Die phi­lo­so­phi­sche Puppe mit bri­ti­schem Humor

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By Robert Salzer

Moses ist eine reflek­tier­te Puppe. „I am not ali­ve“, stellt er schon zu Beginn klar. Dann stellt er dem Publikum sei­ne Puppenspieler vor. Drei Personen bedie­nen die cir­ca einen hal­ben Meter gros­se Figur, deren Kopf aus Karton und deren Körper aus Stoff besteht. Ein Spieler spricht und bedient den Kopf und den lin­ken Arm, eine die bei­den Beine und schliess­lich steu­ert jemand den rech­ten Arm und hält den Hintern fest. «Lady, would you like to hold my bum?» fragt Moses ins Publikum und wackelt las­ziv mit dem Stoffhintern. Nein, wir sind hier defi­ni­tiv nicht im Kasperle-Theater!

Das in London behei­ma­te­te «Blind Summit Theatre» bezeich­net sich selbst ganz unbe­schei­den als Puppenspiel-Innovator. Während die alte Kunstform Theater durch die neu­en Medien zuneh­mend bedroht wer­de, sei das Puppenspiel ein ein­ma­li­ges Live-Erlebnis für das Publikum. Der Erfolg gibt den Briten Recht. Alleine mit «The Table» tou­ren sie seit 2012 durch die euro­päi­schen Festivals.

«Bloddy Table»

Von nied­lich hat Moses genug. Er sieht sich als ernst­haf­ten Künstler und will nicht mehr an Kindergeburtstagen und Märchen die Attraktion sein. Über den Auftrag einer jüdi­schen Gesellschaft, die letz­ten Stunden des bibli­schen Moses vor­zu­tra­gen, freut er sich enorm. Schon seit 40 Jahren steht er auf die­sem «blod­dy» Holztisch, sei­ner Bühne, zu dem er ein sehr gespal­te­nes Verhältnis hat. Moses misst mit Schritten die Grösse des Tisches aus und zeigt dem Publikum sei­nen Lieblingsplatz. Es ist beein­druckend wie die drei Spieler die klei­ne Puppe über den Tisch wir­beln las­sen und wie aus Karton und Stoff eine Persönlichkeit ent­steht.

Moses gibt dem Publikum dann auch gleich per­sön­lich eine Einführung in die Grundregeln der Puppenkunst. Wichtig sei bei­spiels­wei­se, dass die Figur regel­mäs­sig atme, um mög­lichst lebens­echt zu wir­ken. Ausserdem soll­ten die Spieler den Fokus immer auf der Puppe haben, denn wo die­se hin­schau­ten, schaue auch der Zuschauer hin. Die letz­te Grundregel betrifft die soge­nann­ten «fix points» und besagt ganz ein­fach, dass die Bewegungen der Puppe nicht phy­si­ka­lisch unmög­lich sein soll­ten. Die Einführung macht Lust, selbst ein­mal Hand an eine Puppe zu legen.

Das «Dead-arm-pro­blem»

Moses Auftritt folgt einer fixen Geschichte, lässt den Spielern aber immer wie­der die Möglichkeit zu impro­vi­sie­ren. Einer der drei Spieler fällt plötz­lich aus, da er anschei­nend ein tech­ni­sches Problem behe­ben muss. Das gibt Moses Zeit, das «Dead-arm-pro­blem» zu erläu­tern. Er schwingt sei­nen rech­ten Arm unko­or­di­niert rum und stellt fest, dass die­ses Problem meist auf­grund schlech­ter Finanzierung auf­tre­te, aber eben auch in sol­chen Situationen. Moses hilft sich nun selbst. Die Dame im Publikum, mit wel­cher er schon zu Beginn der Vorstellung flir­te­te, soll nun tat­säch­lich Hand an sei­nen Hintern und rech­ten Arm legen. Moses zeigt sich nun von sei­ner besten Seite, wäh­rend der Dame die Überforderung anzu­se­hen ist, gleich­zei­tig die Puppe zu steu­ern und deren Sprüche zu erwi­dern. In einem hek­ti­schen Moment reisst sie Moses eine Hand aus und ver­lässt geschockt und amü­siert zugleich die Bühne, um sich wie­der in den Zuschauerraum zu set­zen. Die Puppe nimmt es gelas­sen, hat sie doch schon zu Beginn des Stückes fest­ge­stellt, dass sie aus ersetz­ba­ren Komponenten bestehe. Nun ver­sucht der mitt­ler­wei­le auf die Bühne zurück­ge­kehr­te drit­te Spieler die Hand wie­der an der Puppe zu befe­sti­gen, doch die­se ist dann doch nicht so «cool», wie sie bis­her behaup­tet hat­te und wehrt sich mit noch bestehen­den Händen und Füssen. Dass die­ser Teil der Vorstellung impro­vi­siert ist, merkt man nicht zuletzt dar­an, dass die Spielenden selbst Mühe haben, das Lachen über die Situation zu unter­drücken. In sol­chen Momenten freu­en sich sowohl die Spielenden wie auch die Zuschauenden über die Illusion, die mit den ein­fach­sten Mitteln erzeugt wird.

Auch Erwachsene schei­nen das Staunen nicht ver­lernt zu haben, das ihnen viel­leicht gera­de in der Kindheit auch Puppen beschert haben. Das «Blind Summit Theatre» spielt mit die­ser Erinnerung, um sie immer wie­der genüss­lich zu durch­bre­chen. Wenn Moses kurz vor Ende fest­stellt «I am just a pup­pet. What the hell do I know?», stellt die Truppe des «Blind Summit Theatres» die gros­se phi­lo­so­phi­sche Frage in den Raum, wel­che Puppenspieler eigent­lich unse­re eige­nen Körper steu­ern.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/the-table-blind-summit-theatre/

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