Albert Lortzing (1801–1851) – ein ver­kann­ter Komponist

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Von François Lilienfeld – Es gab eine Zeit, da war Lortzings Oper «Zar und Zimmermann» strecken­wei­se die meist­ge­spiel­te Oper auf deutsch­spra­chi­gen Bühnen. In der Liste der meist­auf­ge­führ­ten Opernkomponisten in Deutschland ran­gier­te Lortzing auf dem drit­ten Platz – nach Mozart und Verdi!

Seine Spielopern – neben «Zar und Zimmermann» vor allem «Wildschütz» und «Waffenschmied» – waren Allgemeingut, ja, man kann fast sagen: Volksgut. Die Lieder, wel­che bei ihm oft die Opernhandlung unter­bre­chen und mei­stens medi­ta­ti­ven Inhalt haben, konn­te jeder Opernfreund träl­lern. Viele sei­ner Verse – Lortzing schrieb sei­ne Texte zum gro­ßen Teil selbst – wur­den zu geflü­gel­ten Worten («Das war eine köst­li­che Zeit»; «O selig, o selig, ein Kind noch zu sein»; «Oh, ich bin klug und wei­se, und mich betrügt man nicht»…).

Die Werke sind fast voll­stän­dig an deutsch­spra­chi­ge Aufführungsorte gebun­den. Sie sind unüber­setz­bar, und von den Interpreten wird nicht nur eine gute deut­sche Aussprache, son­dern auch ein tief­ge­hen­des Verständnis des Deutschen ver­langt. So schön sei­ne Musik ist: Der dra­ma­tur­gi­sche Gesamteindruck, das Zusammengehen von Text und Musik, nicht zuletzt in den mit fast Mozartscher Meisterschaft auf­ge­bau­ten Ensembleszenen, ist Voraus

set­zung für eine gelun­ge­ne Aufführung.
Mozart war Lortzings gro­ßes Vorbild, und er selbst spiel­te beson­ders ger­ne Mozartsche Rollen. Eines sei­ner frü­hen «Liederspiele» heißt «Szenen aus Mozarts Leben» (1833). Das knapp eine Stunde dau­ern­de Stück nimmt es zwar mit den histo­ri­schen Tatsachen nicht so genau, ist aber musi­ka­lisch fas­zi­nie­rend: Lortzing benutzt Werke von Mozart, vor allem kam­mer­mu­si­ka­li­sche Stücke, und bear­bei­tet sie auf ver­blüf­fen­de Art, mit Überraschungen, jedoch ohne den Geist Mozarts zu ver­ra­ten.

Lortzing war in erster Linie Sänger und Schauspieler, «Gaukler» wie er sich mal stolz, mal mit Bitternis nann­te, dann näm­lich, wenn man ihn nicht ernst nahm. Seine Stimme soll sehr zart gewe­sen sein, sein Tonumfang jedoch war ver­blüf­fend, trat er doch sowohl als Pedrillo wie als Don Giovanni auf. Auch im Sprechtheater war er zuhau­se, tra­gi­sche Rollen spiel­te er aller­dings unger­ne.

Das Theaterblut hat­te er von bei­den Eltern. Sein Vater war Lederhändler und, wie auch sei­ne Mutter, begei­ster­ter Amateurkomödiant in Berlin, im Verein Urania. Die Theaterbegabung war wohl grö­ßer als der Geschäftssinn: Der Laden ging Pleite, und die Lortzings wur­den pro­fes­sio­nel­le Theaterleute. Der klei­ne Albert stand schon früh in Kinderrollen auf der Bühne.

Er hat­te es nicht leicht. Trotz meh­re­ren gro­ßen Erfolgen war oft Schmalhans Küchenmeister. Er muss­te dafür kämp­fen, dass sei­ne Werke auf­ge­führt wur­den: Die Konkurrenz, vor allem aus Italien und Frankreich, war groß, Intrigen an der Tagesordnung, und Tantiemen wur­den im Prinzip kei­ne bezahlt. Die Theaterdirektoren, die frei­wil­lig Aufführungsrechte aus­rich­te­ten, waren sel­te­ne Ausnahmen. Mit dem Verkauf einer Partitur für eine ein­ma­li­ge Abgeltung ver­lor der Komponist alle Rechte – die Urheberrechtsschutz-Institutionen (GEMA, SUISA & Co.) kamen erst sehr viel spä­ter…

Um zu über­le­ben war Lortzing, vor allem in sei­nen letz­ten Lebensjahren, gezwun­gen, stän­dig in bil­li­gen Schwänken auf­zu­tre­ten. Nur sel­ten war es ihm ver­gönnt, als Dirigent aktiv zu sein, eine Tätigkeit, die ihn weit mehr inter­es­sier­te als die «Gaukelei». Aber Frau und Kinder muss­ten ernährt wer­den. Seine Ehe mit Rosine Regina Ahles, die er im Theatermilieu ken­nen­lernt hat­te, war sehr har­mo­nisch. Elf Kinder wur­den gebo­ren; fünf davon star­ben im zar­te­sten Alter.

Neben Liederspielen und Spielopern fin­den wir in Lortzings 1994 von Irmlind Capelle her­aus­ge­ge­be­nem Werkverzeichnis auch das Oratorium «Die Himmelfahrt Jesu» und die berückend schö­ne roman­ti­sche Märchenoper «Undine». Und, nicht zu ver­ges­sen, sei­ne 1848 kom­po­nier­te, dritt­letz­te Oper: «Regina».

1848 – ein Jahr, das in Europa gro­ße Hoffnungen und eben­so­gro­ße Enttäuschungen her­vor­rief. Lortzings Durst nach Freiheit war stark; oft genug muss­te er sich mit der Zensur her­um­pla­gen, litt unter sozia­ler Ungerechtigkeit, empör­te sich gegen Fürstenwillkür. Allerdings war ihm auch gewalt­sa­mer Umsturz und Blutvergießen ein Greuel. Die Prinzipien der fran­zö­si­schen Revolution lagen ihm nahe, das Terrorregime ver­ab­scheu­te er. Sein Ideal war der «gute Herrscher»: Peter der Große in «Zar und Zimmermann», Meister Stadinger im «Waffenschmied», Fabrikbesitzer Simon in «Regina». 1848 war er von den Auswüchsen der revo­lu­tio­nä­ren Freischärler eben­so schockiert wie von der Repression durch das Regime.

«Regina» ist kei­ne Revolutionsoper – sie wur­de aber von den Ereignissen des Jahres ange­regt und ist ein Ausdruck von Lortzings Credo: Freiheit, sozia­le Gerechtigkeit, aber Gewalt nur unter direk­ter Bedrohung.

Revolutionär – im dra­ma­tur­gi­schen Sinne –ist aber die Introduktion zum ersten Akt: Noch nie hat­te sich in einer Oper der Vorhang über einem Fabrikgelände mit Hochkaminen und strei­ken­den Arbeitern geho­ben. Geschäftsführer Richard erklärt letz­te­ren, dass Verhandlungen, die er mit dem Fabrikbesitzer Simon füh­ren wird, den bes­se­ren Weg dar­stel­len («Recht soll euch wer­den»).

Richard ist mit Simons Tochter Regina ver­lobt. Doch Werkmeister Stephan, der sich einer Gruppe Freischärler anschließt, begehrt sie auch. Er über­fällt mit sei­nen Kumpanen die Fabrik, legt Feuer und ent­führt Regina. Nach einer Reihe dra­ma­ti­scher Ereignisse erschießt Regina ihren Entführer, Sekunden bevor die­ser eine Fackel in einen Pulverturm wer­fen kann. Die gro­ße Explosion ist ver­hin­dert, und alle stim­men in einen patrio­ti­schen Chor ein. Denn hier geht es um Freiheit, aber auch um ein «eini­ges Vaterland». Es soll das Mosaik der Vielstaaterei in «Deutschland» erset­zen.

Als Lortzing im Oktober 1848 das Werk voll­endet hat­te, war die Zensur mit neu­er Schärfe zurück­ge­kehrt. Somit war an eine Aufführung des Stückes nicht zu den­ken. 1899, 48 Jahre nach des Komponisten Tod, kam sie auf die Bühne der Hofoper in Berlin, total ver­fälscht, mit dem Kampf gegen die Franzosen als Thema. 1953 kam eine kom­mu­ni­stisch ver­bräm­te Fassung in Rostock zur Aufführung. Eine «ech­te­re» Version konn­te man 1981 in Oberhausen erle­ben. Eine authen­ti­sche, kri­tisch edier­te Aufführung erleb­te die Oper erst­mals 1998 in Gelsenkirchen.

Die CD-Firma cpo hat zusam­men mit dem Bayerischen Rundfunk im Januar 2011 zwei Aufführungen im Münchner Prinzregententheater mit­ge­schnit­ten. Aus die­ser Aufzeichnung ent­stand die erste voll­stän­di­ge «Regina»-Aufnahme. Sie hat nicht nur Repertoire-Wert, son­dern ist auch von der Qualität her erfreu­lich. Johanna Stojkovic (Sopran) und Daniel Kirch (Tenor) stel­len das Liebespaar Regina/Richard sowohl stimm­lich wie dra­ma­tisch über­zeu­gend dar. Der Bariton Detlef Roth mei­stert die schwie­ri­ge Partie des sich gegen das Schicksal auf­leh­nen­den Bösewichtes Stephan gekonnt, und der Bass Albert Pesendorfer gibt einen wür­di­gen Vater und Fabrikbesitzer, wobei man sich von ihm etwas mehr Legatogesang gewünscht hät­te.

Großen Anteil an der schö­nen Aufführung haben der Prager Philharmonische Chor, das Münchner Rundfunkorchester und der über­le­gen diri­gie­ren­de Ulf Schirmer.

Wer muster­gül­ti­ge Aufnahmen von Lortzings Spiel- und Märchenopern sucht, wird im Katalog der Firma Sonimex fün­dig. Sie macht Radio-Aufnahmen aus den 50er-Jahren zugäng­lich. Diese lan­ge Zeit unver­öf­fent­lich­ten Dokumente sind Zeugnisse einer gol­de­nen Zeit der Lortzing-Interpretation. Hohes Niveau in Gesang und Diktion, Beherrschung des unver­kenn­ba­ren Spielopern-Stils, Dirigenten, die mit leich­ter Hand die orche­stra­len Finessen und die Dramaturgie der Ensembleszenen her­aus­ar­bei­ten: All die­se Eigenschaften fin­den sich auf die­sen auch klang­lich durch­aus befrie­di­gen­den Kostbarkeiten. Große Sängerpersönlichkeiten las­sen die Einspielungen zu voka­len Leckerbissen wer­den. Um nur eini­ge Beispiele zu nen­nen:

«Undine» (1951): Trude Eipperle (Titelrolle), Christa Ludwig (Bertalda), und – beson­ders bewun­derns­wert – Ferdinand Frantz, sonst vor allem als Wotan und Hans Sachs bekannt, der sei­ne mäch­ti­ge Stimme mühe­los an den lyri­schen Stil des Wassergeistes Kühleborn anpasst.
«Zar und Zimmermann» (1956): Hermann Prey (Zar); Kurt Böhme als van Bett, der damals noch im Vollbesitz sei­ner pracht­vol­len Baßstimme war, und zwar sehr komö­di­an­tisch auf­tritt aber noch ohne das bei ihm spä­ter so stö­rend auf­tre­ten­de Chargieren.

«Waffenschmied» (1958): Hanna Scholl (Marie), Gottlob Frick (Stadinger), Hermann Prey (Graf von Liebenau).… und vie­le Andere!

Foto: zVg.
ensuite, März 2014

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