«Die fei­ne Art zu fei­ern»

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Von Luca D’Alessandro – Anna Blöchlinger und Santino Carvelli sind zwei Urgesteine der Berner Salsaszene. Seit zehn Jahren füh­ren sie eine Tanzschule, sind in Shows und Partys enga­giert und sehen sich selbst als Botschafter des kari­bi­schen Lebensgefühls. Resident Mambo heisst ihre Bigband, bestehend unter ande­rem aus Grössen der Berner Musikszene wie Marc Stucki, Simon Petermann, Regula Neuhaus oder Joëlle Kaiser.

Vom 20. bis 22. Mai flie­gen sie aus, die bei­den Salsadancers, in den Kulturhof Köniz, wo sie gemein­sam mit Band und Djs, Tanzlehrerinnen und Tanzlehrern die drit­te Ausgabe des Festivals «Steps To Get It» zele­brie­ren.

ensuite-kul­tur­ma­ga­zin hat sich mit Anna und Santino getrof­fen und über Salsa gefach­sim­pelt.

Santino Carvelli und Anna Blöchlinger, Tito Puente sag­te ein­mal, Salsa sei etwas, das man essen kön­ne…

Santino: Nicht ganz. Er sag­te es so: Salsa sei zum Essen da, des­halb spie­le er Mambo.

Das muss­te von jeman­dem wie dir kom­men, Santino. Unter den Berner Salsa-Vertretern giltst du als Mambo-König.

Santino: Den Mambo mag ich, weil er etwas Ursprüngliches hat. Tito Puente woll­te ver­mut­lich gera­de die­se Ureigenschaft zum Ausdruck brin­gen. Salsa ist eine Symbiose, ent­stan­den in den Siebzigern in der Ära des Palladium in New York – zur Zeit von Tito Puente, Tito Rodriguez, Machito, Mario Bauza und Cachao – und beschreibt eine Melange aus Mambo, Son, Rumba und ver­schie­de­nen kari­bi­schen Stilen.

Vor knapp zehn Jahren habt ihr, Anna und Santino, eine Tanzschule gegrün­det. Woraus besteht eure Melange?

Santino: Wir bie­ten eigent­lich alles, was die kari­bi­schen Inseln an Kultur und Traditionen haben. Der Fundus ist immens, sowohl musi­ka­lisch, rhyth­misch als auch folk­lo­ri­stisch-tän­ze­risch.

Anna: Wir sehen im Salsa einen Marktplatz, auf dem alle mög­li­chen Sachen ange­bo­ten, gekauft und ver­kauft wer­den – ein rie­si­ger Trubel, wenn man so will. Eine folk­lo­ri­sti­sche Erscheinung, die sich durch die Geschichte Südamerikas und jene der kari­bi­schen Inseln erge­ben hat. Und in die­ser gros­sen Fülle fin­den sich Einzelstile wie Bachata, Merengue, Mambo, Son, Rumba und noch vie­le mehr wie­der.

Diese wer­den dann zusam­men­ge­kit­tet, zum Beispiel zu neu­en Trendformen wie Bachatango … Santino, du lachst?

Santino: Bachatango ist über­haupt nicht mein Ding.

Wieso?

Santino: Grundsätzlich fin­de ich neue Formen und Mischungen gut. Allerdings läuft man dabei die Gefahr, dass die Essenz und der Groove der Elemente ver­lo­ren gehen. Am Ende beherrscht man weder das eine noch das ande­re. Hinter sol­chen Trendsettings steckt eine geziel­te Vermarktung, wie sie gegen­wär­tig beim Zumba statt­fin­det, der neu­en Mischform aus Salsa und Aerobic. Von allem wird ein biss­chen etwas in den Topf gewor­fen, dar­in her­um­ge­rührt, et voi­là: Ein neu­er Tanz ist da. Wer jedoch einen ech­ten Tanz ler­nen will, braucht Jahre der Übung, bis er oder sie ihn auch wirk­lich beherrscht. Die Körperspannung, das Gefühl für den Tanz, die Finessen, die sowohl im Tango, als auch im Bachata stecken – all das lässt sich nicht in ein paar Tanzstunden ver­mit­teln.

Ein Statement für mehr Qualität im Tanz.

Anna: In der Tiefe steckt die Qualität. Sobald etwas kom­mer­zia­li­siert und so umge­formt wird, dass es mög­lichst schnell ver­stan­den und kon­su­miert wer­den kann, hat es nichts mehr mit Qualität zu tun.

Dieser Ansatz hat etwas Ausschliessendes.

Anna: Das wür­de ich so nicht sagen. Qualität steht ein biss­chen im Widerspruch zu «Es fägt eifach». Nehmen wir das soeben erwähn­te Beispiel des Bachatango: Alles was Spass macht wird da zu einem neu­en Ganzen zusam­men­ge­stopft, ohne dass man sich über­legt, in wel­chem kul­tu­rel­len Zusammenhang die Einzelstile wirk­lich ste­hen. Für Leute, die im Ausgang ger­ne ein biss­chen das Bein bewe­gen wol­len, ist die­se Form sicher opti­mal. Allerdings darf dann aber nicht von Qualität gespro­chen wer­den. In ande­ren Worten: Qualität lässt sich durch das Vordringen in die Tiefe errei­chen. Die Liebe zum Detail ist ent­schei­dend.

Ihr seht im Salsa ein Lebensgefühl, kein Konsumgut.

Santino: Nein, Salsa kann man ent­we­der als Konsumgut betrach­ten oder zum eige­nen Lebensinhalt machen.

Wie geht ihr damit um, wenn Schüler ledig­lich auf einen oder zwei Kurse zu euch kom­men, um zu «kon­su­mie­ren»?

Anna: Es ist eine Gratwanderung. Wir möch­ten ger­ne alle Leute ein­schlies­sen und ihnen die Faszination Salsa näher brin­gen. Trotzdem wol­len wir unse­rer Linie treu blei­ben.

Santino: Wir brau­chen die­se Leute, schliess­lich leben wir von ihnen. Sie kom­men hin­ein, schau­en sich um, genies­sen die paar Stunden mit uns. Das gehört zu unse­rem Geschäft und das ist ja auch nicht schlecht. Im Gegenteil: Wenn wir von unse­rem Lebensgefühl ein biss­chen – wenn auch nur im Ansatz – wei­ter­ge­ben kön­nen, ist das etwas sehr Angenehmes.

Ihr gebt das Gefühl einer kari­bisch-folk­lo­ri­sti­schen Tradition wei­ter. Könntet ihr euch vor­stel­len, dass die Menschen in Südamerika zu Schweizerorgeln tan­zen wür­den?

Santino: Das ist nicht aus­ge­schlos­sen. Bereits im neun­zehn­ten Jahrhundert hat sich im Zuge der Einwanderung fran­zö­si­scher Adeliger auf den kari­bi­schen Inseln die Contradanza ent­wickelt, wor­aus der Danzon und danach der heu­ti­ge Mambo ent­stan­den sind. Später in den Fünfzigern hat in Havanna die Verschmelzung von Son und Rock’n’roll in den vor­neh­men Casinos und Cabarets statt­ge­fun­den. Daraus ist der Casino-Stil ent­stan­den. Es ist daher sicher mög­lich, dass die Menschen vor Ort Elemente aus unse­rer Tradition über­neh­men. Klar, mit dem Jodel wer­den sie ver­mut­lich nichts anfan­gen kön­nen … (lacht)

Sprichst du aus Erfahrung?

Santino: Wir haben in der Vergangenheit mehr­mals Shows mit Figuren aus der euro­päi­schen Geschichtenerzählung kre­iert und sie mit kari­bi­schen Choreographien und Sounds in Verbindung gebracht. Damit sol­che Shows aber mög­lich sind, braucht es sehr gute Tänzer.

Was macht einen guten Tänzer aus?

Anna: Gute Tänzer trai­nie­ren fünf bis sechs Stunden täg­lich, müs­sen sich musi­ka­lisch und kör­per­lich aus­bil­den, empa­thisch sein, respek­ti­ve das Vis-à-Vis ver­ste­hen kön­nen.

Der Salsatrend dau­ert – zumin­dest hier in Bern – bereits über 25 Jahre an. Wie beur­teilt ihr die aktu­el­le Lage?

Anna: Bern hat eine der füh­ren­den Salsa Szenen schweiz­weit. Die Berner gehen in die Tiefe und suchen die Innovation, die Authentizität und set­zen auf Qualität, Groove und die Essenz des Tanzes. Ich habe fest­ge­stellt, dass sich die Szene in den letz­ten zehn Jahren zusätz­lich ver­grös­sert hat. In Bern kannst du heu­te jeden Abend irgend­wo tan­zen gehen. Eher neu ist das gros­se Spektrum an Ausprägungen und Variationen: Die einen set­zen auf Latin Jazz oder New York Style, ande­re mögen lie­ber die kuba­ni­sche Art, drit­te wie­der­um set­zen auf Puerto Rico. Auf der einen Seite gibt es Partys, die alles anbie­ten, auf der ande­ren Seite gibt es sol­che, die auf einen Stil fokus­sie­ren. Vor zehn Jahren war dies viel weni­ger aus­ge­prägt. Damals fan­den sich alle am sel­ben Fest wie­der. Die Nuancen, wie sie heu­te wahr­ge­nom­men wer­den, waren für die mei­sten kein Thema.

Santino: Ich unter­schei­de zwi­schen zwei Kategorien von Menschen: Die Offenen, die alles tan­zen, und die Spezialisten, die äus­serst selek­tiv vor­ge­hen. Grundsätzlich ist es so, dass jene Leute, die schon län­ger tan­zen, anspruchs­vol­ler wer­den.

Kann man von einer Spezialisierung spre­chen?

Anna: Nein, das nicht. Das Ganze ist ein­fach grös­ser und Unüberschaubarer gewor­den. Früher konn­ten wir eher von einer ein­heit­li­chen Szene spre­chen; die Szene wur­de denn auch immer grös­ser und grös­ser, inzwi­schen hat sie sich stark zer­split­tert. Die Leute kon­zen­trie­ren sich nicht mehr auf die Szene als gan­zes, son­dern auf gewis­se Orte und bestimm­te Personen, Anlässe oder Tanzschulen.

Dadurch ist ver­mut­lich der Konkurrenzkampf unter den Partyveranstaltern und Tanzschulen enorm gross gewor­den.

Anna: Es gibt durch­aus eine Konkurrenz. Ich wür­de aber eher von einer gesun­den Competition reden. Ich den­ke da an den Salsaclub Muevete, Erich Fischers Tanzschule Salsanama, die Veranstaltungen von Dj Saltho im Schwellenmätteli, jene von Dj Volcano von Salsa Pictures, und neu die Anlässe auf dem Gurten, orga­ni­siert von Migros Kulturprozent und Latinsoul. In Bern gibt es das unge­schrie­be­ne Gesetz, die Terminkalender der ande­ren Veranstalter zu respek­tie­ren und mög­lichst kei­ne Konkurrenzveranstaltungen zu machen.

Santino: Verschiedentlich haben exter­ne Organisatoren auf dem Platz Bern eine Veranstaltung orga­ni­siert, ohne sich in die hie­si­ge Szene zu inte­grie­ren. Sie hör­ten bald auf, da sie kaum Besucher hat­ten und nur Verluste schrie­ben.

Welche Orte in Bern sind für eine Salsa-Veranstaltung beson­ders geeig­net?

Santino: Orte wie das Bierhübeli oder die Dampfzentrale wären her­vor­ra­gend, lei­der sind die Bedingungen der­mas­sen unvor­teil­haft, dass es für mich als klei­ner Veranstalter ohne zah­lungs­kräf­ti­gen Sponsor im Rücken fak­tisch unmög­lich ist, da mit­zu­hal­ten. Daher ver­wun­dert es nicht, wenn wir Lokalitäten in Gümligen, Worb oder Belp suchen müs­sen.

Lohnen sich sol­che Bemühungen über­haupt?

Santino: Als Mambokönig bin ich dafür ver­ant­wort­lich, dass mein Hofstaat sei­nen Spass hat (lacht). Spass bei­sei­te: Es geht um die fei­ne Art zu fei­ern. Anna und ich wol­len mit unse­ren Veranstaltungen Begegnungen ermög­li­chen und dazu bei­tra­gen, dass Menschen zu Musik und Bewegung Freundschaften knüp­fen kön­nen – und das Ganze mög­lichst zu Livemusik. Allerdings ist die Finanzierung sol­cher Events nicht immer ein­fach: Sponsoren sind qua­si inexi­stent in der Szene, auch Förderbeiträge und Subventionen sind eine Wunschvorstellung. Die Kosten für sol­che Veranstaltungen wer­den daher von der Tanzschule über­nom­men. In der Regel machen wir kaum Gewinn – zumal unser Konzept nicht auf Alkoholkonsum beruht.

Salsa hat also etwas Präventives.

Santino: Auf jeden Fall. Ich ken­ne nie­man­den, der an Salsapartys über­mäs­sig Alkohol kon­su­miert.

Eine hei­le Welt, sozu­sa­gen.

Santino: Das ist ein biss­chen über­trie­ben. Aber ich muss schon sagen, dass ich stolz auf unse­re Salsaszene bin: Sie ist fried­lich und lässt nie­man­den allei­ne. Wenn du an einem Abend allei­ne zuhau­se sitzt und in den Ausgang möch­test, kannst du ein­fach an eine Salsaparty gehen. Sofern du bereit bist, mit den Leuten zu inter­agie­ren, gehörst du bald ein­mal dazu.

Im Mai steht für euch eine wich­ti­ge Veranstaltung an: Im Kulturhof in Köniz orga­ni­siert ihr die drit­te Ausgabe des Festivals Steps to get it. Was gibt es für die Besucher zu holen?

Santino: Greifbare Tanzschritte!

Sind nur Tanzprofis zuge­las­sen?

Santino: Nein, kei­nes­wegs. Neben Kursen für blu­ti­ge Anfänger und ver­schwitz­te Profis bie­ten wir inter­na­tio­na­le Shows und ein beson­de­res Highlight – das Konzert mei­ner Lieblingsband: The Resident Mambo. (lacht)

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2011

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