Welch süßer Duft liegt in der Luft?

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_DSC4458Von Fabienne Naegeli – Das Theater Marie begibt sich auf die Spuren der gesell­schaft­li­chen Vanillisierung

Schon die spa­ni­schen Seefahrer im 16. Jahrhundert wuss­ten es – Vanille wird die Welt erobern – und brach­ten sie von ihren Entdeckungsreisen mit nach Europa. Die Königin der Gewürze, wie sie auch genannt wird, fin­det sich heu­te in Schokolade, Kinderspielzeug, Flip-Flops, Babynahrung, Rotwein, Erdbeermarmelade, Kaffee, Kerzen, Backwaren, Parfüms sowie in diver­sen Pharmazeutika, Milch- und Kosmetikprodukten. Nichts und nie­mand ist vor ihr sicher, denn sie ist über­all drin. Ihr wird eine aphro­di­sie­ren­de und medi­zi­ni­sche Wirkung nach­ge­sagt. Wohl dos­siert soll sie Abgeschlagenheit bekämp­fen und beru­hi­gend auf die Nerven wir­ken. Manches Wartezimmer bei Ärzten wird damit beduf­tet – da sie die Angst neh­men soll. Doch oft wird nicht das ech­te Naturgewürz Vanille ver­wen­det, son­dern bloß ihr syn­the­tisch her­stell­ba­rer Hauptaromastoff Vanillin. Der Ersatzstoff aus Produkten, die bei der Holzverarbeitung abfal­len, ist näm­lich wesent­lich bil­li­ger als ech­te Vanille, die in Anbaugebieten außer­halb Mittelamerikas, auf­grund der dort feh­len­den Vögel und Insekten, per­so­nal­in­ten­siv mit der Hand bestäubt wer­den muss. 1874 erfand der deut­sche Chemiker Wilhelm Haarmann im nie­der­säch­si­schen Holzminden das syn­the­ti­sche Vanillin. Das „Betrugsmolekül“ ist che­misch mit mensch­li­chen Pheromonen ver­wandt und der Aromastoff mit der größ­ten Produktionsmenge auf dem Weltmarkt. Viele Säuglinge bekom­men mit Vanillin ange­rei­cher­te Nahrung. Im Erwachsenenalter brau­chen die Menschen dann höhe­re Dossierungen, weil bereits eine Gewöhnung an den Geschmack ein­ge­setzt hat. Aufgrund der posi­ti­ven Assoziationen und der Erinnerungen an die Kindheit, die der Vanilleduft weckt, sowie wegen der guten Kombinierbarkeit mit ande­ren Aromen, lullt uns die Lebensmittelindustrie per­ma­nent damit ein. Das Theater Marie, seit ver­gan­ge­nen Herbst unter neu­er künst­le­ri­scher Leitung, unter­sucht in ihrem aktu­el­len Stück „Von der schlei­chen­den Vanillisierung der Gesellschaft“ mit Hilfe von ExpertInnen-Interviews die­ses Phänomen der Banalisierung unse­res Geschmacks und ver­süßt den kri­tisch-humor­vol­len Theaterabend mit duf­ten­den Gedichten von Friedrich Rückert und roman­tisch-sehn­suchts­vol­ler Liedermusik aus dem 19. Jahrhundert von Mahler und Schumann.

„Von der schlei­chen­den Vanillisierung der Gesellschaft“ – ein dis­kur­si­ves Musiktheater 
Heute Abend sowie am 10. und 11.5., 20:30 Uhr, im Schlachthaus Theater (Bern) oder am 17. und 18.5., 20:15 Uhr, im Theater Tuchlaube (Aarau)
www.theatermarie.ch

Mit: Michael Glatthard, Philippe Meyer und Pascal Nater. Inszenierung: Olivier Bachmann. Musik: Pascal Nater. Szenografie: Erik Noorlander. Dramaturgie: Patric Bachmann. Regieassistenz: Hans-Christian Hasselmann.

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