro­du­ziert, welt­weit gekauft wer­den und immer gleich aus­se­hen? Ist es effi­zi­ent, wenn Arbeitnehmer durch Umstrukturierungen an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gelan­gen, und wäh­rend der Arbeit kei­ne Zeit mehr da ist, über das erle­dig­te nach­zu­den­ken? Sind Einsparungen bes­ser, wenn Leistungen ver­schwin­den, weil sie nicht mehr finan­ziert wer­den kön­nen? Ist Wachstum, grös­ser wer­den, wirk­lich eine qua­li­ta­ti­ve Steigerung – und nicht eher eine quan­ti­ta­ti­ve Degeneration? Die glei­che Frage gilt übri­gens für Fusionen. Hans Ulrich Glarner, Aargauer Kulturchef, hat es in der Aargauer Zeitung ganz tref­fend gesagt: «Hat man je ein Problem lösen kön­nen, indem man es hal­biert?»

Klar: Mich piekt Pius Knüsel, der Direktor von ProHelvetia, der so gar nicht «pro Helvetia» klin­gen will mit sei­nen Kollegen im Buch «Der Kulturinfarkt». Im Gegenteil, alles was ich von Knüsel gele­sen habe ist, dass er sei­ner Arbeit schon seit län­ge­rem über­drüs­sig ist. Bei der Lektüre von «Der Kulturinfarkt» hat mich aber vor allem die Frage beschäf­tigt: Bleibt man ProHelvetia-Direktor eigent­lich bis in die Ewigkeit oder wäre es nicht gut, wenn ein gesun­der Wechsel fix ein­ge­führt wer­den könn­te? Bei allem Respekt vor der volu­mi­nö­sen Selbstinszenierung eine Woche vor der Auslieferung des Buches: Mir fehlt bei den Infarkt-Ausführungen schlicht der Inhalt und der Respekt von Pius Knüsel als Direktor der gröss­ten Kulturförderinstitution die­ses Landes gegen­über der Kultur.

Das wesent­li­che in Kürze: «Der Kulturinfarkt» ver­tritt die These, wenn wir die Hälfte der Kulturbetriebe weg­strei­chen wür­den – wegen feh­len­der Effizienz, Kostendeckung, Funktion –, wer­de Geld frei für ver­blei­ben­de Institutionen, Laien, Neues, alte Geschichten wer­den ver­ges­sen und die Innovation blüh­lt wie­der auf. So ein­fach ist das. Dummerweise wird damit das Problem der Kulturförderung, was soll geför­dert wer­den, nicht gelöst, son­dern ein­fach ver­tagt. In 10 Jahren kön­nen wir den glei­chen Text wie­der vor­le­gen.

Drei Dinge sind mir wich­tig: Die kul­tu­rel­le Vielfalt ist nicht nur ein Konzept der Schweizer-Innen, son­dern ist ein Teil unse­rer Geschichte, unse­res Sozialverhaltens und unse­rer Innovationsbereitschaft. Man könn­te sagen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ich glau­be sogar, die dar­aus gepräg­ten Eigenschaften sind die wich­tig­sten und her­aus­ra­gen­den Merkmale einer Schweizerin oder eines Schweizers. Die Vielfalt ist nicht eine Plage, son­dern eine Frage an unse­re Innovationsbereitschaft: Weltweit ist «Masse» und «Menge» ein Problem gewor­den. Überall lebt und quillt der Überfluss. Vor lau­ter Wäldern sehen wir die ein­zel­nen Bäume nicht mehr. Die Bestrebungen, als Mensch oder als Produkt dar­in noch gese­hen zu wer­den oder zu über­le­ben, haben unser Beziehungsverhalten unter­ein­an­der und unse­re sozia­len Strukturen ver­än­dert. Das ist kein kul­tu­rel­les Problem, das ist ein zeit­ge­nös­si­sches und vor allem glo­ba­les Übel. Die Antwort von Pius Knüsel und sei­nen Kulturinfarktern ist dem­nach ganz falsch: Kopf ein­zie­hen und Probleme hal­bie­ren. Dabei ist es die Aufgabe der Kultur und der Kulturschaffenden, hier zu Experimentieren und Diskussionsgrundlagen zu schaf­fen. Radikal über­setzt wür­de Knüsels-These heis­sen: Der Planet lebt mit der Hälfte der Weltbevölkerung bes­ser. Eliminieren wir die Drittweltländer und nut­zen wir den frei­wer­den­den Platz für Zweitwohnungen.

Von der Vielfalt an Kulturinstitutionen sind weni­ger die gros­sen Institutionen betrof­fen (die haben poli­ti­schen Rückhalt), als die Kleinen. Es gibt nor­ma­ler­wei­se nur ein Stadttheater in einer Stadt, aber noch vie­le klei­ne Bühnen dane­ben. Pius Knüsel tut nichts, als die Leuchtturm-Strategie aufs Neue auf­zu­wär­men – nach­dem wir uns vor Jahren schon aus­gie­big dage­gen aus­ge­spro­chen haben. Knüsel ver­gisst, dass auf einer gros­sen Bühne noch kein Schauspieler gross gewor­den ist. Da ist noch ein Weg. Das Verringern von pro­fes­sio­nel­len Strukturen nützt kei­ner Laienförderung. Im Gegenteil: Die Laien wer­den kaum in die pro­fes­sio­nel­le Liga auf­stei­gen kön­nen – es hat da kei­nen Platz. Durch die Reduktion von Kunst- und Kulturräumen neh­men wir eine der wich­tig­sten Grundlagen des kul­tu­rel­len und künst­le­ri­schen Schaffen: räum­li­che Existenz. Nur die Vielfalt von Bühnen und den chao­tisch anmu­ten­den Kulturbetrieben, kön­nen garan­tie­ren, dass sich das Kunst- und Kulturschaffen ent­wickelt. Die ver­mehr­te Förderung von Kunsthochschulen, Fachhochschulen, Beamten- oder gar poli­ti­schen Kulturaufträgen ist der fla­sche Weg – vor allem ist das kei­ne freie Kultur. Ketzerisch könn­te man den Vergleich brin­gen: Wer baut das Haus? Der Akademiker oder der Handwerker? Durch die Halbierung der Kulturinstitutionen wird auch das geschul­te «Fachpersonal» hal­biert. Das Problem ist dabei nicht in erster Linie der Verlust von Arbeitsplätzen, son­dern der Verlust von Know-how. Wenn wir jetzt bei­spiels­wei­se 100 Lehrlinge aus­bil­den kön­nen, wür­den wir in Zukunft nur noch die Hälfte anler­nen. Das ist ein Verlust – auch auf dem inter­na­tio­na­len Parkett. Die Schweiz hät­te ein wei­te­res Exportgut weni­ger und wir kämen nicht dar­um her­um, aus dem Ausland das Fachwissen zu impor­tie­ren.

Dies bringt mich gleich zum drit­ten Punkt: Bereits heu­te haben wir das Problem, dass die Schweizer Kultur- und Kunstschaffenden zu weni­ge Plattformen erhal­ten. Die Veranstalter «impor­tie­ren» bereits jetzt mehr Programme aus dem Ausland, als dass wir unser eige­nes künst­le­ri­sches Potential export­fä­hig auf­bau­en. Die Leuchtturm-Strategie setzt die ProHelvetia bereits bei KünstlerInnen um – mit dem Effekt, dass nur weni­ge mit viel unter­stützt wer­den. Jetzt will man die­ses System auch für Institutionen durch­set­zen. Was nicht geschrie­ben wird: Wenn die ProHelvetia Leuchtturm-Künstler unter­stüt­zen, so nur unter der Bedingung, dass die loka­len Kulturförderungsstellen der Künstler min­de­stens zwei Drittel mit­fi­nan­zie­ren. Durch sol­ches Einwirken diri­gie­ren die «Mächtigen» der Kultur, wie die ProHelvetia, das gan­ze Schweizerische Kulturschaffen. Und so wächst die Kulturmacht auf der fal­schen Seite. Die Aussagen von Knüsel im Buch wer­den damit zur poli­ti­schen Propaganda für sein Fördermodell. Das ist nicht gut.

Aber eines ist Pius Knüsel und sei­nen Mitstreitern natür­lich per­fekt gelun­gen: Das Thema «Kulturförderung» ist fast in jeder deutsch­spra­chi­gen Zeitung dis­ku­tiert wor­den – ohne jeg­li­chen Lösungsansatz für eine kon­kre­te und intel­li­gen­te Kulturförderung, die sich pro­blem­lö­send auch natio­nal ein­set­zen lies­se. Ich befürch­te sogar, des­we­gen wird die Kulturförderung erst recht belä­chelt und noch weni­ger ernst genom­men. Aber Pius Knüsel hat per­fek­tes Marketing gebracht, zum rich­ti­gen Zeitpunkt mit dem fal­schen Ansatz. Und wir wis­sen jetzt: Auch den Pius Knüsel kön­nen wir uns weg­spa­ren.


Foto: zVg.

Publiziert: ensuite Ausgabe Nr. 112 Bern, April 2012

 

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