Was wären wir ohne Erinnerungen?

Von

|

Drucken Drucken

Von Belinda Meier – Das neue Theater Matte hat mit Felix Mitterers «Der Panther» erfolg­reich die erste Theatersaison gestar­tet. Regisseurin Livia Anne Richard, die das Stück auf Mundart umge­schrie­ben hat, ist eine berüh­ren­de und inti­me Inszenierung vol­ler tra­gi­scher und komi­scher Momente gelun­gen.

«Der Panther», so der Titel des ersten Stücks, das vom 23. Oktober bis 28. November im neu­en Theater Matte zur Aufführung kam, han­delt vom Älterwerden, von Demenz, von Sehnsüchten, und von der Einsamkeit im fort­ge­schrit­te­nen Alter. Das Stück des öster­rei­chi­schen Dramatikers Felix Mitterer ist 2007 im Theater in der Josephstadt in Wien urauf­ge­führt wor­den. Mitterer schrieb die Tragikomödie anläss­lich des 70-jäh­ri­gen Bühnenjubiläums von Fritz Muliar. Die Rolle des alten, seni­len Stänkerers schrieb Mitterer Muliar damit exakt auf den Leib. Nicht min­der passt die Rolle jedoch zu René Blum, der den ver­gess­li­chen Herrn Altmann in Livia Anne Richards Inszenierung mimt. Gekonnt spielt René Blum die­sen facet­ten­rei­chen Charakter, der ein­mal ein Nervenbündel ist, ein ander­mal eine um Identität rin­gen­de Figur, und wie­der ein ander­mal als abge­klär­ter Mensch einen Plan ver­folgt.

Das Alter zeich­net Im Dreipersonenstück «Der Panther» agie­ren neben René Blum ali­as Herr Altmann Marianne Tschirren in der Rolle von Marion Liebherr, und André Ilg als Marions Neffe. Das Stück beginnt mit Marion Liebherr, die einen frem­den Mann zu sich nach­hau­se nimmt. Auf dem Rückweg von der Beerdigung ihres Ehemannes hat sie ihn mit dem Auto ange­fah­ren. Um ihr schlech­tes Gewissen zu beru­hi­gen, nimmt sie ihn in ihre Wohnung, wo sie sich um sein Wohlergehen küm­mert. Schon bald merkt sie aber, dass die­ser Mann nicht in erster Linie Hilfe benö­tigt. Lieber lässt er sich mit Cognac und Zigaretten bedie­nen, und schreckt nicht ein­mal davor zurück, selbst die Gastgeberin mit sei­nen direk­ten Sprüchen und sei­nem schwar­zen Humor zu ver­är­gern. Ihm scheint die Situation zu gefal­len. Er hat Sitzleder und ver­langt sogar Wiedergutmachung in Form eines mehr­tä­ti­gen Aufenthalts in Marions Bleibe – eine merk­wür­di­ge Forderung.

Sonderbar oder ein­fach nur logisch? Weitere Ungereimtheiten und son­der­ba­re Momente fol­gen. So liest Herr Altmann etwa sei­nen Namen von der Hand ab, scheint sich nicht sicher zu sein, ob er sich schon ein­mal in die­ser Wohnung auf­ge­hal­ten hat, oder ist im einen Moment ein lei­den­schaft­li­cher Genussraucher und im ande­ren wie­der­um einer, der dem Rauchen bedin­gungs­los ent­sagt. Der Betrachter bleibt im Unklaren dar­über, ob sich der Alte absicht­lich ver­gess­lich gibt, oder ob er tat­säch­lich Phasen der tota­len Erinnerungslosigkeit erlebt. Angenommen, er gäbe sich ver­gess­lich, so blie­be wie­der­um die Frage offen, wes­halb er dies tut. Das Stück lässt den Zuschauer im Ungewissen. Selbst dann, wenn Herr Altmann offen­sicht­lich ver­sucht, Rainer Maria Rilkes Gedicht «Der Panther» zu rezi­tie­ren, sich aber nur an ver­ein­zel­te Wortfetzen erin­nert, bleibt sei­ne Figur vol­ler Rätsel. Diese Momente sind es dann auch, die die Inszenierung zeit­wei­se als Krimi erschei­nen las­sen und viel Spannung erzeu­gen. Ungereimtheiten fin­den aber nicht nur dort statt, wo es um Herrn Altmann geht. Marion Liebherr bei­spiels­wei­se hor­tet ihr Erspartes in gros­sen Stapeln Altpapier, weiss es aber nicht mehr und ent­deckt das Geld nur durch Zufall wie­der. Im Gespräch zwi­schen ihr und Herrn Altmann ent­ste­hen zudem immer wie­der Momente, in denen sie sich erstaun­lich nahe ste­hen, und sich ihre gemein­sa­men Erinnerungen tref­fen. Die Frage, wie die bei­den wirk­lich zuein­an­der ste­hen, drängt sich immer deut­li­cher auf. Die Rolle die­ser fein­füh­li­gen älte­ren Dame, die gerührt und schwär­me­risch von der Vergangenheit erzählt, zeit­wei­se Erinnerungslücken hat und mit den Anforderungen des täg­li­chen Lebens über­for­dert ist, ver­kör­pert Marianne Tschirren dabei sehr über­zeu­gend. Die Wohnung vol­ler Altpapier und auf dem Buffet auf­ge­türm­ter Kartons erscheint ver­wahr­lost und irgend­wie gemüt­lich zugleich – pas­send ein­fach (Bühnenbild: Fredi Stettler). Der drit­te im Bunde ist Marions Neffe (André Ilg). Er, der sich finan­zi­ell ver­spe­ku­liert hat und unter dem Deckmantel der Fürsorge an die ver­steck­ten Millionen sei­ner Tante her­an­kom­men möch­te, bringt zum einen Dynamik und Komik ins Stück, zeigt zum ande­ren aber auch auf, wie leicht­gläu­big, abhän­gig und ein­sam die älte­ren Menschen sein kön­nen.

Der Panther ist kei­ner mehr Zusammen mit Marion gelingt es dem älte­ren Herrn am Ende schliess­lich doch noch, das Rilke-Gedicht voll­stän­dig wie­der­zu­ge­ben. «Der Panther» von Rilke han­delt von einem in Gefangenschaft leben­den Panther. Das Eingesperrtsein ver­än­dert des Panthers Wesen, betäubt und lähmt ihn. Was bleibt ist ledig­lich die Hülle eines Panthers, des­sen bestim­men­de Wesenszüge geraubt wur­den, der daher im Grunde kein «ech­ter» Panther mehr ist. So wie die Käfigstäbe im Gedicht pars pro toto für den Raub des «ech­ten» Panthers ste­hen, so ist es im gleich­na­mi­gen Theaterstück die Demenz, die den alten Herrn von innen her aus­hölt, ihm die Erinnerungen und damit sein Leben raubt.

Livia Anne Richard gelingt es wun­der­bar, die Zuschauer immer nur stück­wei­se und unge­ord­net mit Informationen zu belie­fern. Informationen, die sich wie Puzzle-Teile zu einem Ganzen fügen, und erst am Schluss die gan­ze Wahrheit offen­ba­ren.

Info: www.theatermatte.ch

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo