Warum wir­ken Idealisten lächer­lich?

Von

|

Drucken Drucken

Von Fabienne Naegeli – Schauplatz International arbei­tet sich in ihrem sze­ni­schen Bilderessay «Idealisten» an der Bühne, am Kostüm und an sich selbst ab.

Ein fixes Bild im Kopf, das mit dem äus­se­ren Bild, der Realität nicht über­ein­stimmt. Stur, blind, tota­li­tär und ver­bohrt in den eige­nen Glauben wird es ver­folgt. Das sind Idealisten. Aufgrund ihrer Beharrlichkeit wir­ken sie in Konfrontationen mit der Wirklichkeit lustig. Ein Paradeexemplar die­ses Menschenschlags ist der Künstler. Trotz lee­ren Rängen und ohne Geld in der Tasche glaubt er an sei­ne Kunst. Das schwei­ze­risch-deut­sche Theaterkollektiv Schauplatz International blickt nach 15 Jahren Tätigkeit auf sein Schaffen zurück und befasst sich mit der Frage: Sind wir noch in der Zeit, oder stol­pern wir mit unse­ren steif gewor­de­nen Vorstellungen durchs Leben? Auf der Suche nach ihren eige­nen Idealen rei­ste Schauplatz International nach Italien, ins umbri­sche Hinterland. Dort restau­rier­te der kapi­ta­li­sti­sche Idealist Bruno Cucinelli, Kaschmirproduzent von Beruf, das Dorf Solomeo, und errich­te­te zusätz­lich ein Theater – alles im Stile der Renaissance. So ent­stand eine Kulissenstadt in klei­nem Maßstab, die den Gedanken der Zentralperspektive kon­ser­viert, ganz nach dem Vorbild von Sabbioneta, der von Vespasiano Gonzaga im Norden Italiens erbau­ten Renaissance Idealstadt. Im Bühnenbild zu «Idealisten», kon­zi­piert von raum­la­bor­ber­lin, ist die­ser Gedanke einer Stadt als Bühne prä­sent. Das Berliner Architektenkollektiv, wel­ches inter­dis­zi­pli­när arbei­tet, heu­ti­ge Architektur und Stadtplanung dis­ku­tiert sowie künst­le­risch in Städten inter­ve­niert, hat sich mit ihren auf Mobilität, Veränderung, tem­po­rä­rer Nutzung beru­hen­den Vorstellungen ans sta­ti­sche Ideal der Renaissance her­an­ge­wagt. Wie im Stummfilm «One week» von Buster Keaton, in dem ein Paar zur Hochzeit ein Eigenheim geschenkt bekommt, das jedoch in Form einer Kiste mit einem Bauplan gelie­fert wird, erhal­ten Schauplatz International von raum­la­bor­ber­lin mehr­deu­ti­ge Pläne und einen Bausatz, des­sen Elemente auf ver­schie­de­ne Weise pas­sen. Obwohl sich Fehler an Fehler reiht, schafft es das Hochzeitspaar in Keatons Film dank Beharrlichkeit eine Art Haus zu bau­en, das wie eine wun­der­li­che Skulptur aus­sieht, ein Monument für den Idealismus. In slap­stick­ar­ti­ger Manier arbei­tet sich Schauplatz International am wider­stän­di­gen Baumaterial und den sper­ri­gen Kostümen ab. Geredet oder Diskurs gewälzt wird dabei nicht. Das habe man in den ver­gan­ge­nen Jahren schon zur Genüge getan, meint das Theaterkollektiv. Nun sol­len die Körper spre­chen. Es soll gehan­delt wer­den. Ungewollt rückt der Musiker Martin Lorenz die­ses Handeln in ein ande­res Licht. Nach streng mathe­ma­ti­schen Prinzipien kom­po­nier­te er moder­ne, frei zusam­men­setz­ba­re Renaissance-Musik. Die Auseinandersetzung mit den eigen­ge­setz­li­chen Anderen in «Idealisten» führt Schauplatz International neben dem Kontrollverlust zu einer Öffnung der Perspektive, zu einem Gewinn an Möglichkeiten, zu viel Komik und Gelächter.

Idee, Konzept, Realisation: Schauplatz International. 
Mit: Martin Bieri, Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Lars Studer.
Konzept, Raum, Kostüme: raum­la­bor­ber­lin (Axel Timm, Nicole Timm). Komposition, Schlagzeug: Martin Lorenz / Akkordeon: Silke Lange. Technik, Lichtdesign: Max Stelzl
. Produktionsleitung: Ralf Grunwald, Eva-Maria Bertschy. 
Recherche und Vermittlung Italien: Anna Gubiani.

Foto: zVg.
ensuite, April 2014

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo