Beltracchi – Die Kunst der Fälschung

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Von Sonja Wenger – Was ist Kunst? Wann ist ein Gemälde «echt»? Respektive: Was unter­schei­det den genui­nen Künstler vom talen­tier­ten Handwerker? Laut ein­hel­li­ger Meinung der Kunstwelt ist es der eigen­stän­di­ge, ursprüng­li­che und inno­va­ti­ve Gedanke, der einem Maler zuzu­schrei­ben ist und der in sei­nem Stil oder in sei­ner Motivwahl erkenn­bar wird. So etwa durch die Befreiung von Farben, Formen und Stilmitteln, mit der sich die Protagonisten des Expressionimus Ende des 19. Jahrhunderts gegen die bestehen­den ästhe­ti­schen Erwartungen auf­lehn­ten, und dadurch erst die Grundlagen für völ­lig neue Stilrichtungen wie den Konstruktivismus oder die Neue Sachlichkeit geschaf­fen haben. Und auch der Dadaismus, der Anfang des 20. Jahrhunderts ent­stand, setz­te nach­hal­ten­de Impulse in der Kunst, weil sich die KünstlerInnen in jener Zeit des Umbruchs vor und nach dem Ersten Weltkrieg gleich gegen eine gan­ze Epoche und ihr Wertesystem auf­lehn­ten.

Wären die Kriterien ande­re, so wäre der Maler Wolfgang Beltracchi heu­te viel­leicht ein gefei­er­ter Künstler statt ein ver­ur­teil­ter Kunstfälscher. Beltracchi, sei­ne Frau Helene und zwei wei­te­re Personen flo­gen 2008 auf, nach­dem sie fast vier Jahrzehnte lang den inter­na­tio­na­len Kunstmarkt mit Fälschungen berühm­ter Maler wie Max Ernst, Heinrich Campendonk oder Max Pechstein regel­recht geflu­tet und dabei zwi­schen zwan­zig und fünf­zig Millionen Euro Gewinn gemacht hat­ten. In einem der «gröss­ten Kunstfälscher-Prozesse der Welt seit dem Zweiten Weltkrieg» wur­den Beltracchi und sei­ne Frau zu meh­re­ren Jahren Haft (im offe­nen Vollzug) und einer hohen Schadenersatzsumme ver­ur­teilt.

Wie der Kunstfälscher vor­ging und wie er mit sei­nen HelferInnen renom­mier­te Auktionshäuser und Kunstexperten narr­te, zeigt der Dokumentarfilm «Beltracchi – Die Kunst der Fälschung» des deut­schen Regisseurs Arne Birkenstock. Der Film bie­tet eine inter­es­san­te Mischung an Informationen und lässt fast alle Seiten zu Wort kom­men, so etwa ver­schie­de­ne Kunstexperten, betrof­fe­ne GaleristInnen, ein Sammlerehepaar, den ermit­teln­den Polizisten René Allonge, und natür­lich die Familie Beltracchi selbst.

Weniger pikant denn wis­sens­wert ist dabei: Regisseur Birkenstock ist der Sohn von Beltracchis Anwalt. Diese Verflechtung ermög­lich­te es Birkenstock aber über­haupt erst, an Beltracchi her­an­zu­kom­men, da die­ser sei­ne Medienauftritte anson­sten akri­bisch kon­trol­liert. Böse Zungen haben im Vorfeld des Kinostarts behaup­tet, der Film bie­te Beltracchi eine zu gros­se Plattform zur Selbstdarstellung. Nicht gänz­lich zu unrecht. «Die Kunst der Fälschung» ist aller­dings weit davon ent­fernt, ein Vehikel der Rehabilitierung zu sein. Im Gegenteil: Immer wie­der scheint sich Beltracchi selbst zu ent­lar­ven. Etwa wenn er frei von der Leber weg – und mit durch­aus erhei­tern­den Anekdoten – erzählt, was er per­sön­lich von der Kunst und den Künstlern hält. Wie er und sei­ne Frau mit wil­den Geschichten und viel Fantasie KunstexpertInnen und Galerien über den Tisch zogen. Oder wenn er mit viel Chutzpe und drei­stem Charme die Gier des Kunstmarkts für sei­nen «Erfolg» mit­ver­ant­wort­lich macht.

Spannend ist auch, Beltracchi bei sei­ner «Methode» der Fälschung zuzu­se­hen, die er offen preis­gibt. Dabei han­delt es sich um ein aus­ge­klü­gel­tes und auf­wän­di­ges System, bei dem es um den gekonn­ten Einsatz zeit­ge­rech­ter Materialien und künst­li­cher Alterung geht. Spätestens hier schwankt man als Publikum: Die Szenen rin­gen einem Anerkennung für das hand­werk­li­che Können Beltracchis ab, sind aber gleich­zei­tig Ausdruck sei­ner beacht­li­chen kri­mi­nel­len Energie. Der Regisseur über­lässt es dabei dem Publikum selbst, sich eine Meinung über das Ausmass des Verbrechens zu bil­den.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Beltracchi schluss­end­lich gera­de wegen sei­nes Erfolgs auf­ge­flo­gen ist. Er, der über ein brei­tes Wissen über Restaurationsmethoden und Maltechniken ver­fügt, der mit einem erstaun­li­chen male­ri­schen Talent geseg­net ist und lan­ge mit akri­bi­schem Perfektionismus vor­ging, fing irgend­wann an, Fehler zu machen und die fal­schen, sprich zu moder­ne Farbmaterialien zu ver­wen­den.

Bis heu­te sind aller­dings vie­le Aspekte des Falls Beltracchi unge­klärt. So ging es in der Verhandlung 2011 nur um die Fälschung von vier­zehn Bildern. Beltracchi selbst spricht öffent­lich von rund 300 Fälschungen, von denen über zwei Drittel noch immer uner­kannt inter­na­tio­nal im Umlauf sind. Er hät­te, sagt Beltracchi im Film, «auch 3’000 Bilder auf dem Kunstmarkt unter­brin­gen kön­nen», so gross sei der Hunger nach immer neu­en Gemälden berühm­ter Namen, so blind sei­en oft die Kunstexperten, die für ein Gutachten her­an­ge­zo­gen wer­den. Der Film um den Fall Beltracchi ver­an­schau­licht des­halb nicht nur gut, wie der inter­na­tio­na­le Kunstmarkt funk­tio­niert. Sondern auch, dass die Kontrolle immer dann ver­sagt, wenn die Gier zu gross wird.

«Beltracchi – Die Kunst der Fälschung», Deutschland 2014. Regie: Arne Birkenstock. Länge: 96 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2014

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