Welt trifft Winterthur

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Von Florian Imbach – Fünf Regisseure – einer pro Kontinent – wer­den in die Schweiz ein­ge­la­den, um je einen Kurzfilm für die Kurzfilmtage in Winterthur zu dre­hen. Mit ihrer Aussensicht sol­len die Künstler aus aller Welt unse­re Welt zei­gen, wie sie sie sehen.

Dirbdil Assefa Akriso schaut zu, wie ein Sarg in den Ofen gescho­ben wird. Vom Angestellten des Krematoriums Winterthur lässt er sich genau erklä­ren, wie nun die sterb­li­chen Überreste ver­brannt wer­den. Ein unge­wöhn­li­cher Vorgang für den 31-Jährigen. «Bei uns in Äthiopien wirst du beer­digt, wenn du stirbst. Egal was pas­siert, wenn du tot bist, lan­det dein Leichnam unter der Erde.» Wir unter­hal­ten uns auf Englisch. Dirbdil spricht lei­se und unauf­ge­regt. Überhaupt ist sei­ne gan­ze Art sehr distan­ziert. Dass Menschen bei­spiels­wei­se in Indien nach dem Tod ver­brannt wür­den, sei ihm schon bekannt gewe­sen. «Aber dass dies hier in der Schweiz so beliebt ist, hat mich sehr über­rascht.»

Der äthio­pi­sche Regisseur dreht einen Kurzfilm über die Kremation in der Schweiz, und behan­delt dabei als Gast in einem frem­den Land einen für ihn frem­den Aspekt. «Ich möch­te den Tod the­ma­ti­sie­ren, weil sich die Menschen in der Schweiz nicht bewusst sind, was es für Folgen hat, wenn du ver­schie­de­ne Möglichkeiten hast, wie nach dem Tod mit dir ver­fah­ren wird.» Mit einem Team von wei­te­ren drei Leuten, Kamera, Ton und Regieassistenz, dreht Dirbdil sein per­sön­li­ches Essay über das Verbrennen der Toten in der Schweiz. Er spricht mit Betroffenen, mit einem Pfarrer, besucht eben das Krematorium, und geht auf Spurensuche im Friedhof Rosenberg. Winterthur ist sein Schauplatz.

Winterthur als Ausgangspunkt war eine bewuss­te Wahl von Projektleiterin Ivana Lalovic von der ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste). Sie lud Dirbdil für die­sen Kurzfilm in die Schweiz ein, nebst vier ande­ren Regisseuren, die auch je einen Kurzfilm dre­hen. «Winterthur ist eine super Stadt für unser Projekt. Sie hat eine gute Grösse, die Menschen sind offen und machen mit.» Ivanas Projekt heisst «5x5x5». 5 Regisseure aus 5 Kontinenten rea­li­sie­ren 5 Kurzfilme über das Land, das sie ein­lädt, in die­sem Fall eben die Schweiz. Ivana hat selbst als Regisseurin für ein ähn­li­ches Projekt in Belgien Europa ver­tre­ten. «Eine prä­gen­de Erfahrung», sagt sie. Sie habe so etwas unbe­dingt auch in der Schweiz ver­wirk­li­chen wol­len. «Wenn ein Regisseur aus der Schweiz ein Thema auf­greift, wird er immer eine schwei­ze­ri­sche Perspektive haben. Das ist anders, wenn jemand Fremdes hier­hin kommt und das Thema aus einer Perspektive betrach­tet, die wir, die ja hier leben, noch nie gese­hen haben.» Im Idealfall kön­ne so der Alltag auf eine neue und unbe­kann­te Art gezeigt wer­den. Ein wei­te­rer Aspekt des Projekts ist der Austausch zwi­schen Regisseur und Team. Denn jedes Team wird mit Filmstudenten aus der Schweiz kom­plet­tiert, und zudem durch einen Mentor oder eine Mentorin betreut, die Winterthur gut ken­nen. «Dabei ver­dient übri­gens nie­mand. Niemand im gan­zen Projekt bekommt Geld», sagt Ivana – und die­ser Aspekt ist ihr wich­tig. Was ver­ständ­lich ist, bei einem Gesamtbudget von 150’000 Franken.

Die fünf Regisseure aus Äthiopien, Australien, Serbien, Peru und Kirgistan woh­nen wäh­rend der gan­zen fünf Wochen zusam­men in einer WG: in einer Villa in Winterthur, durch einen Sponsor bereit­ge­stellt. Sie kochen zusam­men, tau­schen sich aus, spre­chen über die Probleme beim Dreh. Der Austausch und die gemein­sa­me Zeit in der Villa sei eine wich­ti­ge Stütze. «Zwischen uns Regisseuren hat sich eine Freundschaft ent­wickelt», sagt Dirbdil, unter­wegs zum näch­sten Drehort auf dem Friedhof Rosenberg. «Wir sind sehr unter­schied­lich.» Er zum Beispiel, Dirbdil, sei eher neben­bei zum Film gekom­men. Er unter­rich­tet Politikwissenschaften und inter­na­tio­na­le Beziehungen an der Universität in Addis Abeba, und hat mit dem Filmen als Hobby ange­fan­gen. «Meinen ersten Film habe ich mit Erspartem finan­ziert.» Ein Glücksfall war, dass eines sei­ner Werke am Weltklimagipfel in Kopenhagen gezeigt wur­de. «Ich habe in dem Film erzählt, wie bei uns in Äthiopien, wo Ausdauersport und damit kör­per­li­che Gesundheit so wich­tig ist, vie­le alte Autos fah­ren, die sehr unge­sun­de Abgase pro­du­zie­ren.»

Dirbdil und sein «Team Afrika» haben mitt­ler­wei­le den Drehort auf dem Friedhof gefun­den. Der Äthiopier geht als Protagonist in sei­nem eige­nen Film einer Wand mit Urnengräbern ent­lang. Die Szene ist wich­tig für den Essay-
gedan­ken des Films. Während Dirbdil geht, streift Filmstudentin Rebekka Friedli unru­hig auf dem Set umher. «Wir konn­ten am Morgen ein Interview mit einem Pfarrer füh­ren», sagt sie. Das sei zwar gut für Dirbdil, aber eben nicht geplant, dar­um sei­en sie jetzt nicht mehr im Zeitplan. Kein Spass für eine Regieassistentin. «Die Arbeit ist zwar sehr streng: In so kur­zer Zeit einen Film orga­ni­sie­ren, zu dre­hen und zu schnei­den, aber ich ler­ne viel, und es ist sehr span­nend», sagt Rebekka.

Ich spre­che sie auf die Zusammenarbeit mit den Regisseur an. Sie ant­wor­tet mit Begeisterung: «Unglaublich, wie er die Sache angeht.» Dirbdil habe eine direk­te Art, auf Menschen zuzu­ge­hen, und ver­lan­ge Vorschläge vom Team. «Wenn wir dann einen Kontakt für ein Interview vor­schla­gen, den er span­nend fin­det, war­tet er kei­ne Sekunde. Wir müs­sen gleich anru­fen oder vor­bei­ge­hen, und einen Termin für den Dreh aus­ma­chen.» So hät­ten sie innert kür­ze­ster Zeit einen rand­vol­len Terminkalender gehabt. «Dirbdil hat kla­re Vorstellungen davon, was er will, und er tauscht sich mit uns vom Team aus.» Sie, Rebekka, habe übri­gens lan­ge gezö­gert, ehe sie sich für das Projekt ange­mel­det habe. «Ich hat­te Bedenken, dass mei­ne Englischkenntnisse nicht aus­rei­chen wür­den.»

Diese Bedenken zersdtreu­ten sich zum Glück. Der Austausch inner­halb der Gruppe, die Dynamik wirkt auf mich sehr erfri­schend, und Rebekka scheint einen guten Job zu machen. Dirbdil bespricht gera­de mit Kameramann Stefan Dux die näch­ste Einstellung vor einem Urnengrab. Ich fra­ge ihn, wie­so er sich gera­de für den Tod und die Kremation als Thema ent­schie­den habe. «Das kam so: Hier in der Schweiz ist alles so nett und ordent­lich. Den Menschen geht es gut, und man ist freund­lich. Da habe ich mir gedacht, es muss doch in der Schweiz etwas geben, was nicht so ordent­lich ist, etwas, wovor die Leute Angst haben.» Und er sei zum Schluss gekom­men, dass die­ses «Etwas» der Tod sei. Im hie­si­gen Alltag feh­le der Tod, sagt Dirbdil. Darum mache er die­sen Film; für die Menschen in der Schweiz und in Winterthur. «Ich könn­te auch eine Geschichte über die Brunnen machen. In Addis Abeba, wo ich her­kom­me, gibt es kein Brunnensystem.» Aber dies wür­de wohl die Menschen in der Schweiz nicht inter­es­sie­ren. «I want this film to have an impact on peo­p­le here in Switzerland», sagt Dirbdil.

Foto: zVg.
ensuite, November 2011

 

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