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Geglückte Wiederbelebung

Sind wir wirk­lich so eman­zi­piert wie wir immer mei­nen? Auf dem ersten Blick scheint die Benachteiligung der Frau, zumin­dest in der west­li­chen Welt, über­wun­den. Der bis­si­ge Feminismus der sieb­zi­ger Jahre ist ver­staub­te Geschichte und hat nicht nur aus­ge­dient, son­dern ist gar zum Schimpfwort mutiert; mit dem Resultat, nur noch auf sei­nen Anfangsbuchstaben redu­ziert zu wer­den. So ver­steckt sich hin­ter dem F‑Word eine auf­klä­re­ri­sche Frauenbewegung, mit der sich nie­mand mehr iden­ti­fi­zie­ren kann, und deren wesent­li­che Inhalte igno­riert wer­den.

Gegen die­se Negation ver­sucht Anke Hoffmann – eine der zwei Kuratorinnen der Shedhalle – ein Zeichen zu set­zen. In engem Austausch erar­bei­te­te sie mit den Künstlerinnen Nevin Aladağ, Ariane Andereggen, Alexandra Bachzetsis und Michaela Melián das viel­ge­stal­ti­ge Projekt «The F‑Word». Gemeinsam wol­len sie das besag­te Unwort neu ver­han­deln, indem sie jeg­li­che Grenzen zwi­schen dar­stel­len­der und bil­den­der Kunst aus­rei­zen: Schauspielerei, Tanz und Sprechgesang in Form von Performances ver­schmel­zen mit Video- und Audio-Installationen, Zeichnungen und Skulptur.

Entlarvende Tanzeinlagen

Am Abend der Vernissage (11. Mai 2012) ver­wan­deln zwei Performances die Ausstellungsfläche der Shedhalle zu einer Art Bühne. Jeglichem Small-Talk und kuli­na­ri­scher Verköstigung wird Einhalt gebo­ten und die Besucher sind auf­ge­for­dert, sich zunächst mit der 45-minü­ti­gen Performance «A Piece Danced Alone» von Alexandra Bachzetsis aus­ein­an­der zu set­zen. Auf einer gros­sen qua­dra­tisch-schwar­zen Fläche prä­sen­tiert sich ihr fik­ti­ves Künstlerinnen-Ego abwech­selnd mit ihrer Doppelgängerin Anne Pajunen.

Anstatt sofort mit der Tanzeinlage anzu­fan­gen, setzt sich Bachzetsis an einen Tisch und spricht mit aus­drucks­lo­sem Blick unver­wandt in eine Kamera, deren Aufnahme live auf einen Bildschirm über­tra­gen wird. In eng­li­scher Sprache über­häuft sie den Zuhörer mit bio­gra­fi­schen Stationen ihrer Tänzerinnenkarriere und die­ser fragt sich arg­wöh­nisch, ob das alles so stim­men kann. Dann setzt die Musik ein und die Künstlerin beginnt, Bewegungen des Modernen Tanzes mit geläu­fi­gen Discotanzschritten zu ver­quicken.

Rund zehn Minuten spä­ter tritt Pajunen auf. Sie trägt die glei­che graue Jeanskombination mit hohen weis­sen Turnschuhen wie Bachzetsis und scheint ihr alles gleich zu tun: die Ansprache in die Kamera, die Tanzeinlage. Doch bei genau­er Betrachtung gibt es Abweichungen, nicht alles wie­der­holt sich eins zu eins. Es wirkt über wei­te Strecken eher wie ein Konkurrenzkampf unter Geschlechtsgenossinnen, die sich zwi­schen­durch mal annä­hern, um sich dann wie­der völ­lig abzu­gren­zen. Die ein­zel­nen Solo-Auftritte zeich­nen sich durch viel Dynamik und Direktheit aus. Beide Tänzerinnen neh­men unent­wegt fest­ge­fah­re­ne, geschlechts­spe­zi­fi­sche Posen ein und grei­fen Bewegungsmuster auf, die sie gelun­gen auf die Spitze trei­ben.

Eine «Mischung aus John Wayne und Grace Jones»

Mit eini­ger Verspätung beginnt die Künstlerin Ariane Andereggen ihre Performance «Woman is an Art Show Part 1». Völlig schwarz geklei­det, mit wil­der Mähne, grel­ler Schminke und High-Heel-Stiefeletten betritt sie die Bühne und zeigt dem Publikum, wie sie meh­re­re Stunden «mög­lichst cool» in der Hocke hin und her lau­fen wird, wie eine «Mischung aus John Wayne und Grace Jones». Sie zele­briert den Konjunktiv und malt dem Publikum genüss­lich aus, was es mit ihr alles erle­ben wür­de.

Im sono­ren Sprechgesang unter­malt von elek­tro­ni­schem Sound prä­sen­tiert Andereggen sich als Nudeln kochen­de Sängerin, die auf Englisch über sich als «moder­ne Frau» und «Arbeitsbiene» sin­gen wird. Ihre drei weib­li­chen Leibwächter sind Ausserirdische in Superwoman-Kostümen und lan­den lei­se in einer elek­trisch betrie­be­nen Rakete. Die Darbietung ist gespickt mit gros­sen und bedrän­gen­den Versprechungen an das Publikum. Sie will es mit einem «pro­fes­sio­nel­len Gefühl» durch­drin­gen, es zum Kochen brin­gen, es sexu­ell erre­gen und beim Stagediving eins wer­den mit ihm.

Mit viel Wortwitz und Selbstironie per­formt die Künstlerin eine zwan­zig minü­ti­ge Live-Show, in der sie jeg­li­ches «pop-femi­ni­sti­sche Halbwissen» zum Besten gibt. Andereggen bringt uns zum Lachen, ein Lachen, das aber auch schnell mal im Hals stecken blei­ben kann, wenn sie bei­spiels­wei­se von einem zwangs­ver­hei­ra­te­ten und zwangs­be­schnit­te­nen Mädchen spricht, dem man doch wohl nicht Stagediving erklä­ren kön­ne. Gerade die­se pro­vo­kan­ten Redewendungen, die sie so non­cha­lant in den Textfluss ein­baut, ver­lei­hen die­ser Performance die nöti­gen Ecken und Kanten, an denen sich die Zuschauer rei­ben müs­sen.

Ein Potpourri viel­ge­stal­ti­ger Sinnlichkeit

Unmittelbar nach dem Betreten der Shedhalle fällt die Installation «Leaning Wall» der Künstlerin Nevin Aladağ auf, die einen bild­haue­ri­schen Hintergrund mit­bringt. Siebzig far­bi­ge Keramikobjekte sind einer Kletterwand gleich arran­giert. Doch die ver­meint­li­chen Haltegriffe ent­pup­pen sich als zu glatt und fra­gil, als dass ein Hinaufsteigen mög­lich wäre. Die Arbeit «Leaning Wall» setzt sich aus zwei fle­xi­blen Wänden zusam­men, auf der sich unspe­zi­fisch weib­li­che oder männ­li­che Extremitäten in Form von Negativabdrücken zu einer homo­ge­nen Komposition ver­mi­schen.

Im hin­ter­sten Teil der Ausstellung befin­det sich die Installation «Sarah Schuhmann und Silvia Bovenschen» von der Künstlerin Michaela Melián. In der 3‑Kanal-Video-Installation lässt sie die im Titel benann­ten Aktivistinnen der deut­schen Frauenbewegung der 1960er und 70er Jahre zu Wort kom­men. Beide Frauen sind lebens­gross auf die Wand pro­ji­ziert, wo sie sich schwei­gend in ihrer Berliner Altbauwohnung gegen­über sit­zen. Ihre erzäh­len­den Stimmen ertö­nen aus dem Hintergrund und schei­nen los­ge­löst von ihren Körpern. Melián insze­niert die Erinnerungen der bei­den Frauen raum­über­grei­fend in Worte und beweg­ten Bildern.

In dem sehr sinn­lich anspre­chen­den Ausstellungsprojekt «The F‑Word» spie­gelt sich das hoch­emo­tio­na­le, kom­ple­xe Thema «Feminismus» sehr viel­schich­tig wider. Es kommt nicht mit dem erho­be­nen Zeigefinger daher, son­dern prä­sen­tiert sehr selbst­re­fle­xi­ve und ‑kri­ti­sche Kunst-Statements mit einem höchst iro­ni­schen Unterton. Sowohl die histo­ri­sche Ebene als auch zeit­ge­mäs­se Positionen wer­den in die­ser Ausstellung gekonnt inte­griert. Anke Hoffmann und den vier Künstlerinnen gelingt es, in über­stei­ger­ter Form Klischees, Vorurteile und Halbwissen zum Feminismus und der geschlecht­li­chen Gleichstellung zu ent­lar­ven, so dass der Betrachter die Notwendigkeit erkennt, sich auch heu­te mit femi­ni­sti­schen Inhalten aus­ein­an­der­zu­set­zen.

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