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Wenn die Ente quakt

Von Lukas Vogelsang – Das Ende der Audio CD soll bereits Ende 2012 ein­ge­läu­tet wer­den – so die im Side-Line Music Magazin letz­ten Oktober ver­öf­fent­lich­te Vermutung. Wer sich das vor­zu­stel­len ver­sucht, run­zelt die Stirn. Soll das gesam­te Repertoire der Majors (die ganz gros­sen Musiklabels) nur noch digi­tal, über Internet und mp3-Files ver­trie­ben wer­den?

Das ist absurd. Hier hat offen­sicht­lich eine Ente gequakt. Solange die Rechtslage im Internet, die Kopiersicherheit nicht gewähr­lei­stet ist, kann sich die Musikindustrie einen sol­chen Schritt nicht lei­sten. Dazu kommt, dass der Vertrieb von mp3-Files zwar flo­riert – aller­dings gibt es viel zu wenig ver­nünf­ti­ge Verkaufsportale (und dadurch eine schlech­te Erfassung der effek­ti­ven Verkaufszahlen für die Hitparaden), wel­che für alle Benutzer gleich­zei­tig ver­wend­bar sind. Oder den­ken wir an Autoradios: Die haben kei­nen Internetzugang. Doch auch zu Hause ist eine schnel­le Internetleitung noch kein Menschenrecht. Und nicht zu ver­ges­sen ist das klei­ne Detail, dass kaum eine Stereoanlage im Wohnzimmer digi­tal so auf­ge­rü­stet ist, dass man sich pro­blem­los von einem Tag auf den näch­sten dem digi­ta­len Klangchaos aus­lie­fern kann. Von Geräten, wel­che die vie­len Files rich­tig sor­tie­ren und ver­wal­ten las­sen reden wir gar nicht erst. Chaos? Jawohl, der auf mp3 kom­pri­mier­te digi­ta­le Klang, damit er Internet-fähig ist, wird dadurch ver­stüm­melt und ver­un­stal­tet. Das spart Speicherplatz und Ladezeit. Das Ergebnis ist aber nicht mehr das Gleiche was im Studio pro­du­ziert wur­de.

Kleiner Exkurs zur Qualität. Diese kann man ein­fach anhand der Bildqualität von Fotos erklä­ren: Es ist ein him­mel­wei­ter Unterschied, ob wir einen Fotoprint oder aber ein Dia-Bild betrach­ten. Farbqualität und Auflösung sind beim Dia um ein Vielfaches bes­ser. Genauso ver­hält es sich mit Musik. Bei der Digitalisierung wer­den «unnö­ti­ge» (für den Mensch nicht «rele­van­te») Frequenzen abge­schnit­ten, gan­ze Klangräume ver­schwin­den damit, die Aufnahmen erhal­ten ein ganz unter­schied­li­ches Klangbild als das ursprüng­lich auf­ge­nom­me­ne. Es ist etwa so, wie wenn wir in der Kirche den hohen Raum weg­ra­tio­na­li­sie­ren, um Geld zu spa­ren. Der Resonanzraum ver­schwin­det – und damit auch der mysti­sche Klang. Mit Qualität hat die Digitalisierung der Welt also nichts zu tun – mit «bil­lig», Masse und Geld aber schon.

Bei die­ser offen­sicht­li­chen Ente hat der Journalist also ein­fach das gestreu­te Geplapper der Majors über­nom­men und ver­öf­fent­licht. Denn, noch wenn die Majors ihre KünstlerInnen nicht mehr auf CD ver­öf­fent­li­chen wür­den, wäre das Ende der CD noch lan­ge nicht besie­gelt. Zwar wür­den die Marktanteile der Stars eine inter­es­san­te Verschiebung erle­ben – aber es ist zu ver­mu­ten, dass die­se nicht zu ihren Gunsten aus­fal­len wird. Wenn die Majors einen solch radi­ka­len Schnitt bereits jetzt aus­hecken, dann nur, weil sie plei­te sind und durch einen insze­nier­ten wirt­schaft­li­chen Selbstmord die Verantwortung von sich schie­ben wol­len. Denn: Alle ande­ren wer­den wei­ter­hin CDs pro­du­zie­ren.

Ein sol­ches Gerücht wird gestreut, um die Bedürfnisse abzu­ta­sten. Das ist ein ein­fa­ches und alt­be­kann­tes Verfahren, um einen Markt aus­zu­lo­ten. Apple, Facebook, Microsoft, Google – all die­se Unternehmen sind wöchent­lich mit erstaun­li­chen Themen in der Presse ver­tre­ten. Man weiss unter­des­sen – es sind bereits Fälle akten­kun­dig –, dass hin­ter die­sen zum Teil haar­sträu­ben­den Enten und Gerüchten PR-Agenturen stecken, wel­che von der Konkurrenz bezahlt wur­den. Das fie­se ist, dass die­se Meldungen in die Depeschenagenturen gelan­gen und von dort die Redaktionen infil­trie­ren. Damit gene­riert man Feedbacks, wel­che für die Marktforschung wich­tig sind. Die Journalistenzunft schreibt wacker jeden Piep die­ser Meldungen ab – oder aber, wie im Fall bei der Tamedia, sind sel­ber Fan von einem Produkt und schrei­ben ent­spre­chend unbe­hol­fen nega­tiv über die ande­ren.

Was heisst das jetzt für die LeserInnen? Ganz ein­fach: Die schö­ne neue Medienwelt zwingt jede(n) LeserIn dazu, sel­ber Recherchen zu betrei­ben. Wir kön­nen unse­ren Journis nicht mehr trau­en. Die Quellen der Informationen sind nicht mehr klar, die Interpretationen zum Teil unreif, es fehlt an ver­netz­ten Denkweisen, an geschicht­li­chem Know-how, und die Selbstdarstellung über­wiegt. Es ist unbe­dingt nötig, dass die Zeitungen ver­mehrt über Qualität nach­den­ken.

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2012