Denis Villeneuve: Sicario

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SICARIO Day 01

Von Sonja Wenger – «Wir kön­nen es uns gar nicht lei­sten, den Krieg gegen die Drogen in Mexiko zu gewin­nen», sag­te der US-Schriftsteller Don Winslow im Frühling in einem Interview mit dem deut­schen «Spiegel»-Magazin. «Würden wir ihn gewin­nen, ver­fie­len die USA wie auch Mexiko in eine Wirtschaftsdepression.»

Der Autor der äus­serst fes­seln­den, semi­fik­tio­na­len Romane «Tage der Toten» (The Power of the Dog, 2005) und des­sen Anfang 2015 erschie­ne­ner Fortsetzung «Das Kartell» (The Cartel) zeigt in sei­nen akri­bisch recher­chier­ten Büchern, wie stark die mexi­ka­ni­schen Drogenkartelle mit der Wirtschaft, und dadurch auch mit der Politik ihres Landes ver­bun­den sind, und wie hoff­nungs­los, ja kon­tra­pro­duk­tiv der seit über vier­zig Jahren wüten­de «Krieg gegen die Drogen» in Zentral- und Südamerika tat­säch­lich ist.

Dieser Krieg, der bereits 1971 vom dama­li­gen US-Präsident Richard Nixon aus­ge­ru­fen wur­de, und in dem es heu­te in erster Linie um ter­ri­to­ria­le Einflussgebiete und gegen die feind­li­che Übernahme gan­zer Wirtschaftszweige geht, hat in den letz­ten fünf­zehn Jahren allei­ne in Mexiko schät­zungs­wei­se hun­dert­tau­send Opfer gefor­dert. Sehr vie­le von ihnen waren nor­ma­le Bürgerinnen und Bürger, Bauern, Migrantinnen, Medienschaffende oder Angestellte der öffent­li­chen Dienste, die kei­ne Verbindung zum Drogenhandel hat­ten, die sich gegen die Gewaltexzesse in ihrem Land wehr­ten, oder ein­fach zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort waren. Heute ist das Leben in vie­len Grenzgebieten domi­niert von Gewalt der Drogenbanden, oder gleich ganz aus­ge­stor­ben. Und die Macht der Kartelle scheint unge­bro­chen.

Dass die­ser Krieg inzwi­schen auch im Süden der USA aus­ge­tra­gen wird, die über eine 3100 Kilometer lan­ge Grenze mit Mexiko ver­fü­gen, ver­wun­dert des­halb wenig. Die USA sind noch immer der Hauptabsatzmarkt für die Drogen die­ser Welt. Im Schatten der anhal­ten­den Migrationsströme aus Zentralamerika fas­sen heu­te die Kartelle in den USA noch stär­ker Fuss als bis­her. Und die star­ke Militarisierung der US-Bundes- wie auch der Grenzpolizei, sowie die Zusammenarbeit des US-Militärs und der Drogenbehörde DEA mit dem mexi­ka­ni­schen Staat, lässt vie­le der Auseinandersetzungen auf bei­den Seiten der Grenze eska­lie­ren.

Doch trotz ihrer Bewaffnung ste­hen die US-Behörden auf ver­lo­re­nem Posten. Sogar wenn gros­se Fische des Drogenhandels geschnappt wer­den, ist dies auf der Strasse längst nicht mehr spür­bar. Und eine zuneh­men­de Zersplitterung der Kartelle in Mexiko sorgt nicht nur dafür, dass der Nachschub nie ver­ebbt, son­dern auch für eine end­lo­se Fortsetzung der Gewaltspirale um Einflussgebiete und Lieferrouten.

Genau die­se Situation dient als Ausgangslage für Denis Villeneuves neu­en Film «Sicario». Während eines tak­ti­schen Einsatzes in einem Entführungsfall wer­den die FBI-Agentin Kate Mercer (Emily Blunt) und ihr Team mit der Erkenntnis kon­fron­tiert, dass die Drogenkartelle inzwi­schen auch im Bundesstaat Arizona Menschen gleich zu Dutzenden abschlach­ten. Die trau­ma­ti­schen Bilder moti­vie­ren Mercer dazu, sich mit dem Einverständnis ihrer Vorgesetzten einer klan­de­sti­nen Einsatztruppe anzu­schlies­sen, die gegen das für die Massaker ver­ant­wort­li­che Kartell vor­ge­hen will, und die unter der Leitung des myste­riö­sen Matt (Josh Brolin) steht.

Doch kaum ist sie mit der Truppe unter­wegs, die sich ein­deu­tig aus Soldaten, CIA-Söldnern, des­il­lu­sio­nier­ten DEA-Agenten, und dem eben­falls myste­riö­sen Alejandro (Benicio del Toro), einem ehe­ma­li­gen kolum­bia­ni­schen Staatsanwalt zusam­men­setzt, betritt sie mexi­ka­ni­sches Territorium, und ihre ehren­haf­ten Motive lösen sich über Nacht in Luft auf. Bis Mercer her­aus­fin­det, was ihre eigent­li­che Rolle in Matt’s Team dar­stellt, steckt sie bereits knie­tief in einer Operation, die mit Recht und Gesetz nichts mehr zu tun hat.

Der kana­di­sche Regisseur Villeneuve, der in den letz­ten Jahren mit sei­nen Filmen «Incendies», «Prisoners» oder «Enemy» das Publikum stets aufs Neue in Bann zu zie­hen ver­moch­te, hat erneut ein Meisterwerk geschaf­fen. «Sicario» – in Mexiko die Bezeichnung für einen Auftragsmörder – ist einer der besten Filme der letz­ten Jahre, die sich mit dem Drogenkrieg und sei­nen Auswirkungen auf die mexi­ka­ni­sche wie auch die US-ame­ri­ka­ni­sche Gesellschaft befasst haben.

Es liegt in der Natur des Themas, dass der Film und gewis­se Szenen dar­in kei­ne leich­te Kost sind. Wer sich zuvor schon mit dem Thema aus­ein­an­der­ge­setzt hat, weiss, mit wel­chem Sadismus die Kartelle mor­den, und dass ver­stüm­mel­te Leichen auf den Strassen Mexikos, wenn nicht Teil des Alltags, so doch kei­ne Seltenheit sind.

S_D18_05049.NEFEntsprechend ist «Sicario» ein visu­el­ler Trip in die Hölle der Realität. Während zwei Stunden pumpt einem der Film ohne Unterlass das Adrenalin durch die Venen. Er tut dies durch eine Musik, die bei­na­he medi­ta­tiv wirkt und doch sub­til eine dau­er­haf­te Bedrohung ent­ste­hen lässt, mit sei­nen atem­be­rau­ben­den Kameraeinstellungen, sen­sa­tio­nel­len Bildkompositionen und Luftaufnahmen des Grenzgebietes, und nicht zuletzt mit intel­li­gen­ten Dialogen und einer gänz­lich unprä­ten­tiö­sen Geschichte, die genug Raum für über­ra­schen­de Wendungen lässt.

Mit bei­na­he wohl­tu­en­dem Realismus zeigt «Sicario», dass es in einer Situation, deren Ausgangslage – der Drogenkonsum und das Milliardengeschäft dar­aus – nicht zu ändern ist, nur noch dar­um gehen kann, den Schaden ein­zu­gren­zen. «Nichts wird für euch Amerikaner Sinn erge­ben, und ihr wer­det allem miss­trau­en, was wir tun», sagt Alejandro zu Beginn der Geschichte zu Kate. «Am Ende aber wer­det ihr ver­ste­hen.»

Und genau dar­um geht es. Um das Verstehen. Verstehen, wor­um es in einer Situation, die längst die Grenze des Begreifbaren über­schrit­ten hat, wirk­lich geht. Begreifen, wie sehr der Drogenkrieg das Denken und den Alltag der Menschen beein­flusst. Und um die Frage, wie sehr man, um mit Bertolt Brechts Worten zu spre­chen, «im Schmutz ver­sin­ken und den Schlächter umar­men» muss, um die Welt wenig­sten ein biss­chen zu ändern?

«Sicario», USA 2015. Regie: Denis Villeneuve. Länge: 121 Minuten. Ab dem 8. Oktober 2015 in Deutschschweizer Kinos.

Bücher:
Don Winslow: «Tage der Toten». Suhrkamp Verlag. Berlin 2010. 689 Seiten.
Don Winslow: «Das Kartell». Droemer Knaur Verlag. München 2015. 832 Seiten.

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