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Willkommen im Modelabyrinth der Gesellschaft

Von Simone Weber – Die Mode ist kei­nes­falls eine bedeu­tungs­lo­se Spielerei, son­dern ein geheim­nis­vol­les Labyrinth. Grosszügigerweise legt sie vor, wie wir uns ver­hal­ten müs­sen, um uns in ihren Irrwegen zurecht­zu­fin­den. Dabei greift sie sich das mensch­li­che Bedürfnis nach sozia­ler Anlehnung. Wer möch­te schon ein­sam in der Sackgasse sit­zen? Leute, die mit der Mode gehen, stil­len ihr Bedürfnis nach Beachtung, den Wunsch auf­zu­fal­len und Interesse zu wecken. Sie wol­len umwer­fend gut aus­se­hen. Modisch, aber nicht ver­klei­det zu wir­ken, das ist die gros­se Kunst der Sache. Mit schlech­tem Beispiel vor­an geht Modepüppchen Victoria Beckham, die in ihren Designerklamotten eher wie ein stei­fer Besen denn als läs­si­ge Modeikone daher­kommt. Ihre Outfits sehen viel zu gewollt aus. Viel läs­si­ger ist es, wenn Kleider wie zufäl­lig zusam­men­ge­wür­felt aus­se­hen, den­noch aber per­fekt auf­ein­an­der abge­stimmt sind. So ent­steht Leichtigkeit in der Mode.

Das tücki­sche am Modelabyrinth ist sei­ne Undurchschaubarkeit. Es gibt kaum Stabilitäten, an denen wir uns ohne Hilfe ori­en­tie­ren könn­ten. Eben erst sind wir dem Weg der Röhrenjeans gefolgt, schon sol­len wir in die Schlaghosenstrasse ein­bie­gen. Es wech­seln die Schnitte, die Farben und Materialien. Um die Gebote der Mode zu befol­gen, wer­den kur­ze Tops durch wei­te Baumwoll-Shirts, pin­ke Rollkragenpullis durch graue Cardigans aus­ge­tauscht. Diese Veränderung ist sogleich ein­zi­ge Konstante der Mode, dar­aus gewinnt sie ihre Überzeugungskraft. Weil sich die Mode stän­dig ver­än­dert, kann sie nie­mals lang­wei­lig wer­den oder gar ver­lei­den. Die Veränderung ist das, was an der Mode Spass macht! Dafür, dass sie die Mode stän­dig neu erfin­den, ver­die­nen die gros­sen Designer tief­ste Bewunderung!

Für die Verbreitung und den Erfolg einer neu­en Mode spie­len Trendsetter eine Schlüsselrolle. Sie gehen ande­ren vor­aus und wagen es, neue Wege ein­zu­schla­gen. Die ita­lie­ni­sche Soziologin Elena Esposito ist der Meinung, dass man in der Mode bei­na­he alles wagen kann, weil sie sich durch eine extre­me Toleranz gegen­über Extravaganz und Wagnis aus­zeich­net. Das Veränderliche in ihr ist nicht zufäl­lig, son­dern von Anfang an geplant. Es ist der Wurm, den die Mode an den Haken steckt, damit wir Kleiderbesessenen immer wie­der anbeis­sen, Geld für Hosen und Blusen aus­ge­ben, die wir eigent­lich nicht brau­chen. Ich glau­be, die Mode ist im Grunde ein ästhe­ti­sches Verbrechen, das nicht das end­gül­tig Schöne und Gute, son­dern immer nur etwas Neues will.

Es ist total beein­druckend, dass Designer dabei stän­dig ande­re Massstäbe vor­ge­ben, die trotz­dem als ver­bind­lich gel­ten. Würden wir behaup­ten, dass die Sommerkleider in die­sem Jahr wirk­lich schö­ner geschnit­ten sind als die­je­ni­ge vom letz­ten Jahr oder als die, die uns in einem Jahr gefal­len wer­den? Die Mode kann sogar frü­he­re Trends mit neu­em Überraschungswert immer wie­der gross raus­brin­gen. Gerade heu­te ist Vintage wie­der total ange­sagt.

Ich bin über­zeugt davon, dass die dicken Mauern des Modelabyrinths all­mäh­lich zer­fal­len. Der Trend von heu­te ist es, dass es kei­nen Trend mehr gibt. Werfen wir in die­sem Zusammenhang einen Blick auf das bri­ti­sche Topmodel Kate Moss: Dank ihrem eige­nen, unver­wech­sel­ba­ren Stil ist sie längst eine gefei­er­te Modeikone. Ihren Kleiderschrank kennt die gan­ze Welt. Diese Frau trägt, was sie will, befolgt kei­ne Laufstegtrends und bricht sämt­li­che Moderegeln. Ihr unver­wech­sel­ba­rer Look besteht aus einen Mix aus Vintage-Teilen, Rock-Chick und läs­si­gen Designerstücken. Ich rufe euch dazu auf, die Lust am modi­schen Experiment aus­zu­le­ben! Tragt die ver­lö­cher­te Jeans mit der Lieblingsbluse eurer Oma, und setzt euch dazu eine Melone auf den Kopf!

Aber Achtung! Komplett belie­big kann die Mode nicht funk­tio­nie­ren, Sackgassen wird es immer geben. Unser Gang durch die Irrwege wird davon beein­flusst, dass wir wahr­neh­men, wie die ande­ren uns sehen. Am Ursprung jedes Modebewusstseins steht der Wunsch «in» zu sein. Dabei wird Individualität ange­strebt. Das ist die Paradoxie der Mode! Menschen, die sich modisch ver­hal­ten, stre­ben Originalität an, indem sie sich wie die ande­ren ver­hal­ten. Wie man am Exempel von Moss mehr als deut­lich sieht, sind doch eigent­lich gera­de die­je­ni­gen ori­gi­nell, die sich ihre eige­nen Wege suchen und sich nicht wie die ande­ren ver­hal­ten.

Sind die Ideen der gros­sen Designer nur Anregungen für die Suche nach dem eige­nen Stil? Ist er der gehei­me Schlüssel, der zur erfolg­rei­chen Durchschreitung des Modelabyrinths führt? Giorgio Armani lie­fert uns die Antwort: «Der Stil ist der Mode über­le­gen. Er lässt sich von der Mode anre­gen und greift ihre Ideen auf, ohne sie ganz zu über­neh­men. Niemand mit Stilbewusstsein wür­de sei­ne Art, sich zu klei­den, nur um der Mode wil­len radi­kal ändern. Was Stil von Mode unter­schei­det, ist die Qualität.» Will heis­sen: Stil ist immer geschmack­voll und kann im Gegensatz zur Mode nie bil­lig wir­ken. Durchschreitet das geheim­nis­vol­le Labyrinth der Mode mit Stil, und ihr wer­det euch nie­mals ver­ir­ren!

ensuite, Mai 2009