Das Durchbrennen: Teil 3

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Von Ursula Lüthi - Berufe und Burnout Die Antworten auf Fragen kön­nen für Menschen eine exi­sten­zi­el­le Bedeutung gewin­nen. Wie Fragen zum Beispiel: Was lässt Menschen aus­bren­nen? Was ist das Wesen die­ses Zustandes? Und wo lie­gen die Ursachen? Oder was kann man dage­gen tun? Denn es geht hier um das Überleben in Arbeits- und Lebensbedingungen, die von vie­len enga­gier­ten und wert­vol­len Menschen kaum oder nicht mehr ertra­gen wer­den, so nach Aronson, Pines und Ditsa. Umgangssprachlich und in der her­kömm­li­chen Burnout-Forschung wur­den die Pflegeberufe, die Sozialdienste sowie die Berufe im Umgang mit Menschen als typi­sche Umfelder, in denen Burnout «pas­sie­ren» kann, her­aus­ge­stri­chen. Doch lässt sich das Phänomen genau­so gut im fami­liä­ren Umfeld und im part­ner­schaft­li­chen Bereich fest­stel­len. Nicht das Tun ist mass­ge­bend, son­dern das Empfinden von Befriedigung und Selbst-Akzeptanz gehö­ren zur Einstufung, ob Burnout ansteht oder nicht. Aus die­sem Grund kann nicht ein­zig Stress als Kriterium genom­men wer­den. Denn Stress kann genau­so gut ein kon­struk­ti­ves Kriterium sein, wenn es dar­um geht, sich in sei­nem Umfeld zu ori­en­tie­ren bezie­hungs­wei­se Motivation und Befriedigung gesund ein­stu­fen zu kön­nen. Ein aus­ge­brann­ter Mensch hat zual­ler­erst gebrannt in sei­nem Umfeld, bevor er sich aus­ge­brannt wie­der­fin­det. Im aus­ge­brann­ten Zustand kann von einer Orientierungslosigkeit oder einer Haltlosigkeit von Werten gespro­chen wer­den. Diese Haltlosigkeit lei­tet prak­tisch einen Strudel von Sinnlosigkeit ein sowie eine unaus­ge­gli­che­ne Selbstwerteinschätzung. Sven Max Litzcke und Horst Schuh mei­nen kurz: «Inzwischen gibt es kaum einen Beruf, in dem nicht auf irgend­ei­ne Weise die Gefahr des ‹Ausbrennens›» besteht.» Es wird deut­lich, dass enga­gier­te Menschen sich wäh­rend der Wahrnehmung der Pflichten und mit der Zeit inner­halb des Umfeldes so stark aus­rich­ten, dass die Anerkennungsspirale mit Wertung von Preis und Leistung wächst. Selbstbestimmtes «Jetzt-ist-genug» und «Ich-erlau­be-mir-hier-Aufzuhören» zei­gen sich meist erst mit der brüs­ken Kündigung eines Mitarbeiters, der inner­lich rea­li­siert, dass ihm unter dem Stempel der «Professionalität» im gehetz­ten Tagesablauf die Lebensfreude oder die Leistungsbereitschaft abhan­den gekom­men sind. Eine ver­än­der­te Wahrnehmung zum Leistungs- und Zeitverhältnis stellt sich nach Viviana Simonetta Abati bei jedem die­ser Resultate ein: «Produktionsverlust, Lohnausfallkosten, Krankentaggeld-Kosten, Langzeitausfälle, Mehrbelastung der ande­ren Teammitglieder und dadurch erhöh­te Ausfallgefahr ande­rer Personen, Unruhe und Unsicherheit bei den ande­ren Mitarbeitenden, Belastung der Unternehmenskultur, sin­ken­de Identifikation mit dem Unternehmen der ver­blei­ben­den Mitarbeitenden, Misstrauen, usw.» Was ist denn das aus­glei­chen­de Pendel in die ande­re Richtung? Man könn­te fast mei­nen, dass das Zaubermittel gegen das Ausbrennen sich mit Geduld beschrei­ben lies­se, doch wel­ches Umfeld möch­te denn Mitarbeiter heu­te noch «dul­den»? In der Ironie der Frage lässt sich lesen, wie ein mensch­li­ches Wesen im indu­stri­el­len Zeitalter mit rasan­ten tech­no­lo­gi­schen Entwicklungen und kom­mu­ni­ka­ti­ons­rei­chen Zellen sich zurecht­fin­den darf: Was ist Menschlichkeit und was ist Menschlichkeit heu­te? Ist Burnout mög­li­cher­wei­se ein Syndrom, das der indu­stri­el­len Revolution zuzu­schrei­ben ist oder doch eher einer Entwicklung der Menschen inner­halb einer jeder Gesellschaftsform?

Angepasst und fröh­lich In ihrem Buch zur Burnout-Forschung schreibt Ina Rösing, dass Burnout nicht nur sehr ver­brei­tet sei, son­dern auch eine hohe gesell­schaft­li­che Relevanz auf­wei­se. Burnout sei in ver­schie­de­nen Bereichen des Lebens zu fin­den, doch in Bezug auf den Beruf am mei­sten unter­sucht wor­den. Im Beruf wer­de oft inter­pre­tiert, dass ein Berufstätiger hin­ter dem Begriff Burnout sei­ne Lustlosigkeit, Faulheit oder Arbeitsunzufriedenheit ver­stecke, jedoch kann eben­so gut ein ernst zu neh­men­der Zustand dahin­ter stecken. Diesen Fragen geht Ina Rösing im Vergleich zu ande­ren Kulturen und ähn­li­chen Phänomenen wie dem «Seelenverlust in den Anden» oder dem «Seelenverlust im Himalaya» nach. In der her­kömm­li­chen west­li­chen Forschung spie­len Gleichgewichtsmodelle und Emotionstheorien eine zen­tra­le Rolle, wobei die Betroffenen als «aus­ge­brann­te Figuren» und «zart­be­sai­te­te, insta­bi­le, kla­gen­de und stöh­nen­de Zeitgenossen» ver­stan­den wer­den und «auf­ge­fan­gen, geschützt und geheilt wer­den, damit sie dann wie­der funk­ti­ons­tüch­tig in den Betrieb, in die Arbeitswelt, in die Wirtschaft und in unse­re Gesellschaft ein­ge­glie­dert wer­den kön­nen.» Rösing hebt Gegentendenzen her­vor, wobei sie ver­sucht, die Pathologisierung bezie­hungs­wei­se «das Prinzip vom Individuum selbst zu ver­ant­wor­ten­de Zustand einer fehl­an­ge­pass­ten Persönlichkeit zu sehen.» Dies in Aussicht auf einen Menschen, der ange­passt ist: «Angepasst ist ein Mensch, der unter allen Bedingungen fröh­lich arbei­tet und lebt.» Interessant ist die­ser Ansatz der posi­ti­ven Psychologie in den Gegentendenzen, wel­cher auf der sub­jek­ti­ven Ebene «wert­vol­le sub­jek­ti­ve Erfahrungen: Wohlbefinden, Zufriedenheit und Erfüllung (in der Vergangenheit); Hoffnung und Optimismus (im Blick auf die Zukunft); und flow (Fluss) und Glück (in der Gegenwart) anord­net. Auf der indi­vi­du­el­len Ebene geht es um posi­ti­ve indi­vi­du­el­le Eigenschaften: die Fähigkeit zur Liebe und Hingabe, um Mut, inter­per­so­nel­les Geschick, Sinn für Ästhetik, Ausdauer, Versöhnlichkeit, Originalität, Zukunftsgericht-Sein, Spiritualität, Talent, und Weisheit. Auf der kol­lek­ti­ven Ebene geht es um gesell­schaft­li­che Tugenden und um Institution, wel­che die Menschen zu einem bes­se­ren Umgang mit­ein­an­der bewe­gen: Verantwortung, Sich-Kümmern, Altruismus, Höflichkeit, Mässigung, Toleranz und Arbeitsmoral.» Diese Wahrnehmung beinhal­tet mehr Nähe zum Menschen als zur Industrie. Daher kann dem Ansatz ein gesund­heits­ori­en­tier­tes und eine kul­tu­rell unab­hän­gi­ge Konnotation zuge­schrie­ben wer­den.

Die Forschung Die demo­gra­fi­sche Variable in der Burnout-Forschung nach Schaufeli und Enzmann, wel­che am ehe­sten mit Burnout kor­re­liert, ist das Alter: Ältere Arbeitnehmer haben eher weni­ger Burnout, dazu passt, dass auch die Arbeitserfahrung (Arbeitsalter, Länge der Tätigkeit inner­halb eines Berufs) eher nega­tiv mit Burnout kor­re­liert. Rösing erläu­tert wei­ter: «Gefährdet also sind beson­ders jene Menschen, die in ihrer Arbeit den eigent­li­chen Sinn ihres Lebens suchen, dar­in aber ent­täuscht wer­den.» Burnout betrifft die Gesellschaft als Produktivitätsumlagerung. Rösing plat­ziert den Begriff Burnout als «über­wie­gend ein Produkt west­li­cher, indu­stri­el­ler, kapi­ta­li­sti­scher Staaten.» Sie führt aus: «Ein Blick in ande­re Kulturen zeigt, dass emo­tio­na­le Erschöpfung [eine Komponente von Burnout] sicher kein schlech­ter Kandidat für trans­kul­tu­rel­le Gültigkeit ist bezie­hungs­wei­se uni­ver­sell vor­kommt, eben­so wie Freude, Trauer und ande­re Grundemotionen.» Einzig die Auslöser, Ausdruckformen, Verhaltensumsetzungen die­ser Grundemotionen sind kul­tu­rell unter­schied­lich. Rösing run­det ab mit dem Gedanken an die Forschung selbst: «Wenn man bedenkt, wie vie­le Berufe es noch zu unter­su­chen gäbe und wie vie­le Länder und Kulturen, so sieht man mit eini­gem Schrecken eine neue Welle mono­to­ner Burnout-Forschung auf einen zukom­men.» Es gilt dem­nach auf­zu­pas­sen, dass die Burnout-Forschung nicht sel­ber aus­brennt. Alle Quellenreferenzen sind aus gestal­te­ri­schen Gründen unter­las­sen.

ensuite, November 2009

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