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Wer Sehgewohnheiten ver­än­dert, durch­bricht die Blindspirale: Gynä Faber. Ein Kurzbericht.

Von GuerillaGirl laStaempfli – Vorbemerkung: Homo Faber von Max Frisch gilt als eines der best­un­ter­such­ten Werke der deutsch­spra­chi­gen Nachkriegsliteratur. Frischs Roman ist seit Jahrzehnten Pflichtstoff an deutsch­spra­chi­gen Schulen. Im Zentrum ste­hen die Kaltherzigkeit, die völ­li­ge Selbstüberhöhung sowie der Inzest des Protagonisten. Die Kritiker, damals wie heu­te, fin­den dies „urmensch­lich“, arche­ty­pisch gar und enorm modern. Tatsächlich strotzt der Roman vol­ler Phantasmen eines altern­den Mannes mit rie­si­gen Frauenproblemen. Homo Faber ist ein manie­ri­sti­sches, anbie­dern­des, erbau­ungs­lo­ses, gemüts­lo­ses, in Teilen auch höchst sexi­sti­sches und anti­se­mi­ti­sches Werk. Es ist das spre­chen­de Zeugnis der – selbst so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – wei­ter gepfleg­ten Herrenmoral.

Dies erkennt, wer die Rollen tauscht. Darf ich vor­stel­len: Gynä Faber.

GYNÄ FABER. EIN KURZBERICHT.

Wir star­te­ten in Paris, Flughafen Charles de Gaulle, mit drei­stün­di­ger Verspätung infol­ge einer Terrorwarnung. Der Flughafen war vol­ler Frauen in Anzügen mit ihren teils ver­schlei­er­ten, teils modern geklei­de­ten Ehemännern. Unter die­se Paare misch­ten sich vie­le hüb­sche jun­ge Studenten, die ich allein bei ihrem Anblick ger­ne in weib­lich-char­man­ter Art hät­te bestei­gen mögen. Diese offen­sicht­li­che Gier auf männ­li­ches Jungfleisch teil­te ich mit der Frau, die neben mir sass. Normalerweise gucke ich nicht auf Frauen, doch die­se hat­te was: Die Art und Weise wie sie ihren Mantel aus­zog, wie sie sich setz­te, wie sie sich ihre Hose zurecht rück­te. Die selbst­si­che­re Art einer Frau, die Geschäfte macht, die­se aber nicht zum Überleben braucht. Wir war­te­ten und nick­ten ein­an­der kum­pel­in­nen­haft zu – so wie dies zwei Businessfrauen ange­sichts süs­ser Männer halt so tun.

Ich war tod­mü­de.

Igor hat­te drei Stunden lang, wäh­rend wir den Berichten der neu­sten Terrorattacke lausch­ten, auf mich ein­ge­re­det. Er wol­le ange­sichts der Bedrohungslage unse­re Beziehung fixie­ren, er lie­be mich so sehr wie noch nie eine Frau zuvor. Mich ärger­te sein Geschwätz. Als Technikerin glau­be ich nicht an Liebe oder Schicksal, son­dern ich bin gewohnt, mit Formeln, Codes und algo­rith­mi­schen Herausforderungen zu arbei­ten. Schicksal? Ein lächer­li­ches Rückblickverfahren, das nichts mit der Realität zu tun hat. Das Unwahrscheinliche ist eine Erfahrungstatsache, hat nichts mit Mystik, son­dern ledig­lich mit Beobachtung und Daten zu tun. Nur ein­mal im Leben habe ich mich einem Schwärmer und musisch ver­wirr­ten Künstler hin­ge­ge­ben, dar­über hin­aus ein Halbjude. Das reicht für meh­re­re Generationen, um zu wis­sen: Männer wol­len, egal wie attrak­tiv, intel­li­gent, himm­lisch ver­füh­re­risch sie sind, nur das eine. Igors Anfall, dass ich ihn doch end­lich hei­ra­ten sol­le, lag in sei­nem Wunsch nach einem Kind von mir.

Die Terrorwarnung am Flughafen ent­pupp­te sich schliess­lich als Farce und wir konn­ten end­lich ins Flugzeug ein­stei­gen und den nor­ma­len Lauf einer ganz nor­ma­len Reise auf uns neh­men. Mein Auge für Ästhetik regi­strier­te die vie­len sehr jun­gen und attrak­ti­ven Männer, eben­falls in Hosenanzügen. Sie waren sicher­lich die Assistenten all der Expertinnen, Juristinnen, Medizinerinnen, Informatikerinnen, Politikerinnen, die sich im Flugzeug auf den Weg an die Weltgesundheitskonferenz bega­ben. WGK ist eines die­ser Gremien, die Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg gegrün­det hat­ten mit dem Ziel, die Frauengesundheit des Westens auch ärme­ren Gegenden zugäng­lich zu machen und glo­ba­le Pandemien zu ver­hin­dern.

Meine älte­re Nachbarin folg­te mei­nem etwas lüster­nen Blick zu den jun­gen Männern, nicht bös gemeint, son­dern ein­fach nur nor­mal, sie lächel­te und mein­te: „Die gab es zu unse­rer Zeit noch nicht, nicht wahr?“ Ich neh­me an, sie mein­te die vie­len Hosenanzüge an Männern, die dar­an erin­ner­ten, dass Männer nur dann eine Chance haben auf­zu­stei­gen, wenn sie mit Benehmen, Habitus und Bekleidung Frauen imi­tie­ren.

Ich nick­te, behielt jeoch Distanz selbst als die Businessfrau erzähl­te, dass sie als Managerin für Seltene Erden im Rahmen einer volks­chi­ne­si­schen Firma unter­wegs sei.

Ich weiss nicht, war­um sie mir letzt­lich auf die Nerven ging. Vielleicht lag es an ihrem sehr deut­schen Gesicht. Ihre Art, alles und jeden zu beur­tei­len, zurecht­zu­rücken, zu bemes­sen und in gröss­ter Selbstsicherheit völ­lig unver­mit­telt über das Judentum spre­chen zu kom­men, vor allem natür­lich über die Lage im Nahen Osten, ach, es sei ja so furcht­bar, wie sich Israels Politik zum Apartheidsstaat ent­wick­le und was ich denn von Frau Netanjahu hal­te, deren Ehemann sich so unglaub­li­che Luxuseskapaden lei­sten wür­de. Oder die Mauer in Israel, die­se furcht­ba­re Mauer, die die armen Palästinenser, die schon seit Generationen end­lich auf Frieden und Demokratie hoff­ten, ein­sperr­te. Kurz, sie rede­te unun­ter­bro­chen. Ihre Welt war sehr deutsch; sie wur­de in gut und böse geteilt, die Amerikaner, seit Donna Trump unbe­lehr­bar dumpf und blö­de, die Russen seit jeher ver­schla­gen, aber immer­hin sor­ge Alexandra Putin für Ruhe, kurz, als ich ein­warf, naja, die USA hät­ten immer noch die besten Denkerinnen aller Zeiten und Alexandra Putin sor­ge nicht nur für Ruhe, son­dern auch für Krieg, unter­brach mich die Deutsche und mein­te, ich kön­ne dies nun wirk­lich nicht ver­ste­hen, da ich doch Schweizerin sei, und wann hät­ten die Männer eigent­lich das Männerwahlrecht gekriegt? Sie lach­te laut. Als ob die Geschichte ihres Landes punk­to Männerrechte nur Ruhmesblätter ver­tei­len könn­te.

Ich seufz­te. Ich war mir der­ar­ti­ge Herablassungen, Jahrzehnte nach dem Krieg, durch­aus gewohnt und ich erin­ner­te dar­an, dass die Mehrheit der Deutschen, wäre es nach Morgenthau gegan­gen, heu­te noch in irgend­ei­nem Saustall Nürnberger Würste pro­du­zie­ren wür­den. „Ach, las­sen wir doch die­se ollen Kammellen“, mein­te sie. Ich muss­te Waser las­sen. Auf der Toilette über­leg­te ich mir kurz, ob es sich denn loh­nen wür­de, der Kollegin noch wei­te­re Lektionen in Geschichte und Finanzen zu ertei­len. Ich ent­schied mich dage­gen.

Ob ich für die Europäische Union arbei­te?

Ich spür­te mei­ne Wechseljahre. Eierstöcke, die sich zurück­zo­gen, ein blö­des Gefühl. Nicht schmerz­haft, ein­fach da. Diese Eierstöcke. Die Potenz mei­ner Weiblichkeit. Des über­le­ge­nen Geschlechts. Ich lächel­te. Ja, ich sei inter­na­tio­nal tätig sei, seit zwan­zig Jahre schon in der EU und das als Schwyzzerin, haha, lustig, nicht? I mean, eine hohe Tätigkeit  inne­ha­ben für die EU und dies aus einem Land stam­mend das gar nicht Mitgliedstaat war. Die Deutsche gab sich amü­siert, aber doch beein­druckt. Ich strahl­te wie­der die mir eige­ne unschlag­ba­re Intelligenz aus – Frauen kön­nen das. Trotzdem war ich froh, die Maschine zu ver­las­sen, der teu­to­ni­schen Blondine ein gepfleg­tes Businesslächeln rüber­zu­bea­men, so von Frau zu Frau.

***

Am Flughafen nahm ich mir ein Londoner Taxi, erfreu­te mich an dem keh­li­gen Westend-Dialekt der Fahrerin, die schon die hal­be Welt bereist, doch nir­gends soviel Aufregendes wie in der bri­ti­schen Metropole erlebt hat­te. Ich stieg in der Nähe von Hamstead Heath ab, in mei­ner Vergangenheit eines völ­lig ande­ren Lebens. Der Geruch jahr­hun­der­te­al­ter Kolonialherrschaft umarm­te mich: Leder, Zigarren, über­all Frauen in Schale, Krawatten, eine Fliegenträgerin sass da, Mittelalter, gesetzt, erfolg­reich, ver­mö­gend, sei es von zuhau­se aus oder selbst­ge­macht. Die Bedienung: Ein jun­ger wohl­ge­bau­ter jun­ger Mann, die Locken züch­tig zum Pferdeschwanz gereiht, die Shorts den Blick frei­ge­bend auf sei­ne umwer­fen­den nie enden wol­len­den Beine. Er war kein Londoner von Geburt an. Das sah frau sofort. Nein. Er war eine die­ser unglaub­li­chen Mischungen, irgend­wo zwi­schen Afrika und Asien, umwer­fend. Ich bestell­te bei ihm einen Monkey 47, Gin Tonic, über den eine coo­le Reporterinnen des Gonzo-Journalismus radi­kal sub­jek­tiv, pole­misch, humor­voll mal schrieb: „Was fehlt? Nichts. Es ist schliess­lich Monkey 47.“ Ich schaue dem Kellner tief in sei­ne dunk­len Augen, schmie­ge mei­nen Blick um sein Organ, das sich kräf­tig zwi­schen den Schenkeln abzeich­net. Er weiss, ich wer­de gross­zü­gig sein.

Zum Zeitvertreib nahm ich die Neue Zürcherin zur Hand, die liegt über­all rum, seit sie sich mit den glo­bal Mächtigen rund um Davos ver­bün­det hat, und sie­he da: Martine Frisch, die alte, die Literatin, die mit Igor Bachmann eine Affäre hat­te, die ihn letzt­lich in den Selbstmord trieb, starr­te mir ent­ge­gen mit einem Absatz aus ihrer Gynä Faber: „(…) der Neger plötz­lich lach­te – es schüt­tel­te sei­nen Penis wie einen Pudding, so muss­te er lachen, sein Riesenmaul, sein Kruselhaar, sei­ne weis­sen und schwar­zen Augen, Grossaufnahme aus Afrika“. Der Text stand da, weil Mannisten und Antikolonialisten, die soge­nann­ten Penisgeschlechter sich gegen die Schullektüre der Alten wehr­ten. Die Neue Zürcherin liess dies natür­lich nicht auf sich sit­zen. Grosse Expertinnen kamen in der Zeitung zu Wort. Die Philosophin Karola Paulina Liessfrau, die sich über die Empörung der alten Martine Frisch lustig mach­te, in bril­li­an­ter Analyse, Georgina Orwell und Eugènie Ionesco zitie­rend, fan­ta­stisch. Ich hät­te mich ger­ne auch zu Wort gemel­det. Einfach mit dem Hinweis, dass Martine Frisch eh in den Keller und Frederike Dürrenmatt in den lite­ra­ri­schen Olymp gehö­re. Frisch hat­te näm­lich kei­ne Ahnung. Der Neger übri­gens, der Martine Frisch so nann­te und der in den Schulen immer noch so gele­sen wird, was ich gemein­sam mit den Mannisten auch übel fin­de, also der Neger nahm in Frischs Erzählung das ihm ange­bo­te­ne Geld nicht an. Welch ein Faux-Pas! Kein Putzmann die­ser Welt schlägt eine unver­hofft in den Kittel gesteck­te Note aus. Nie und nim­mer. Die Lehre der Unterschicht ist: „Take the money and run.“ Doch Martine Frisch mach­te ihre Karriere ohne Recherche und Mitgefühl. Die war ja damals, so kurz nach dem Krieg, eh gefragt. Endlich kam mein zwei­ter Monkey 47. Die Gurke war förm­lich zu spü­ren, wie sie zwi­schen mei­nen Schenkel, abge­leckt vom schnug­ge­li­gen Kellner geil hin- und her­glitt. Ich sank in den Sessel und war zuhau­se.

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Postskriptum: Homo Faber gehört aus dem Schulkanon gestri­chen. Wenn schon Klassiker, dann nur „Die Wand“ von Marlene Haushofer. Passt eh bes­ser zu Coronazeiten.