Winterjournal – Unchronolgische Beichtabsichten

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Von Stanislav Kutac – Chronologien – etwas für Menschen, die an das «Weil» glau­ben und nach dem «Warum» fra­gen – etwas für Geschichtsschreiber. Der ame­ri­ka­ni­sche Autor Paul Auster jeden­falls gehört nicht zu ihnen! Auch wenn er inmit­ten sei­nes neue­sten Werkes, einer qua­si Autobiografie, 60 Seiten dafür ver(sch)wendet, alle 21 sei­ner bis­he­ri­gen Wohnadressen der Reihe nach zu bege­hen (ohne abschlies­send sei­ne aktu­el­le Preis zu geben – wie klug, wie gekonnt oder wie fei­ge das ist sei dahin­ge­stellt), nur um dann umso nie­der­schmet­tern­der auf den Tod sei­ner Mutter zu spre­chen zu kom­men, auf sei­ne ver­kork­ste Art mit Gefühlen umzu­ge­hen und ihre fata­len Auswirkungen.

Wie Auster das Unsagbare ein­fä­delt ist aber­mals geni­al wie ein­fach, eben typisch Auster. Und wenn man Austers Herangehensweise liebt, und das tue ich, will man nicht kri­tisch sein. Man geniesst jede Zeile, allein wegen dem, was sie in einem aus­zu­lö­sen ver­mag. Gleich der Berührung eines gelieb­ten Menschen, deren Realität nicht nur phy­sisch sein kann.

«Leibesvisitation eines Autors» war im Bund zu lesen – in gewis­ser Hinsicht tref­fend. Denn wir sind auf Visite. Auf Besuch im Körper eines Anderen, visua­li­sie­ren die Welt von dort aus. Mit der Erlaubnis, dadurch all­seits Unerlaubtes wie­der­zu­er­ken­nen. Beichten ins­ge­heim unse­re Sünden, sprich Unwahrheiten uns selbst gegen­über. Stimmen womög­lich über­ein, dass im Geiste gros­se und völ­lig belang­lo­se Ereignisse gleich­ge­wich­tig ihr Dasein fri­sten, uns am Leben hal­ten oder ver­zeh­ren. Ganz gleich­gül­tig ob wir glau­ben, das eine oder das ande­re nicht ver­dient zu haben, oder auch nicht nicht ver­dient zu haben, um es mit Austers Worten zu sagen.

Wie gewohnt folgt Auster auch in der Beschreibung sei­ner eige­nen Geschichte und Person mehr einem Tanz der Worte, einem Rhythmus im Gedanklichen als blos­sem Inhalt. Schritt für Schritt. Seiner Heran-Gehens-Weise, die sich aus dem Umstand des Gehens ablei­tet, treu.

Fast kit­schig mag einem in Anbetracht all der Ehrlichkeit sei­ne als über­aus wun­der­voll beschrie­be­ne Beziehung zu sei­ner Frau, der Schriftstellerin Siri Hustvedt vor­kom­men. Glücklich kann sich jemand schät­zen, der sein Leben mit einem Partner ver­brin­gen darf, des­sen Projektionen mit den eige­nen Projektionen über Jahrzehnte kon­gru­ent ver­lau­fen. Auch wenn Auster das mit den Projektionen anders ein­schätzt, sei ihm zumin­dest in die­sem einen Punkt zu wün­schen, wei­ter­hin so unent­täuscht schwel­gen zu kön­nen.

Nein, ich spre­che hier­mit kei­ne Empfehlung aus, die­ses Buch lesen zu müs­sen. Es wäre fast, als ob man jeman­des Einkaufsliste zum Lesen emp­feh­len wür­de. Es sein denn, man hat einen Bezug, eine Beziehung, emp­fin­det Zuneigung dem­je­ni­gen gegen­über. Dann wer­den aus zusam­men­hangs­lo­sen Alltäglichkeiten Empfindungen, die auf der Zunge zer­ge­hen.

Paul Auster: «Winterjournal» –Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz, Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, 254 S., geb.

Foto: zVg.
ensuite, Januar 2014

 

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