Das Wunder im Schnee von Pieter Bruegel dem Älteren in Winterthur

Von

|

Drucken Drucken

Von Dr. Regula Stämpfli - Zunächst geschah mir ein Wunder, wenn auch ein klei­ne­res als das von Bruegel. Am 22. November 2019 mach­te ich mich ohne Scheu und Not, mit Koffern und in Stiefeln, schliess­lich war es schon bit­ter kalt gewor­den, auf den Weg in die Sammlung „Oskar Reinhart Am Römerholz“. Dem muss man vor­aus­schicken, dass Google Maps die Distanz auf nur 1.8 km fest­ge­legt hat­te und ich der Meinung bin, dass jede Strecke unter einer Stunde locker zu Fuss zu über­wun­den ist. Als Orts- und Orientierungsfremde hin­ge­gen, rech­ne­te ich nicht mit dem Höhenunterschied. Mit abge­kämpf­ter Haltung, mein Gesicht eher einer wäch­ser­nen Puppe gleich, kam ich am ein­drück­li­chen Tor der Sammlung „Oskar Reinhart Am Römerholz“ an und ent­deck­te zu mei­nem Schrecken das, was auf der Onlineseite des Museums gefehlt hat­te: „Wegen Ausstellungseröffnung“ ein GESCHLOSSEN-Zeichen. Ob dem Lärm, den ich auf­grund des Schildes ver­ur­sach­te, auf­ge­schreckt, wies mir eine aus­ser­or­dent­lich ele­gan­te Dame den Weg ins Museum, nach­dem sie mich vor­her sehr aus­ge­sucht gefragt hat­te, ob ich denn als Journalistin auch ange­mel­det sei. Geistesgegenwärtig zück­te ich mei­nen Presseausweis und ent­schul­dig­te mich für mei­ne Verspätung. So kam es, dass ich „Das Wunder im Schnee“ in einer exlu­si­ven Führung von Kerstin Richter, die im Katalog auch die Geschichte der „Anbetung der Heiligen Drei Könige im Schnee“ von Pieter Bruegel erzählt, erle­ben durf­te.

Schweine, toll­drei­ste Männer, Mörder, der­be Frauen, pral­le Mägde, rot­wan­gi­ge Bauern, Tagediebe, abge­kämpf­te Pferde, häss­li­che Fratzen, vor vol­ler Speisen ber­sten­de Tische – von Breugel kann man nie genug krie­gen. In Wien ging die­ses Jahr die Jahrhundertshow zu Ende, eine Masse an Gemälden, Stichen und Menschen, die einen Gegenwartsmaler zu ähn­li­chen Impressionen ver­füh­ren könn­te wie Pieter Bruegels Blick auf sei­ne ganz eige­ne Zeit gelei­stet hat. In Winterthur begeg­net man einem ganz ande­ren Maler, der sehr zurück­hal­ten­den Stadt ange­mes­sen, ein „Wunder“ auf den zwei­ten Blick.

Das Bild „Die Anbetung der Heiligen Drei Könige im Schnee“ ist zwar ver­gleichs­wei­se klein, doch umso ein­drück­li­cher in sei­ner Aura der Originalität, der Farben, der Komposition, der Figuren ihrer bemer­kens­wer­ten Glorie gemalt. Die Tafel ist seit Jahrhunderten Teil glo­ba­ler Kunstsammlungen. Der Antwerpener Handelsherr und pas­sio­nier­te Sammler, Peeter Stevens (1590–1668),  mein­te zum Tableau, es sei „ein klei­nes Stückchen, auf dem es schneie.“ Dann wan­der­te die Tafel nach Köln, wahr­schein­lich bis 1695 im Besitz eines Kölner Bankiers. Doch dann beginnt das Mysterium der Reise des „Wunder im Schnee“, wie ich das Bild auch ger­ne nen­ne, da es nicht nur kür­zer als die „Anbetung“ ist, son­dern auch zutref­fen­der scheint. Seiner Zeit fol­gend fer­tig­te Pieter Bruegel der Ältere die Tafel für welt­li­che Mäzene an; Geldgeber, die seit dem 14. Jahrhundert die Kirche als wich­tig­sten Auftraggeber für Kunst ersetz­ten. Die detail­lier­te stoff­li­che Oberfläche, die klein­sten Detailbetrachtungen, die Annäherung an das bis da eher geäch­te­te Bauernvolk über­nahm der „Drol“, der etwas selt­sa­me „Bauernbruegel“ ger­ne von der welt­weit ein­zig­ar­ti­gen flä­mi­schen Malerei. Unverkennbar auch die Bildersprache von Hieronymus Bosch bei Breugel, des­sen Maria im „Wunder im Schnee“ ziem­lich grob­schläch­tig daher­kommt.

Zweihundert Jahre blei­ben also die Wege der „Anbetung der Heiligen Drei Könige im Schnee“ unbe­kannt. Erst 1905 wird die „Anbetung der Könige“ im Kanon der Kunstgeschichte auf­ge­grif­fen und zwar vom schwe­di­schen Kunsthistoriker Axel Ludvig Romdahl (1880–1951). Bedauernd meint jedoch der Schwede, dass das wun­der­ba­re Gemälde im Original lei­der ver­schol­len sei. Zum Glück für uns Nachgeborene ist dem nicht so und wir bewun­dern dank Oskar Reinharts Kunstsinn die ein­drück­li­che Malerei. Reinhart soll am 27. September 1930 mit der berühm­ten Galerie Cassirer in Berlin kom­mu­ni­ziert haben, um end­lich einen Breugel zu krie­gen. Leider war zu dem Zeitpunkt das Gemälde „Anbetung der Könige im Schnee“ schon dem rei­chen Ehepaar Koenig ver­spro­chen. Doch irgend­was muss pas­siert sein, denn Oskar Reinhart konn­te am ersten Oktober 1930 das Bild ohne Angabe der Vorbesitzer in Winterthur in Empfang neh­men.

Pieter Bruegel der Ältere ist ein Faszinosum, das sich auf der Webseite „Inside Bruegel“ haar­klein stu­die­ren lässt. Da kön­nen die wahr­haf­ti­gen Bruegel-Fans, und – wer ist das nicht ange­sichts die­ses selt­sa­men Drol-Genies der Malerei und des Kunsthandwerks? –in aller Detailversessenheit in den hoch­auf­ge­lö­sten Werken rum­sur­fen. Doch zum Abschluss noch eine der sku­ril­sten Geschichten rund um Breugel, dem Bauernmaler, der die Landbevölkerung für Städter abbil­de­te. Man schrieb das Jahr 1565 und Bruegel mal­te ein Bild des Grauens: „Der Bethlehemitische Kindermord“. Im Bild met­zeln in wal­lo­ni­sche Kleidung gehüll­te Soldaten Babies und Kleinkinder in einem nie­der­län­di­schen Bauerndorf. Es muss ein unbe­streit­ba­res Bild des Grauens gewe­sen sein, denn anschei­nend soll der spä­te­re Besitzer, der König von England, das Tableau als der­art furcht­erre­gend emp­fun­den haben, dass all die Liquidationsszenen durch Tiere und Gegenstände über­malt wur­den. Wenn man indes­sen genau­er hin­sieht, erkennt man an eini­gen Frauen noch das abscheu­li­che Verbrechen in ihre Gesichter gemalt. Spooky, wahr­haf­tig ent­setz­en­er­re­gend.

 

Die Ausstellung in Winterthur lohnt sich aus vie­len Gründen, zumal die Stadt sel­ber auch zur Erkundung ihrer histo­risch emi­nent wich­ti­gen Bedeutung in der euro­päi­schen Industriegeschichte ein­lädt. Die Sammlung Oskar Reinhart „Am Römerholz“ bie­tet neben Breugel eine schö­ne Auswahl mei­ster­haf­ter Klassiker und bedeu­ten­de Werke der klas­si­schen Moderne.

Nach viel zu kur­zen zwei Stunden muss­te ich mich von der Oskar Reinhart „Am Römerholz“ los­reis­sen, um mit Koffer, bepackt mit Katalog, Postkarten und Pressemappe den Zug nach München nicht zu ver­pas­sen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 1. März 2020.

Webseite: https://www.roemerholz.ch/sor/de/home.html

Inside Breugel sie­he https://www.insidebruegel.net/

 

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo