Von mensch­li­chen Abgründen in thea­tra­len Momenten

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Woyzeck, das nie voll­ende­te, frag­men­ta­ri­sche Sozialdrama von Georg Büchner, das schon so oft im Theater und im Film eine Umsetzung erfuhr, bekommt im Theater Neumarkt eine ganz neue Note. Die Geschichte des Soldaten Woyzeck, der von der Obrigkeit aus­ge­nutzt und von sei­ner Freundin betro­gen wird und dadurch zum Mörder wird, ist eine Geschichte, die in Zeiten der Krise aktu­el­ler denn je erscheint. Yannis Houvardas, Leiter des Griechischen Nationaltheaters in Athen, packt die 27 Szenen und erzählt Woyzeck in einer natu­ra­li­stisch schö­nen aber trost­lo­sen Bar und fokus­siert dabei auf die Würde und Selbstachtung des Menschen.
«Vielen Griechen – und vie­len Menschen in ande­ren Ländern – wur­de von der Krise alles genom­men: Jobs, Häuser, Ersparnisse. Und damit ver­lo­ren nicht weni­ge auch ihre Selbstachtung – als Individuen wie als Bürger einer Nation.»
Houvardas lässt Woyzeck als ein­fa­chen, armen Mann erschei­nen. Ein Mann aus der Unterschicht, der alles ver­lor und in unbe­schreib­li­chem Elend eine Lösung sucht. Für Houvardas eine Metapher für den moder­nen Menschen, der sich zwi­schen Reichtum und Armut auf einem schma­len Grat bewegt. Die Schweiz, ein Land mit einem hohen Wohlstandsniveau; dage­gen Griechenland, das zur­zeit am Hungertuch nagt. Zwei völ­lig unter­schied­li­che Länder und doch im Bezug auf Woyzeck so gleich, denn auch das Geld ver­west und so wird jeder Mensch zum Abgrund, bei dem es einem schwin­delt, wenn man hin­ab­sieht.

Rhythmus und Langsamkeit

Das Konzept, wel­ches Robert Wilson vor­leg­te, passt dabei wie die Faust aufs Auge, denn mit dem Musiker Tom Waits ent­wickel­te der ame­ri­ka­ni­sche Theaterregisseur ein melan­cho­lisch-tri­stes Woyzeck-Konzept, das auch auf der musi­ka­li­schen Ebene den Zuschauer berührt. Houvardas Inszenierung spielt dabei mit dem Rhythmus der Elegie und lässt Kontraste wir­ken. Auf die radi­ka­le Musik von Tom Waits fol­gen sto­isch die Dialoge der Figuren. Der grie­chi­sche Regisseur nutzt dabei die Musik auch, um die Figuren klar zu zeich­nen. So ist der Tambourmajor, Woyzecks Gegenspieler, ein coo­ler, rocki­ger Typ und Marie, Woyzecks Freundin, eine star­ke und selbst­be­stimm­te Frau. Doch wie auch immer die Figuren dar­ge­stellt wer­den, in Houvardas Woyzeck gibt es kei­ne Gewinner, denn schluss­end­lich fal­len alle Figuren tief und lan­den auf der har­ten, kah­len Erde.
Woyzeck im Theater Neumarkt über­zeugt mit detail­rei­chen, stim­mungs­vol­len Bildern und berüh­ren­den musi­ka­li­schen Einlagen. Einzig die zähe Langsamkeit, die das gan­ze Stück durch­zieht, wird auf die Dauer zur Last.

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