(Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline)

Noch einmal: Ein Abendessen. Eine Indiskretion. Ein Warenmuster. Zwei Tickets. Drei Tage Côte d’Azur. 550 oder 400’000 Franken. Was ist Ihr Preis?
Das wurde das letzte Mal schon gefragt. Nur zweigte der Text dann in Richtung Geschäftsmodell ab. Auch eine finstere Gegend. Aber die Frage nach der persönlichen Bestechlichkeit blieb unbeantwortet.
In den guten, schlechten alten Zeiten, als es noch keine Monopolblätter gab, war die Sache noch gemütlich. Ich war Volontär beim «St. Galler Tagblatt». Und machte dort die viertklassigen Anlässe: Pressekonferenzen des lokalen Einkaufscenters, Vernissagen, Vorträge. Wobei ich jedes Mal auf die Kollegen der Konkurrenzblätter traf. Diese sahen, Mann oder Frau, verblüffend gleich aus: enorme Bäuche und Nasen, rot und grossporig wie der Mars. Mit der einen Hand griffen sie nach dem Weisswein, mit der anderen nach dem Lachsbrötchen und mit der dritten unterstrichen sie die Passagen im Pressetext, die sie danach abschreiben würden.
An mehr erinnere ich mich nicht: Durch die zwei, drei Pressetermine pro Tag war ich damals zuverlässig betrunken. Es war eine Zeit, als Journalisten noch Respekt erhielten: An Gemeinde- oder Gewerbeversammlungen wurden die Namen der anwesenden Journalisten samt Zeitung verlesen. Dann stand man auf, verbeugte sich, und der Saal applaudierte. Und jemand füllte einem immer das Glas nach.
Der Traum vom Autojournalismus
Aus dieser Zeit stammt auch der Traum, einmal im Leben für ein Jahr als Auto-Journalist zu arbeiten: Einladung von Mercedes oder weiss Gott wem auf fünf Tage Teststrecke in Südspanien, bonbonfarbene Drinks und langbeinige Menschen, die einem Hochglanzprospekte des neuen Modells zwecks Abschreiben überreichen. Wahrscheinlich bleibt der Traum Traum. Erstens hat heute die Autoindustrie weniger Geld. Zweitens sollte ich zuerst einmal den Führerschein machen.
Ausserdem stellte ich bedauernd fest, dass Luxus auf Recherchereisen völlig verschwendet ist. Egal, ob in einem Viersternehotel oder einer Jugendherberge, das Gefühl ist immer gleich: Das man das Falsche gesehen, die Interviews vergeigt, das Wichtigste verpasst hat – und gerade jetzt wieder verpasst, wo man seine Krawatte auf das Hotelbett wirft. Wenn das Gefühl Unfähigkeit ist, ist dir die Unterkunft egal.
Die Gesetze des Fliessbands
Die Hauptquelle von sanfter Korruption im heutigen Journalismus ist nicht mehr Gemütlichkeit. Sondern ihr Gegenteil: das Fliessband. Also das schnelle Übernehmen von Kommuniqués, die Instant-Interviews mit Experten, Politikern, Firmenleuten, das Copy-Pasten. Seltsamerweise ist dies weniger ärgerlich für das Publikum als für den Journalisten. Denn, wie mir ein Gewerkschafts-Profi sagte, würden etwa die vor Verhandlungen üblichen Vorwürfe an eine Firma, die fast 1:1 von der Presse übernommen würden, von Publikum nur flüchtig gelesen. Die wirkliche Bedeutung hätten sie nur für den Absender und den Adressaten. Diese beiden nähmen es ernst.
Während 1:1 publizierte Produktwerbung, wie mir ein PR-Agent sagte, sich auf den Verkauf selbst kaum messbar auswirkt. Aber umso mehr auf die Stellung des Agenten selbst: Weil die Firmen und ihre Bosse alle positiven Publikationen über sich höchst wichtig nähmen.
Kurz: Der Hauptbetrogene ist nicht einmal das Publikum, das nur flüchtig hinsieht. Sondern der Journalist. Deshalb, weil er – unter Zeitdruck, also hart arbeitend – Irrelevantes tut.
Die Folgerung: Nichts gegen Tempo, wo es sein muss. Aber man sollte sein Fliessband bremsen, wo immer es geht.
Gerechtigkeit? Nicht im Angebot
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Was also wäre Ihr Preis? Sagen Sie nun nicht: «Ich habe keinen». Völlig Unbestechliche sind für diesen Beruf nur halb geeignet. Schon, weil alles Interessante in der Grauzone passiert. Etwa bei Informanten. Für jede Recherche braucht man Köpfe im Hintergrund: Tippgeber, Experten, Sympathisanten. Und diese wollen von Ihnen dasselbe wie Mercedes oder die Kaufhalle: nette Worte über sich selbst. Und nach Möglichkeit nur Boshaftes über die Konkurrenz.
Hinter fast jeder Enthüllung, die Sie lesen, steht jemand, der gepetzt hat. Und das selten aus reiner Wahrheitsliebe. Wie weit also gehen? Kommt drauf an, wie sehr Sie Schlagzeilen oder Genauigkeit lieben. Oder Menschen. Denn Bestechlichkeit ist auch eine grosse Tugend, gerade bei Journalisten. Nur Taube reagieren unerschütterlich auf Charme; nur Verbohrte ziehen ihre Vorurteile überraschenden Ideen vor; nur Herzlose lassen sich nicht bestechen von der Angst und Hilflosigkeit eines Gegenübers. Und zur Hölle damit: Gerechtigkeit ist nicht nur nicht herstellbar, sie wäre auch grausam. Es wäre eine finstere Welt, wenn alle nur das bekommen würden, was sie verdienen.
Zur Frage der Käuflichkeit also ein deutliches, dezidiertes Ja. Einfach deshalb, weil diese Haltung wacher macht. Sie werden eh immer alles prüfen müssen. Nicht zuletzt sich selbst.
Festzulegen bleibt nur noch der Preis: Wie viel? Und vor allem die Währung: Wollen Sie Luxus? Respekt? Wenig Ärger? Exklusivinformation? Bestätigung der eigenen Irrtümer? Neue Ideen? Das Gefühl der Wichtigkeit, wenn Sie ein Prominenter anlächelt? Oder den Eishauch der Macht, wenn ein anderer vor ihnen zittert? Was genau ist ihr Preis?
Sie entscheiden das. Aber wählen Sie weise!
PS: Der Diplomat Charles de Talleyrand, angesprochen auf seinen Patriotismus, sagte den stolzen Satz: «Bis zu einer Million Livres stehe und sterbe ich für Frankreich!»
PPS: Der US-Autor Truman Capote verlor nach dem Vorabdruck seines Schlüsselromans «Erhörte Gebete» seine Freunde unter den oberen Zehntausend. Er kommentierte den Verlust mit: «Wen zum Teufel haben die gedacht, haben sie eingeladen? Einen Schriftsteller.»
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