Wir ste­hen alle in die­sem Regen

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Von Anna Vogelsang – Kunst im Informationszeitalter oder der Medienmaler Julius Popp: In die­sem Sommer konn­ten sich die Menschen in Bern mit dem Thema Medienkunst aus­ein­an­der­set­zen: Im Rahmen der Gruppenausstellung «H2O = Leben» in der Galerie Rigassi zeig­te der deut­sche Künstler Julius Popp in der Münstergasse sei­ne inzwi­schen welt­be­kann­te Installation «bit.fall»

Transformation unse­rer Wahrnehmung, von uns selbst und unse­rer Welt, Vergänglichkeit, Wandel von Wissen, Wahrnehmung und Umgang mit Information – die­se Themen ste­hen im Zentrum des Schaffens von Julius Popp. Wie kam Popp auf die Idee, Wasser als Informationsträger zu ver­wen­den, was bedeu­tet für ihn künst­le­ri­sche Freiheit, und wo sieht er die Grenze zwi­schen Kunst und Technik? – dar­über unter­hiel­ten wir uns mit­ten in der Berner Altstadt.

Herr Popp, wie wird man ein Medienkünstler?

Ich woll­te eigent­lich kein Künstler wer­den. Die Jahre an der Kunsthochschule gaben mir eine Chance, fünf Jahre nach­zu­den­ken.

Warum woll­ten Sie kein Künstler wer­den?

Ich ver­bin­de die­ses klas­si­sche Künstlersein mit Willkür und mit Arroganz. Das bei­des mag ich eben nicht. Ich habe selbst ziem­lich lan­ge gebraucht um zu akzep­tie­ren, dass ich als Künstler wahr­ge­nom­men wer­de, auch wenn vie­le Künstler mei­nen, dass die Sachen die ich mache, die ich kon­stru­ie­re kei­ne Kunst sei­en. In wah­rer Kunst, sagen sie, stecke immer ein nicht geplan­tes Element, eine Überraschung. Ich den­ke jedoch, dass Kunst vie­le ver­schie­de­ne Bereiche beinhal­tet.

Was hat Sie dann an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig geführt?

Ich bin eigent­lich gelern­ter Werbefotograph und habe meh­re­re Jahre in der Werbung gear­bei­tet bis ich aus­ge­stie­gen bin, weil ich das System nicht mehr akzep­tie­ren konn­te. Als Werbefotograf muss­te ich die Dinge so foto­gra­fie­ren, dass die Menschen sie zu begeh­ren begin­nen und kau­fen wol­len. Dabei sind die­se Dinge dies gar nicht wert. Wir haben jetzt in Deutschland gros­se Diskussionen über Steuerflucht und, unter ande­rem, über die Herkunft der Textilien der Grossunternehmen. Die Leute kau­fen hier bil­lig­ste Kleidung aus Billiglohnländern, wo die Leute aus­ge­beu­tet wer­den, und hier zah­len die Unternehmen dann kei­ne Steuern. Diese Missstände habe ich schon vor 15, 20 Jahren ansatz­wei­se ver­stan­den. Und da wur­de mir klar, dass ich aus­stei­gen und nach­den­ken muss dar­über, was da wirk­lich pas­siert und wie es wei­ter gehen könn­te. Und so bin ich an der Kunsthochschule gelan­det.

Wie sah dann ihr Studium aus?

An der Kunsthochschule habe ich ange­fan­gen, Maschinen zu bau­en, mit denen ich unter­su­chen konn­te, wie sich Wesen an ihre Umgebung anpas­sen. Durch die­se wis­sen­schaft­li­chen Untersuchungen kam ich zu ande­ren Arbeiten, die Dinge aus­drücken oder begreif­bar machen. Ich habe mit Medienkunst ange­fan­gen, wech­sel­te dann aber zur Malerei. Mit Medienkunst konn­te ich nichts anfan­gen, weil die dort so ver­lo­ren und tech­nik­ver­liebt waren. Es ging dabei nicht um die Frage der Kunst im Allgemeinen, son­dern nur um die Anwendung der Technik. In der bil­den­den Kunst wie­der­um habe ich wäh­rend mei­nes Studiums kein ein­zi­ges Mal einen Pinsel in der Hand gehabt und kein ein­zi­ges Bild gemalt, son­dern mei­ne Maschinen wei­ter gebaut. Meine Lehrer akzep­tier­ten das, weil ich mit ihnen immer noch über Kunst dis­ku­tier­te und mich mit dem Thema aus­ein­an­der­setz­te. Ihnen war es dann auch nicht wich­tig, ob sich die Ergebnisse die­ser Auseinandersetzung anschlies­send in einem Bild zeig­ten. Ich habe ein Diplom mit Auszeichnung in Bildender Kunst bekom­men. Danach war ich zwei Jahre Meisterschüler bei Prof. Astrid Klein.

Arbeiten Sie allei­ne oder sind Sie von einem Team umge­ben?

Ich beschäf­ti­ge zeit­wei­se bis zu neun Leute für mei­ne Projekte. Aber auch das ist ein Problem: An einer Kunsthochschule bringt dir kei­ner bei, wie du als Künstler über­le­ben sollst, und wie man die Geschäfte rich­tig abwickelt.

Dafür sind doch Galeristen und Manager vor­ge­se­hen?

Ich habe kei­ne feste Galerie, die mei­ne Interessen ver­tritt, weil eine rie­si­ge Diskrepanz zwi­schen Produktionskosten für mei­ne Maschinen und dem Verkaufspreis auf dem Kunstmarkt besteht. Und wenn eine Galerie, die kein Risiko ein­geht, 50 % von dem Verkaufspreis nimmt, dann kann ich unmög­lich die Unkosten decken. Zum Glück hat hier in Bern alles geklappt.

Sprechen wir über die Installation «bit.fall». Wie kamen Sie auf die Idee, Wasser als Medium zu ver­wen­den?

Der Wasserfall ist für mich ein Bild dafür, wie wir mit Informationen umge­hen, und was Information eigent­lich ist. «bit.fall» zeigt die Vergänglichkeit, die Fragilität von Information. Die ursprüng­li­che Idee kam mir nach den Terroranschlägen in New York. Da habe ich Nachrichten gele­sen und habe mich gewun­dert, dass so vie­le Gerüchte, Spekulationen um eine Geschichte ent­stan­den. Ich habe ver­sucht, die­sen «Meinungsfindungsprozess» in ein Bild zu fas­sen. Ich habe die Materialien durch­de­kli­niert und gesucht, wel­ches von ihnen die Vergänglichkeit aus­drücken kann. Ich bin beim Wasser geblie­ben, weil man es schlecht in eine Form brin­gen kann. Und so such­te ich nach einer Möglichkeit, es zu for­men, auch wenn es nur für einen ganz kur­zen Zeitpunkt wäre. Da bin ich dar­auf gekom­men, Wasser wie aus einem Tintenstrahldrucker, wie ein Plotter aus­zu­stos­sen und ein­fach fal­len zu las­sen. So habe ich für einen Moment eine funk­tio­nie­ren­de Form, die aber, sobald die Maschine sie fal­len lässt, der Natur – dem Licht, dem Wind, der Luft, dem Boden – zurück­ge­ge­ben wird. Es ist wie wenn ich ein Wort aus­spre­che – ich kann es nicht mehr zurück­ho­len.

Nach wel­chem Prinzip funk­tio­niert die Installation?

Die Maschine liest Nachrichtenwebseiten und zählt die Häufigkeit der Wörter. Die Artikel und Personalpronomen sind red­un­dant – sie wer­den gefil­tert und raus­ge­schmis­sen. Der Rest wird dar­ge­stellt: Das sind dann die Wörter, die Begriffe, die uns gera­de beschäf­ti­gen. Und es geht dar­um, dass die­se Begriffe jeden Tag neu sind. Manche hal­ten über Tage, ande­re ver­schwin­den.

Sie könn­ten aber auch einen vor­pro­gram­mier­ten Text lau­fen las­sen, oder ein Bild?

Ja, das kann man alles machen. Die Frage ist aber: Worum geht es? Mir als Künstler geht es dar­um, die Vergänglichkeit der Information und das per­ma­nen­tes Wechselspiel zwi­schen Natur und Kultur zu zei­gen. Da wür­de es kei­nen Sinn machen, ein Bild oder einen vor­de­fi­nier­ten Text zu zei­gen

Müssten Sie Ihre Erfindung paten­tie­ren las­sen, oder kann jetzt irgend­je­mand die­se Technik für eige­ne Zwecke ver­wen­den und die glei­che Installation nach­bau­en?

Es wird schon nach­ge­baut.

Haben Sie in dem Fall kein Patent bean­tragt?

Nein. Sie kön­nen es nach­bau­en, klar. Die gros­se Frage ist, was es zur Kunst macht.

Beschäftigt Sie das, dass Ihre Installation nach­ge­baut, kopiert wird?

Das ist ein gros­ses Thema, natür­lich. Man hät­te die Installation paten­tie­ren las­sen kön­nen, aber was soll ich denn alles machen? Als ich die Maschine gebaut hat­te, war ich arm, weil ich Schulden hat­te. Und für ein Patent muss man sehr viel Geld bezah­len. Dann müss­te ich mich dar­um küm­mern, dass mei­ne Maschinen nicht nach­ge­baut wer­den. Ich wür­de in die­sem Fall mei­ne Hauptzeit damit ver­brin­gen, Plagiate zu fin­den und die­se abzu­mah­nen. Meine Aufgabe als Künstler ist aber, Kunstwerke zu machen, durch die ich etwas dar­stel­len möch­te. Ich habe vor Jahren eine Entscheidung getrof­fen, die ich immer noch sehr häu­fig hin­ter­fra­ge: Hätte ich damit jetzt sehr viel Geld ver­die­nen sol­len? Hätte ich damit in die Werbung gehen und Millionär wer­den sol­len? Oder soll ich mich, so wie ich es getan habe, im rei­nen Kunstkontext bewe­gen, wo ich sehr wenig oder gar kein Geld dafür bekom­me? Ich habe die­sen zwei­ten Weg gewählt. Und manch­mal zweif­le ich, dass die­se Entscheidung die rich­ti­ge war … aber es ist egal.

Könnten Sie das Prinzip die­ser Maschine mit irgend­ei­nem ande­ren Material dar­stel­len oder in einem ande­ren Kontext ver­wen­den?

Vor ein paar Jahren habe ich eine ähn­li­che Maschine für einen Freund gebaut. Sie wur­de an ein Auto gehängt, die Tropfen fie­len auf den Asphalt und die Wörter wur­den auf die Strasse geschrie­ben. Die Schrift ver­schwin­det nach 10–15 Minuten wie­der. Der Freund hat mit der Maschine die alte Handelsstrasse zwi­schen Bautzen und Prag abge­fah­ren und so den gan­zen Weg qua­si «beschrif­tet».

Bei der Installation «bit.fall» sieht der Betrachter sozu­sa­gen auch hin­ter die Kulissen. Die gan­ze tech­ni­sche Seite ist sicht­bar. Warum?

Meine Maschinen sind so gebaut, dass sie rein ihrer Funktion fol­gen. Sie sind sicht­bar für den Betrachter und erklä­ren sich selbst auf bestimm­te Art und Weise. Viele fin­den die Installation sehr schön und den Effekt anzie­hend. Wenn sie die Wörter dann lesen, baut sich, wie bei John Cage, der die Tonbänder in Stücke geschnit­ten hat, eine eige­ne Geschichte auf.

Passen Sie Ihre Arbeit an die jewei­li­ge Umgebung, in der sie aus­ge­stellt wird, an?

Der obe­re Träger besteht aus einen Meter lan­gen Modulen, davon habe ich unge­fähr 60 bis 70 Meter. Ich kann also die Installation in die­sem Spielraum ziem­lich belie­big ver­län­gern oder ver­kür­zen. Diese Arbeit wur­de schon in der gan­zen Welt auf allen Kontinenten aus­ge­stellt, in ganz unter­schied­li­chen Kontexten, draus­sen, drin­nen, auch an der Art Basel Unlimited 2006. Es erge­ben sich unter­schied­li­che Momente, vor allem in Bezug dar­auf, wie die Menschen auf die Arbeit reagie­ren. Bern ist eine der schön­sten Situationen: eine ganz moder­ne Maschine in einer denk­mal­ge­schütz­ten Altstadt. Beides trifft auf­ein­an­der. Ich den­ke, es funk­tio­niert hier ganz gut, den per­fek­ten Ort aber habe ich bis heu­te noch nicht gefun­den. So ist es bei einer gros­sen Veranstaltung in einer Weltmetropole zum Beispiel zu einer rein deko­ra­ti­ven Sache ver­kom­men. Dort wur­de eine 50 Meter lan­ge Variante unter eine Brücke gebaut.

Wurde das Konzept damals für die­se Veranstaltung ver­än­dert?

Nein, das Konzept ver­än­de­re ich nicht. Obwohl ich damals sehr stark gedrängt wur­de, bis hin zu der Drohung, dass die Arbeit gar nicht ein­ge­schal­tet wird und ich nicht bezahlt wer­de, wenn ich nicht den Text ver­än­de­re. Sie hat­ten die Arbeit gese­hen und so gekauft, beauf­tragt, und dann im Nachhinein gehen sie zum Künstler, zen­su­rie­ren des­sen Arbeit und sagen: «Machen Sie bit­te die­sen, unse­ren Text rein.»

Was für einen Text woll­ten sie denn haben?

Sie woll­ten bestimm­te Botschaften über die Veranstaltung haben. Für mich war es grau­sam, dass die Entscheidungsträger mei­ne Arbeit in ihr Glaubenssystem pres­sen woll­ten. Und dann stehst du als unab­hän­gi­ger Künstler allein da, in einem Gefüge, wo 50-bis 60 Leute auf dich ein­re­den, wenn eine rie­si­ge Institution über Dich her­fällt und von allen Seiten Druck aus­ge­übt wird. Interessanterweise, als ich die glei­che Arbeit in Russland, in Jekaterinburg aus­stell­te wur­de gar nicht gefragt, was für ein Text lau­fen wird. Die Leute hat­ten das Konzept ver­stan­den und woll­ten kei­nen Einfluss neh­men, kei­ne Zensur vor­neh­men. Der Text lief in Russisch, Englisch und Französisch.

Was mei­nen Sie zur Diskussion über die Wichtigkeit der Technik, des Handwerkes in der Kunst?

Diese Diskussion ist doch hin­fäl­lig. Man erwar­tet viel­leicht von den Künstlern über­haupt kei­ne tech­ni­sche Perfektion, son­dern nur eine visua­li­sier­te Idee. Gleichzeitig ist das Handwerk die not­wen­di­ge Grundlage. Wenn ich mich aber nur auf Technik fokus­sie­re, dann ver­lie­re ich mich in die­ser tech­ni­schen Spielerei. Wenn ich nur tech­nisch gut arbei­te, wer­de ich sofort in die Werbebranche gesteckt. Aber das ist nicht mein Problem, son­dern das Problem von den Leuten, die mei­ne Arbeit angucken. Obwohl, wenn das Kunstwerk nicht rich­tig wahr­ge­nom­men wird, dann habe ich auch ein gewis­ses Problem. Aber das kann ich nicht beein­flus­sen. Dann kommt es nur dar­auf an, wie lan­ge ich es durch­hal­te, gegen sol­che Wahrnehmungen anzu­ar­bei­ten…

An der Gruppenausstellung vom 5. 6. – 20. 7. 2013 in der Galerie Rigassi «H2O = Leben» waren Arbeiten von Anina Schenker, Christoph Dräger, Haruko, Haubitz + Zoche, MARCK und Stéphane Daireaux zu sehen. Anlass zum Thema «Wasser» gab dem Galeristen Raphael Rigassi das UNO Jahr der inter­na­tio­na­len Wasserkooperation.

www.galerierigassi.ch

Foto: zVg.
ensuite, September 2013

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