Was pas­siert, wenn Männer auf Hamster tref­fen?

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Von Simone Artho – Vielleicht das glei­che, wenn Theater auf Theorie, wenn Wissenschaft auf Kunst, wenn Familien auf Organisationen, Führungskräfte auf Mitarbeitende und Eltern auf ande­re Eltern tref­fen: Entweder es gibt ein regel­rech­tes Gemetzel, und danach ist nichts mehr so wie vor­her, oder die Begegnung ist so angst­be­setzt, dass gar nichts geschieht. Es kann aber auch bei­des gleich­zei­tig gesche­hen, und das haben das Stadttheater Bern und das Kompetenzzentrum Unternehmensführung am ersten Advent in einer Matinee ein­drucks­voll vor­ge­führt. Beide insze­nier­ten die merk­wür­di­gen Parallelen von Familien und Organisationen. Aus einem erhel­len­den Zusammenschnitt thea­tra­ler Inszenierung und wis­sen­schaft­li­cher Reflexion erga­ben sich abgrün­di­ge, aber auch lust­vol­le Einblicke hin­ter die Fassaden von Familien und Organisationen, von Männern und Hamstern.

Ausgangspunkt der theo­re­ti­schen Reflexionen war das Stück «Der Gott des Gemetzels» von Yasmine Reza in der Inszenierung von Gabriel Diaz, das gera­de am Stadttheater Bern Premiere hat­te. In die­sem Stück tref­fen sich zwei Elternpaare (die Houillés und die Reilles), da sich ihre Söhne zer­strit­ten haben, zu einem klä­ren­den Gespräch – das ihrer Ansicht nach ein­zi­ge Mittel zivi­li­sier­ter Konfliktlösung. Mit dem Fortschreiten der Begegnung kippt die ‚Fassade des zivi­li­sier­ten Umgangs’ und die Eltern ent­glei­sen zuneh­mend. Das Stück gibt dem Zuschauer einen der sel­te­nen Einblicke hin­ter die Kulissen zwei­er Familien und in das, was pas­sie­ren kann, wenn Fassaden Risse erhal­ten und bröckeln, sich vor­mals ver­deck­te Abgründe frei­le­gen und die Konfliktparteien sich selbst sowie sich gegen­sei­tig hem­mungs­los de-mas­kie­ren. Danach ist tat­säch­lich nichts mehr wie vor­her.

Für ein­mal wur­de – im Rahmen der Sweet’n’Sour-Veranstaltungsreihe – die «Ordnung» der Familien Houillé und Reille nicht nur durch ihr Zusammentreffen und die wil­de Bühnenbepflanzung durch­bro­chen. Auf dem sonst so «stil­len Örtchen» der Houilléschen Wohnung insze­nier­ten sich eine Wissenschaftlerin (Nada Endrissat) und ein Wissenschaftler (Frank Die-ver­nich) unter der Moderation von Ralf Wetzel (alle KPZ Unternehmensführung, BFH) gleich selbst. Dieser Ort, im Normalfall der unum­stöss­li­chen Privatsphäre unter­wor­fen, gewähr­te gleich dop­pel­ten Einblick: hin­ter die Fassaden der Hochschulforschung und in die wun­der­li­che Welt von Organisationen. Damit wur­de auch mit einer ande­ren Ordnung gebro­chen – mit der Ordnung der wis­sen­schaft­li­chen Inszenierung. Man muss mitt­ler­wei­le schon eini­ges an Verfremdung und Verdichtung (und sei es für ein­mal auf dem Klo eines der zwei Elternpaare) erzeu­gen, um mit den Absurditäten und Abgründen von Organisationen über­haupt noch Aufmerksamkeit zu erzeu­gen – zu nor­mal scheint der «Wahnsinn des all­täg­li­chen Aufenthalts in Organisationen» bereits zu sein.

Der «Betriebsblindheit» wur­de also über die­ses unge­wöhn­li­che Format, aber auch über den bekann­ten Bezugsrahmen der Familie ent­ge­gen­ge­wirkt. Obwohl Familien und Organisationen sich der jeweils ande­ren Rhetorik schon fast beden­ken­los bedie­nen («Familienmanager» oder Unternehmen als «eine gros­se Familie»), so sind wei­te­re Parallelen erst­mal nicht unbe­dingt sofort offen­kun­dig. Gleichsam ist gera­de erst die Suche nach die­sen mit­un­ter sub­ti­len Parallelen das eigent­li­che Moment, das ein gemein­sa­mes Verstehen aller Beteiligten ohne viel Klärung erst ermög­licht. Denn wir alle stam­men aus der glei­chen sozia­len Gemeinschaft, der «Familie» und haben damit zumin­dest einen gros­sen gemein­sa­men Nenner. Seien wir ehr­lich: Wir alle ken­nen die immer glei­chen emo­tio­na­len Katastrophen des fami­liä­ren Zusammenseins und doch sind wir alter­na­tiv­los an die­se Gemeinschaft gekop­pelt. Die an die Inszenierung anschlies­sen­de Diskussion hat dies bestä­tigt – offen und ange­regt tausch­te man sich über Erfahrungen in und Ansichten über (die eige­ne) Familie und (die eige­ne) Organisation aus. Uns allen ging es danach wie den Protagonisten. Auch wenn der Blick hin­ter die Fassaden zwar ein Risiko der Ent-zau­be­rung in sich birgt, ste­hen wir doch mit­ten im Ring der Neuaushandlung von Fassaden und dem dahin­ter: von Rolle, von Profil, Identität und Perspektive in der moder­nen Zeit. Was vie­len Organisationen fehlt, ist eine gewis­se Experimentierfreudigkeit. Zumindest ein Gespür für «ande­res» Verhalten und Kommunikationen zu ent­wickeln und es nicht ver­deckt oder unter­be­lich­tet zu las­sen oder gar mit Gewalt zu unter­drücken. Denn trotz­dem oder genau dar­um wird es zur stän­di­gen Gefahr: die Gefahr, auf «ande­re» Perspektiven zu ver­zich­ten, die für das wei­te­re Agieren der Organisationen hilf­reich wären.

Und was ist eigent­lich mit dem Hamster? Es hilft nichts, dazu muss man das Stück ein­fach sehen. Aber soviel sei hier ver­ra­ten: Der Hamster tritt im «Gott des Gemetzels» zwar nicht selbst auf, den­noch ist sei­ne sym­bo­li­sche Wirkung umso all­ge­gen­wär­ti­ger und augen­schein­li­cher. Die Helden des Stücks haben eini­ge Berührungsangst vor die­sem Hamster, was das väter­li­che «Heldentum» und damit die Maskerade einer «ordent­li­chen» Familie in deut­li­che Schieflage bringt. Solche sym­bo­li­schen Hamster fin­det man nun nicht allein in Familien. Der Hamster der Organisation könn­te die Personalabteilung sein. Der Hamster steht für so vie­les, was in der rea­len Berührung, so klein und vor­der­grün­dig es sein mag, unkal­ku­lier­bar erscheint und damit Angst macht: Organisationen haben offen­sicht­lich Pro-ble­me im Kontakt mit ihren Leuten. Aber es hilft nichts, man soll­te über die Freilassung des Hams-ters im Gelände der Organisation nach­den­ken.

Mit die­ser Inszenierung wur­de ein neu­er, etwas unge­wöhn­li­cher – aber kei­nes­wegs befremd­li­cher – Weg beschrit­ten. Wissenschaften haben sich schon immer schwer damit getan und es zuneh­mend ver­lernt, ihr Wissen einer brei­ten Gesellschaft zugäng­lich zu machen. Mit der Zeit ist ihnen dadurch viel «Inszenierungskompetenz» abhan­den gekom­men. In Bern haben sich WissenschaftlerInnen der Suche nach neu­ar­ti­gen Methoden der Wissenstransformation ver­schrie­ben und sind dabei auf ein Theater gestos­sen, dass längst dar­auf vor­be­rei­tet ist. Seit eini­ger Zeit expe­ri­men­tiert man hier mit «Denkräumen», in denen wis­sen­schaft­li­che Texte sze­nisch ins­ze-niert wer­den, ohne zu trocken, zu abge­ho­ben oder zu unver­ständ­lich zu sein. Denn heut­zu­ta­ge ist es umso wich­ti­ger, die­ses drin­gend benö­tig­te Wissen für die Gesellschaft end­lich nutz­bar zu machen.

Ganz neben­bei: Im Rahmen eines wis­sen­schaft­li­chen Projekts wid­met sich das Kompetenz-zen­trum Unternehmensführung gemein­sam mit dem Stadttheater Bern und der Hochschule der Künste Bern (HKB) neu­en, inno­va­ti­ven Wegen des Wissenstransfers und suchen dabei nach Bedingungen und Kriterien erfolg­rei­cher Wissenstransformation und ‑ver­mitt­lung. Der Einsatz von künst­le­ri­schen Medien erscheint dabei äus­serst viel­ver­spre­chend. Falls Sie Interesse am Thema haben, sich ähn­li­che Fragen stel­len oder bereits inno­va­ti­ve Wege nut­zen, kon­tak­tie­ren Sie uns: simone.artho@bfh.ch oder nada.endrissat@bfh.ch.

 

Wenn Sie inter­es­siert, was die Inhalte die­ses thea­tral-wis­sen­schaft­li­chen Zusammenschnitts waren – ein Manuskript ist bei ralf.wetzel@bfh.ch oder frank.dievernich@bfh.ch erhält­lich.

Foto: zVg.
ensuite, Januar 2010

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