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Der Axtmörder von Oz

Will man sich im Netz den Trailer zu «Grand Theft Auto V» anschau­en, wird die Neugierde von einer Alterskontrolle gebremst. Kein Kinderkram, also. Die bei­den Regisseure Anne-Süster Andresen und Benjamin Burger reis­sen den Löwen, den Holzfäller und die Vogelscheuche aus ihrem Kontext des Kinderbuchs «Der Zauberer von Oz» und set­zen sie in eine Welt der Video Spiele, nament­lich in «Grand Theft Auto», eine der erfolg­reich­sten Video Game-Serien welt­weit. Der Löwe, der Holzfäller und die Vogelscheuche die­nen dem Stück VideoGamePlay als Protagonisten. Sie leben in einer Stadt, nen­nen wir sie New York. Es ist eine Stadt des Verderbens und der Lust.

Programmierte Welt

Das Live-Machinima-Theater VideoGamePlay sieht sich als «Forschungsprojekt zwi­schen Theater, Video und Spiel», und genau als sol­ches Projekt ist die Vorstellung auch zu betrach­ten. Machinima bedeu­tet, Filme mit 3D-Computer-Grafiken in Echtzeit dar­zu­stel­len. Dies geschieht hier: Ein Gamer und sei­ne zwei Assistenten pro­gram­mie­ren eine Welt, in wel­che ihre Avatare aus­ge­spuckt wer­den. Diese Avatare, der Löwe, die Vogelscheuche und der Holzfäller, sind im Spiel der bär­ti­ge Spekulant «Löwe», der zocken­de Hutträger Bruce und die toug­he Prostituierte.

Die Handlung ist schnell geschil­dert: Das loka­le Radio setzt Preisgelder aus für den­je­ni­gen, der errät, wer in der Stadt als näch­stes wie ermor­det wird. Bruce und der «Löwe» spie­len um die Wette und erwei­sen sich als äus­serst treff­si­cher: Sie pro­phe­zei­en alle Morde kor­rekt. Bald steht fest: Der Axtmörder befin­det sich unter den drei Protagonisten. Im Laufe des Spiels wer­den die drei Charaktere ein­zeln vor­ge­stellt. Zwei Schauspieler und eine Schauspielerin ver­kör­pern die Avatare und tre­ten manch­mal aus dem Schatten des Video Games her­aus und spre­chen zum Publikum oder zu den Gamern.

«God’s Mode» oder die Regiegötter

Da die Handlung etwa so kom­plex auf­ge­baut ist wie ein Telefonbuch, sor­gen Zwischenspiele für, sagen wir, Abwechslung: Autounfälle, ein Spanner und eine Fellatio. Die Anspruchslosigkeit der Handlung von «God’s Mode», wie das Spiel in VideoGamePlay heisst, lässt dar­auf schlies­sen, dass sich auch das Video Spiel «Grand Auto Theft» haupt­säch­lich um Gewalt, Sex und Verfolgungsjagden in einer dem Verfall geweih­ten Unterwelt dreht.

Sehr beein­druckend ist das Setting in der Bühne A des Theaters der Künste und auch die Gamer, oder Regisseure, die die Welt der Avatare so gestal­ten, wie sie das Publikum zu Gesicht bekommt. Sie pro­gram­mie­ren in win­des­ei­le die rich­ti­gen Locations, das pas­sen­de Wetter oder das per­fek­te Fahrzeug auf die Bildschirmflächen.

Seelenlose Avatare

Dass die drei Schauspieler min­de­stens so flach blei­ben wie die Avatare auf den Bildschirmen, mag gewollt sein. Etwas bedau­er­lich ist es aber schon, dass sie nicht mehr Profil haben, als ihre digi­ta­li­sier­ten Alter Egos. Am ehe­sten mag Sarah Schaefer in der Rolle der Prostituierten, der Holzfällerin, zu über­zeu­gen. Sie mimt die Rolle der kalt­blü­ti­gen Mörderin recht über­zeu­gend. Die bei­den Schauspieler, die den «Löwen» und Bruce ver­kör­pern, ver­mö­gen ihren Charakteren hin­ge­gen nur wenig Leben ein­zu­hau­chen. Dies liegt zum Teil an den unin­spi­rier­ten Dialogen, zu Teil an den buben­haf­ten Stimmen, die weder des «Löwen» Selbstwertgefühl wider­spie­geln noch Bruces Coolness.

Nach rund 35 Minuten bleibt der Zuschauer mit die­sem «Medien-mas­h­up» etwas rat­los sich selbst über­las­sen. Wem der Nervenkitzel zu wenig war, der wird sich wohl zuhau­se mit sei­nem Lieblings-Video Game wei­ter­be­schäf­ti­gen. Und wem es an Gewalt gereicht hat, der macht es sich auf der Couch gemüt­lich mit dem «Zauberer von Oz». Da gibt es bestimmt kei­ne Alterskontrolle.

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