«Dieser Typ war ein­fach immer irgend­wo getrie­ben, unter­wegs, fieb­rig»

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Interview von Walter Rohrbach mit Regisseur Christoph Kühn – Dokumentarfilme über her­aus­ra­gen­de Charaktere sind sei­ne Spezialität. So por­trä­tier­te der gebür­ti­ge Zuger Regisseur Christoph Kühn Persönlichkeiten wie Bruno Manser, Nicolaus Bouvier und Gustav Gräser. Nun folgt in einer neu­en Dokumentation ein Porträt über Friedrich Glauser (1896–1938), den Schweizer Kriminalschriftsteller. Ensuite traf den Regisseur zu einem inten­si­ven und span­nen­den Gespräch über sei­nen Glauser-Film.

Wie lan­ge ging es von der Idee bis zur tat­säch­li­chen Realisierung des Filmes?

Ich mache ver­schie­de­ne Sachen gleich­zei­tig. Deshalb erge­ben sich immer wie­der auch gewis­se Überschneidungen. Die Idee wur­de aber 2007 gebo­ren. Ein Produzent, den ich von frü­her gekannt habe, kam auf mich zu. Irgendwie hat­te er das Gefühl gehabt wir könn­ten wie­der zusam­men arbei­ten und hat mich gefragt, ob mich der Friedrich Glauser inter­es­sie­ren wür­de. Meine Generation kennt den Glauser als Morphinisten, als Vater des Schweizer Kriminalromans und als Fremdenlegionär, und das wars. Ich habe das nicht unbe­dingt für einen Filmstoff ange­se­hen, und die Wachtmeister Studer Romane haben mich immer zu wenig inter­es­siert. Sonst habe ich von Glauser nichts gewusst. Der Produzent hat mir dann ein ins Italienische über­setz­tes Buch von Glauser – «Die Augen der Mutter» – gege­ben. Dort wur­den drei Kurzgeschichten von Glauser prä­sen­tiert, die mich sehr beein­druckt haben. Ich hat­te nicht gewusst, dass der Glauser so schrei­ben kann. Es sind ganz per­sön­li­che Geschichten. Beispielsweise lässt Glauser in einer die­ser Kurzgeschichten die gan­ze Wut gegen sei­nen Vater los, wel­che er aber ganz kunst­voll in eine Geschichte ein­webt. Es ist eine sehr rebel­li­sche, wüten­de und auf­ge­brach­te Schreibweise. Später habe ich die Briefe von Glauser gele­sen, und die­se haben mir den Menschen Glauser näher gebracht. Dies war auch mei­ne Hauptquelle für den Text im Film.

Bei Glauser ist mir sei­ne unge­wöhn­li­che Biographie auf­ge­fal­len, und er lässt sehr viel von sei­nen eige­nen Erfahrungen in sei­ne Werke ein­flies­sen.

Ja, ein­deu­tig. Glausers Biographie selbst ist so gut wie sei­ne Geschichten. Bei ihm weiss man zudem nie was wahr und was erfun­den war. Zum Teil hat Glauser das was er erlebt hat wört­lich über­nom­men in sei­nen Romanen oder in Kurzgeschichten. Deshalb ist alles so ver­wo­ben, sein Leben und sei­ne Werke. Das merkt man auch, wenn man einen Film über ihn macht. Ich woll­te ein Porträt von Glauser «von innen her­aus» machen. Erzählen aus dem Kopf von Glauser hat mich viel­mehr fas­zi­niert als eine blos­se Aufzählung sei­nes lite­ra­ri­schen Werkes. Den Fokus des Filmes auf die Jahre 1934 bis 1938 habe ich bewusst gewählt. Glauser war von 1932 bis 1936 vier Jahre lang am Stück in Münsingen inter­niert. Ihm gelang wäh­rend die­ser Zeit die Flucht, er ging aber frei­wil­lig wie­der zurück. Er bemerk­te damals, dass, wenn er sei­nem Leben eine Richtung geben wol­le, er mehr Verantwortung über­neh­men müs­se. Von da an war er unwahr­schein­lich pro­duk­tiv. Vorher war Glauser kein wirk­li­cher Name, er hat­te Kurzgeschichten geschrie­ben von denen eini­ge publi­ziert wor­den waren. Seine zwei bis dahin geschrie­be­nen Romane blie­ben in der Schublade. Mit einer Kurzgeschichte gewann Glauser einen Preis, und dies schien ihm neu­en Mut zu geben. Ab dann schrieb er unab­läs­sig, ent­wickel­te die Figur des Wachtmeisters Studer, schrieb neben sei­nen Kriminalromanen Kurzgeschichten und Briefe. Ebenso schrieb er in die­ser Zeit sei­ne Erinnerungen an sei­ne Kindheit nie­der. Deshalb habe ich mich auf die letz­ten vier Jahre kon­zen­triert. Diese geben eine gute Übersicht über sein gesam­tes Werk. Ab 1934 hat der Schriftsteller Glauser begon­nen zu leben.

Die Dokumentation ist eher ein düste­rer Film gewor­den. Zwingt einen die Person Friedrich Glauser dazu?

Ja, ich den­ke schon. Es ist tat­säch­lich ein dunk­ler Film. Wenn man das nicht ger­ne hat, darf man kei­nen Film über Friedrich Glauser machen. Er ist aber nicht nur dun­kel, son­dern hat durch­aus auch Glücksmomente. Aber schluss­end­lich soll­te ein Film authen­tisch sein, und das Dunkle gehört ein­deu­tig zu Glausers Seelenleben.

Wenn man sich so inten­siv mit einer Person oder einer Geschichte aus­ein­an­der­setzt stösst man meist auf Aussagen oder Eigenschaften die einem in Erinnerung blei­ben. Was war es bei der Person Glauser?

Er hat unend­lich vie­le Aussagen geprägt, die sehr rebel­lisch sind. Beispielsweise sag­te er ein­mal, dass sei­ne gan­zen Zusammenbrüche in den letz­ten Jahren gar nicht mehr wich­tig sei­en. Viel wich­ti­ger sei das, was er noch wol­le in der Zukunft. Später sag­te er wei­ter, dass es Leute gebe (Psychologen, Ärzte), die bemerkt hät­ten, er sei jetzt schon dreis­sig und habe noch nichts Wertvolles auf die Beine gestellt. Glauser mein­te dazu, dass er auch soge­nann­te erfolg­rei­che Dreissigjährige ken­ne, die aber inner­lich leer sei­en. Solche Aussagen habe ich natür­lich unglaub­lich ger­ne. Oder einen Satz wie die­sen: «Rechtlos wird man, wenn man sich nicht wehrt» – das, fin­de ich, ist eine tref­fen­de Formulierung. Glauser war zu sei­ner Zeit auf euro­päi­schem Niveau, an ihm haf­te­te nichts Helvetisches, nichts Biederes, das hat mich sehr fas­zi­niert. Dieser Typ war ein­fach immer irgend­wo getrie­ben, unter­wegs, fieb­rig. Glauser hat ein­fach sehr inten­siv gelebt und sich aus­ge­lebt.


 

Christoph Kühn
1955 in Zug gebo­ren, Schweizer Filmregisseur

Filmografie
1982: Falsche Bilder
1985: FRS – Das Kino der Nation
1992: Das gan­ze Leben als Reise (Dokumentarfilm)
1993: Sophie Taeuber-Arp (Dokumentarfilm)
1997: Irrlichter
1998: Salaam
1999: Hanni Salvisberg – Von der Bäuerin zur Bestsellerautorin (Dokumentarfilm)
2003: Alfred Ilg – Der weis­se Abessinier (Dokumentarfilm)
2005: Nicolas Bouvier, 22 Hospital Street (Dokumentarfilm)
2006: Gusto Gräser – Der Eremit vom Monte Verità (Fernsehdokumentarfilm)
2007: Bruno Manser – Laki Penan (Dokumentarfilm)
2011: Friedrich Glauser –Das Leben des gros­sen Schriftstellers (Dokumentarfilm)

 

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2012

 

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