Der sub­ver­si­ve Blockbuster

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Von Benedikt Sartorius - Gleich am Ende der atem­be­rau­ben­den «Itchy & Scratchy»-Trickfilm-im-Trickfilm-Eingangssequenz, in der das Atomwaffenarsenal der US-Armee zum Einsatz kommt, stellt Homer Simpson, Vorsteher der bekann­te­sten ani­mier­ten Familie der Welt, die ent­schei­den­de Frage: «Wie kann man nur so blöd sein, im Kino für etwas zu zah­len, das man im Fernsehen umsonst bekommt!»

Der lang erwar­te­te «The Simpsons Movie» stellt so unmiss­ver­ständ­lich sei­ne Zeichenhaftigkeit und die eige­nen Produktionsbedingungen ins Zentrum und ver­ar­bei­tet alle pop­kul­tu­rel­len Versatzstücke, die in der wild­ge­wor­de­nen Medienwelt umher­flie­gen. Die Kinder spie­len Shootergames, Bart Simpson muss hun­dert­mal an die Wandtafel schrei­ben, dass er die­sen Film nicht down­loa­den darf und ver­teilt lusti­ge Seitenhiebe Richtung Disney, die Leinwand wird durch eine Werbung der SimpsonsProduktionsfirma Fox in Beschlag genom­men und immer wie­der ertönt der Ruf nach einem Sequel.

Grenzenloses Phänomen Diese selbst­re­fle­xi­ve und iro­ni­sche Ebene ist eine Erklärung für die immense Bedeutung der seit acht­zehn Jahren bestehen­den Trickfilmserie und es ist die­se Ebene, die die Simpsons zu einem gern unter­such­ten und ergie­bi­gen Sujet für die Sozialund Kulturwissenschaften macht. Fast noch wich­ti­ger für den immensen Erfolg der über 400 Folgen à 22 Minuten, die bei mehr­ma­li­gem Schauen immer mehr Facetten frei­le­gen, ist die Durchschnittlichkeit der gel­ben Familie und den dar­ge­stell­ten Lebenswelten. Jede und jeder darf sich einen Teil des gren­zen­lo­sen Phänomens abschnei­den und amü­siert sich auf sei­ne Weise, sofern man nicht mit Sittenwächtern und Regierungen vom Schlage der Bush-seni­or-Administration sym­pa­thi­siert, die in den Simpsons ein die Gesellschaft kor­rum­pie­ren­des Element sahen.

Die Handlung des Kinodebüts ist sim­pel: Springfield – die­ser uni­ver­sa­le Nicht-Ort der US-ame­ri­ka­ni­schen Durchschnittsgesellschaft – ist in Gefahr. Die Natur steht am Rande des Kollapses, der See ist längst ver­ätzt und natür­lich will nie­mand, aus­ser der enga­gier­ten Lisa Simpson, auch nur etwas von einer dro­hen­den Katastrophe wis­sen. Schon gar nicht Homer, der durch sei­ne Donutsucht die von Grampa Simpson im reli­giö­sen Delirium beschwo­re­ne Apokalypse aus­löst. Die Folgen sind ein viel­äu­gi­ges Mutantenhörnchen, das nach dem Passieren einer augen­scan­nen­den Sicherheitsschleuse dem dos­sier­un­kun­di­gen Präsidenten Schwarzenegger («I’m elec­ted to lead, not to read») vor­ge­führt wird und ein Glasdom, der gleich einer Käseglocke die Stadt her­me­tisch von der Aussenwelt abrie­gelt – wäre da nicht ein klei­nes Schlupfloch, das der fünf­köp­fi­gen Familie die Flucht vor dem wüten­den Lynchmob ermög­licht.

Die Flüchtlinge rei­sen nach Alaska, das zunächst als para­die­si­sche Anderswelt erscheint, sich durch Ölbohrungen und Details wie der «Eskimoe’s Tavern» aber immer mehr als Spiegelbild der Heimatstadt ent­puppt. Springfield mutiert in Abwesenheit der Simpsons zur vor sich hin vege­tie­ren­den anar­chi­schen Geisterstadt mit maro­die­ren­den Bewohnern, die dem Erdboden gleich­ge­macht wer­den soll. Selbstredend kann es nur einen geben, der Springfield vor dem Untergang ret­ten kann: Homer Simpson, die­ser unver­ant­wort­li­che, toll­pat­schi­ge und doch so lie­bens­wür­di­ge Vielfrass.

Hochkomisches Actionkino Dem «Simpsons Movie» gelingt es, die Möglichkeiten der gros­sen Leinwand mit lie­bens­wür­di­gen Details und vir­tu­os insze­nier­ten Szenen aus­zu­schöp­fen. Barts Nudisten-Skateboardfahrt ist rasen­des Actionkino in 2D, der selbst­mör­de­ri­sche Bombenentschärfungsroboter schön­ster Verweis auf einen ande­ren Monolithen der Hochkomik und wie in Homers Mund – inspi­riert durch sein wan­del­ba­res Hausschwein – das Spiderman-Thema zum Spiderpigsong wird, ist schlicht herz­er­wär­mend komisch. In den tra­di­tio­nel­len Starauftrittszenen par­odiert Tom Hanks sein Image als Gutmensch, der die Glaubwürdigkeit der Regierung hoch­hal­ten muss und Green Day, die mil­lio­nen­schwe­re Fun-Protest-Band, ertrinkt gna­den­los im Lake Springfield.

Weniger über­zeu­gend ist die Darstellung und Einbindung der zahl­rei­chen Nebenfiguren: Dem jäh­zor­ni­gen Erzchristen Ned Flanders gelingt es ent­ge­gen der Serietradition bei­na­he, sich als per­fek­ter Vater zu insze­nie­ren und Russ Cargill – der neu­en Figur in der Simpsons-Welt – geht die Vielschichtigkeit von ande­ren zwie­lich­ti­gen Seriengestalten wie dem Energiemogul Mr. Burns oder SideshowBob ab. Speziell in den Flanders-Szenen schielt das hoch­ka­rä­ti­ge Autorenteam um den SimpsonsErfinder Matt Groening zu stark Richtung Konsens und ver­gisst für kur­ze Zeit die sub­ver­si­ve Kraft des gel­ben, uner­schöpf­li­chen Paralleluniversums, in dem fein­säu­ber­lich und nahe­zu per­ma­nent die Alltagsmythen der glo­ba­len Gesellschaften zer­pflückt wer­den. Überdies gilt: Kein gros­ser Prophet ist, wer die­sem Film mehr Wirkung als Al Gores Klimafilm «An Inconvenient Truth» zuspricht, auch wenn die Hebebühne bei Lisas Präsentation erheb­lich klemmt.

Bild: zVg.
ensuite, August 2007

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