Das inspi­ra­ti­ve Moment

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Von Till hill­brecht - Nachdem das letz­te Minifestival der Dampfzentrale mit dem Künstler John Cage ein auch bei Aussenstehenden bekann­ter Name auf­tisch­te, wid­met sich die­se Ausgabe einem eben­so gros­sen,
aber von vie­len Unbekannten und Legenden beglei­te­ten Namen: Dem Meister Giacinto Scelsi. Scelsi, der mehr Kreator intui­ti­ver Musik als Komponist war, dürf­te sich heu­te zwar über wei­te Bekanntheit und Anerkennung sei­nes Werkes freu­en, über sein Leben weiss man aller­dings kaum etwas aus siche­rer Hand.

Conte Giacinto Francesco Maria Scelsi d’Ayala Valva, wie er mit vol­lem Namen hiess, war ein äus-serst öffent­lich­keits­scheu­er ita­lie­ni­scher Musiker abseits von Traditionen. Sein Leben als Komponist des 20. Jahrhunderts ist eben­so schwie­rig zu erfor­schen wie sei­ne frü­he­ren Leben, die er eige­nen Angaben nach als Assyrer am Euphrat im vor­christ­li­chen Mesopotanien und spä­ter zu Zeiten Alexander des Grossen (als Komponist von des­sen Begräbnismusik) ver­bracht hat. Von sei­ner Gestalt als Musiker des letz­ten Jahrhunderts – gebo­ren 1905 in La Spezia, gestor­ben 1988 in Rom – gibt es kei­ne ein­zi­ge auto­ri­sier­te Fotografie und der Versuch, sein Werk zu hal­ten und zu fixie­ren ist eben­so ein Griff in die Luft.

Scelsis eigen­wil­li­ge Auseinandersetzung mit Musik und Instrument las­sen aber auch das musi­ka­li­sche Werk nur schwer bis gar nicht schub­la­di­sie­ren, und gera­de in die­ser Unfähigkeit, sei­ne Musik in gül­ti­ge Gefässe legen zu kön­nen, liegt das Herz sei­nes Schaffens: Er lehn­te das Notieren der Werke gänz­lich ab und liess sei­ne impro­vi­sa­to­ri­schen Konzepte ab Band tran­skri­bie­ren. Seine anti­tra­di­tio­nel­le Haltung gegen­über gän­gi­ger Kompositionspraxis mün­det im erstreb­ten sphä­ri­schen Klang, den der Italiener durch mikro­to­na­le Bausteine geformt hat.

Das Moment der Inspiration blieb als rohe Substanz stets der leben­di­ge Kern sei­ner Stücke. Umso schwie­ri­ger und frag­wür­di­ger, die­se zu inter­pre­tie­ren: Wo doch gera­de Interpretation einer notier­ten Komposition das ist, was Scelsi nie woll­te.

Und den­noch wid­met die Dampfzentrale dem Musiker und Dichter ein drei Tage lan­ges Minifestival. Und doch wird es funk­tio­nie­ren.

Denn was das Festival vom 4. – 6. März bie­ten wird, ist kei­ne Anhäufung ver­such­ter Interpretationen von Scelsi-Stücken, son­dern viel­mehr ein Gefäss von Musik und Performance im Geiste Scelsis. So führt die rus­si­sche Performerin und Sängerin Natalia Pschenitschnikowa mit klei­nen Aktionen über die Treppe des Foyers («Scelsi-Code») und legt ihre Solostimme Stufe für Stufe wach­send die Treppe hin­auf, ver­sin­kend die Treppe hin­ab auf den Boden der Dampfzentrale.

Mit Tönstör – dem Programm zur Vermittlung Neuer Musik – brin­gen Kinder einer 4. Schulklasse die Klangwelt des Giacinto Scelsi mit klei­nen musik­thea­tra­li­schen Szenen auf die Bühne. Zum Festivalabschluss wer­den fünf Solostücke von Giacinto Scelsi in einer Hommage – dann eben doch – inter­pre­tiert. Einen Geist zu per­so­ni­fi­zie­ren gelingt nicht ganz ohne Darstellung sei­nes Schaffens. Das Verkörpern des inspi­ra­ti­ven Moments und der Griff in die – viel­leicht dann doch nicht ganz lee­re, son­dern mit der Aura Scelsis gefüll­te – Luft wagen fünf Musiker, die das Karma des Hauses Dampfzentrale schon seit län­ge­rem prä­gen: Die Lokalmatadoren Bela Szedlak (I Salonisti), Katharina Weber, Christian Kobi, Marianne Schuppe und Donna Molinari tra­gen fünf Solostücke von Scelsi vor. Ihren Interpretationen wird das end­lo­se Haiku «Nicht bei Trost» des Berner Schriftstellers Franz Dodel unter­legt, der sei­nen Text als Verbindungselement manch­mal hör­bar, dann wie­der stumm liest.

Das Minifestival ist ein Griff nach dem schwer fass­ba­ren Klang Giacinto Scelsis, nach der schöp­fe­ri­schen Kraft die­ses geheim­nis­vol­len Komponisten, nach die­sem Kern des Moments – und viel­mehr noch ist es der Versuch, ein sol­ches Moment der Inspiration nicht zu inter­pre­tie­ren, son­dern es selbst ent­ste­hen zu las­sen. Das wäre wohl, was der Conte Giacinto Francesco Maria Scelsi d’Ayala Valva sich wün­schen wür­de: Keine Beschwörungsrituale eines genia­len Geistes zu betrei­ben, son­dern die Erkenntnis sei­ner weg­be­rei­ten­den musi­ka­li­schen Hinterlassenschaft zu nut­zen.

ensuite, März 2009

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