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Mit Baudrillard auf Bundys Couch

Erinnern Sie sich noch an die 90er Jahre? Die Totalität der Massenmedien war an ihrem vor­läu­fi­gen Kulminationspunkt ange­langt und bescher­te dem reiz­hung­ri­gen Publikum via CNN den ersten Live-Krieg der Geschichte. Das Werk Jean Baudrillards fand im deutsch­spra­chi­gen Raum erst­mals eine grös­se­re Resonanz; war Baudrillard zuvor doch dem «American way of life» in all sei­nen medi­al kon­sti­tu­ier­ten Klischees und Mythen gefolgt und dabei zum Schluss gelangt, dass Amerika das Reale längst liqui­diert hat und nur noch in den eige­nen Repräsentationsformen und ‑mecha­nis­men fort­be­steht. Das Ganze ist eine gigan­ti­sche Filmvorführung, die nur für die Bildschirme lebt und deren Distanz zum Zuschauer völ­lig ver­lo­ren­ge­gan­gen ist. Die Protagonisten einer belie­bi­gen nach­mit­täg­li­chen Fernsehserie sind nicht weni­ger real als der Nachbar von neben­an.

Das Leben eine Sitcom

Es hat den Anschein, als hät­te sich auch Frederik Tidén für sei­ne Interpretation von Eugene O’Neills Trauer muss Elektra tra­gen mit die­sen Reflexionen befasst. Ganz gemäss Baudrillards Diktum «Die Lacher im ame­ri­ka­ni­schen Fernsehen haben den Chor der grie­chi­schen Tragödie ersetzt» insze­niert der Regisseur sei­ne Vorlage (ihrer­seits eine Paraphrase der Orestie des Aischylos) im Stil einer Sitcom, Gelächter ab Band inklu­si­ve. In einem tra­shig ful­mi­nan­ten Auftakt voll­zieht sich die Exposition der Figuren per Moderator in einer Mixtur aus Gameshow und Seifenoper.

Wo O’Neill den Amerikanischen Bürgerkrieg als zeit­li­chen Rahmen gewählt hat­te, dient nun der letz­te Irakkrieg als Bezugspunkt. Während Lavinia Mannon sehn­lichst die Rückkehr ihres Vaters Ezra erwar­tet, ver­gnügt sich ihre Mutter Christine mit dem Kapitän Adam Brant und heckt mit ihm ein Komplott zur Ermordung des unge­lieb­ten Ehemannes aus. Nach dem unfrei­wil­li­gen Tod des Heimgekehrten kommt Lavinia den Tätern jedoch auf die Schliche und strebt gemein­sam mit dem mitt­ler­wei­le eben­falls aus dem Krieg zurück­ge­kehr­ten Bruder Orin nach Rache.

Die Sitcom als medi­al ver­zerr­tes Destillat des ame­ri­ka­ni­schen Lebensstils bil­det an die­sem Abend im Theater der Künste das wich­tig­ste Darstellungs- und Stilmittel. So ver­wun­dert es auch nicht, dass eine Couch, die direkt Al Bundys Wohnzimmer ent­stam­men könn­te, als zen­tra­le Requisite den Bühnenraum domi­niert. Nahezu jeder Ausspruch, egal in wel­cher emo­tio­na­len Verfasstheit er erfolgt, wird umge­hend durch das cha­rak­te­ri­sti­sche Tonbandgelächter kom­men­tiert. Dieser dra­ma­tur­gi­sche Kniff kri­ti­siert auf ori­gi­nel­le Weise die Wirkung tota­ler mas­sen­me­dia­ler Vereinnahmung auf das emo­tio­na­le Repertoire: Das gesam­te Spektrum zwi­schen­mensch­li­cher Interaktion gehorcht den dreh­buch­ge­steu­er­ten Affektionskategorien von Fernsehserien. Es gibt Gelächter, es gibt Jubel, es gibt mit­leid­vol­le Bestürzung; und nichts aus­ser­dem. So inge­ni­ös die­ser Kunstgriff auf den ersten Blick auch wir­ken mag, neu ist er nicht. Oliver Stone insze­nier­te 1994 in sei­ner fil­mi­schen Tour de Force Natural Born Killers eben­falls eine kur­ze Sequenz mit den typi­schen Stilmitteln der ame­ri­ka­ni­schen Sitcom. Was im Film her­vor­ra­gend funk­tio­niert, erweist sich auf der Bühne jedoch als nicht unpro­ble­ma­tisch. Denn wäh­rend die Szene bei Stone nur weni­ge Minuten dau­ert, zieht sich das Gelächter fast durch einen Drittel des Stücks, und das wirkt auf die Dauer nicht nur ermü­dend, son­dern regel­recht ener­vie­rend.

Kritik und Klischee

Unklar bleibt auch die Frage, ob der Regisseur sei­ne Akteure über­dies ange­wie­sen hat, die Bandbreite ihres schau­spie­le­ri­schen Könnens dem emo­tio­na­len Spektrum einer Sitcom anzu­pas­sen. Besonders bei der Rolle der Lavinia erscheint die­se Palette etwas gar limi­tiert: In nahe­zu jeder Szene, egal ob wütend, trau­rig oder erfreut, wirkt sie wie eine zicki­ge, dau­er­ge­nerv­te Spätpubertierende, die jedes ihrer Worte in Gestalt eines jäh­zor­ni­gen Geschreis ent­äus­sert. Summa sum­ma­rum wird in die­ser Aufführung viel geschrien, für den Geschmack des Kritikers etwas zu viel. Die dadurch erzeug­te ein­di­men­sio­na­le Wirkung der Figuren macht eine dif­fe­ren­zier­te Darstellung von Charaktertiefe ziem­lich schwie­rig.

Das Genre der Sitcom sieht sich mit einer wei­te­ren Schwierigkeit kon­fron­tiert. Wie Baudrillard es for­mu­liert: «Anderswo über­lässt man dem Zuschauer das Geschäft des Lachens. Hier dage­gen wird sein Lachen auf den Bildschirm getra­gen, in das Spektakel inte­griert, hier lacht der Bildschirm, er ist es, der sich amü­siert.» Verzichtet man auf die Lacher, bleibt kaum etwas an Witz übrig. Diese Problematik besteht lei­der auch auf der Bühne: Stimmungen wie Unbehagen, Spannung und Entsetzen wer­den lei­der all­zu oft nur durch den Einsatz ein­ge­spiel­ter Musik erzeugt, wäh­rend die Schauspieler die­se Atmosphären nicht erzeu­gen kön­nen.

Die Inszenierung weist eini­ge sehr ori­gi­nel­le Einfälle auf. Beispielsweise wenn der auf der Couch auf­ge­bahr­te Leichnam von Ezra in bester Lazarusmanier auf­er­steht, um mit einer Lobeshymne auf ame­ri­ka­ni­sche «fami­ly values» die Situation der eige­nen zer­rüt­te­ten Familie zu kon­tra­stie­ren. Doch ins­ge­samt feu­ert die Aufführung ihre ame­ri­ka- und medi­en­kri­ti­schen Salven etwas zu pla­ka­tiv in die Zuschauerränge. Wenn Ezras Leben aus­ge­rech­net in dem Moment endet, als die auf ihn pro­ji­zier­ten TV-Bilder in Rauschen über­ge­hen, dann ver­steht auch wirk­lich Jeder im Raum die Botschaft: Das Fernsehen hat den Amerikaner bis in den eige­nen Körper durch­drun­gen und onto­lo­gisch abhän­gig gemacht, das Ende der Bilder bedeu­tet das Ende des Lebens. Auch bei den von Lavinia gespro­che­nen letz­ten Worte des Stücks erfolgt die Kritik mit dem Vorschlaghammer. Der Ausspruch, dass das wah­re Amerika in Super-Size-Kühlschränken und nächt­li­chem Jetskifahren bestehe, eig­net sich zwar bestens, um die Versatzstücke eines medi­al über­zeich­ne­ten Amerikaklischees zu attackie­ren, wirkt in der heu­ti­gen Zeit jedoch nicht mehr sehr ori­gi­nell. In den 90ern hät­te das wohl bes­ser funk­tio­niert.

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