Die ber­li­ner Philharmonie in der eige­nen Stube

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Von Hannes Liechti - Sonntagnachmittag. Bier, Wasser, Züpfe und
Süsses ste­hen bereit. Die Türklingel macht sich bemerk­bar und die ein­ge­la­de­nen, ver­schnei­ten Gäste betre­ten die war­me Stube. Alles ganz wie gewohnt soweit. Nur, auf dem Programm ste­hen weder Jass noch DVD. Nein, in eini­gen Minuten beginnt in Berlin ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Simon Rattle, und wir sind live dabei. Und das ohne Reise nach Berlin und ohne schicke Kleidung. Möglich macht’s die Digital Concert Hall.

Die Digital Concert Hall gibt es seit Ende letz­ten Jahres und sie bie­tet die Möglichkeit, sämt­li­che Konzerte der Berliner Philharmoniker online in Bild und Ton mit­zu­er­le­ben. Alles was man dafür braucht ist ein Internetzugang und eine Kreditkarte: Das Onlineticket fürs Konzert kostet 9.90 Euro, eine Saisonkarte 89 Euro. Zusätzlich zu den Livekonzerten wer­den in einem Archiv alte, zeit­lich nicht gebun­de­ne Aufführungen zum Kauf ange­bo­ten.

Eine Viertelstunde vor Konzertbeginn wird der digi­ta­le Konzertsaal geöff­net und als­bald ist die Stube von geschäf­ti­gem Geschwätz des her­ein­strö­men­den Berliner Publikums erfüllt. Über den Bildschirm flim­mern Bilder von einer ver­schnei­ten Philharmonie. Auf dem Programm steht «Das Paradies und die Peri» von Robert Schumann. Das digi­ta­le Programmheft ver­rät, dass das heu­te sel­ten gespiel­te welt­li­che Oratorium bei sei­ner Uraufführung auf gros­se Begeisterung gestos­sen und für Schumanns Schaffen gar nicht unwich­tig sei.

Mit Spannung erwar­ten mei­ne Gäste und ich nun den Konzertbeginn. In Presse und Internetblogs ist die Digital Concert Hall bereits hoch­ge­lobt und als Beginn einer neu­en Ära bezeich­net wor­den. Ob dem wirk­lich so ist, wird sich bald zei­gen.

Endlich ist es soweit: Die Instrumente sind gestimmt, die SolistInnen und Simon Rattle, der Chefdirigent des inter­na­tio­na­len Starensembles, betre­ten die Bühne. Wie gebannt lauscht das Berliner Publikum den ersten Takten des Stücks und Bern hört und sieht live mit.

Drei Qualitätsstufen ste­hen dem digi­ta­len Konzertbesucher zur Verfügung. Sogar die schlech­te­ste davon über­zeugt voll und ganz, wäh­rend deren höch­ste mit bei­na­he DVD-Qualität auf­war­tet. Voraussetzung ist aller­dings eine lei­stungs­star­ke Internetverbindung: In einem Streamtest kann vor dem Kauf des Tickets vom User über­prüft wer­den, ob das System die Übertragung mit­hält.

Während dem Konzert sor­gen ver­schie­de­ne Kameras dafür, das Konzertgeschehen aus unter­schied­li­chen Blickwinkeln beob­ach­ten zu kön­nen. Anders als im rea­len Konzertsaal ist jedes ein­zel­ne Soli her­vor­ra­gend sicht­bar. Das bringt aber gleich­zei­tig einen Nachteil mit sich: Der Blick des Zuschauers wird durch die Kamera und nicht durch die eige­ne Entscheidung gelenkt. Weiter zei­gen Einblendungen die Titel der ein­zel­nen Nummern des Oratoriums an. Schade ist, dass im digi­ta­len Konzertraum kei­ne Untertitel mit den Librettotexten ange­zeigt wer­den.

Während der Pause wird ein Interview mit Simon Halsey, dem Chefdirigenten des Rundfunkchor Berlins, aus­ge­strahlt. Er spricht über die Geschichte des Chors und über Schumanns Werk. Nichts Neues aller­dings, was man nicht schon aus dem Programmheft hät­te ent­neh­men kön­nen. Die dar­auf fol­gen­de Werbung der Deutschen Bank – Hauptsponsor der Digital Concert Hall nota­be­ne – zer­stört die gan­ze mehr oder weni­ger erfolg­reich simu­lier­te Konzertatmosphäre.

Gleich geht es aber mit dem zwei­ten Teil des Konzertes wei­ter und bald ist der erste Besuch in der digi­ta­len Konzerthalle bereits Geschichte. Das Fazit fällt durch­wegs posi­tiv aus: Grundsätzlich bie­tet die Digital Concert Hall eine neue Möglichkeit, welt­be­rühm­te MusikerInnen in bester Qualität live zu Hause in der Stube zu genies­sen. Nun, die rea­le Konzerthalle ersetzt das Projekt nicht, soll es auch nicht: Die Digital Concert Hall ist eine neue, zusätz­li­che Möglichkeit, sich mit klas­si­scher Musik aus­ein­an­der­zu­set­zen.

Diese neue Form der Konzertübertragung ist zukunfts­wei­send: Es ist durch­aus vor­stell­bar, dass die LiveÜbertragung von Klassik- und auch von Popkonzerten in eini­gen Jahren weit ver­brei­tet ist und von der Musikindustrie als zusätz­li­che, finan­zi­el­le Einnahmequelle ent­deckt wird. Die Berliner Philharmoniker über­neh­men damit erneut eine Vorreiterrolle, nach­dem das Orchester mit Herbert von Karajan 1980 bereits die erste digi­ta­le Einspielung auf CD rea­li­sier­te.

Info: http://dch.berliner-philharmoniker.de

Foto: © Monika Rittershaus / Berliner Philharmoniker
ensuite, März 2009

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