Tell/Zahhak – ein per­sisch-schwei­ze­ri­sches Duett

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Helden braucht der Mensch! Oder etwa nicht? Eines lie­fert die Inszenierung TELL/ZAHHAK bestimmt nicht: Antworten auf die Frage nach dem Sinn von Heldentum. Im Gegenteil eröff­net sie neue Blickwinkel, regt zum Mit- und Umdenken an und reisst den Zuschauer in einen Bann aus fremd­län­di­schem Gesang, stil­len Klängen und bun­tem Treiben.

Was dein ist, ist auch mein

Im Rahmen des Tellspieljubiläums 2012 ent­stand die schwei­ze­risch-ira­ni­sche Co-Produktion der Theater-Gruppen Mass & Fieber aus Zürich sowie Don Quixote aus Teheran. Die bei­den Gruppen haben den Freiheitskämpfer-Mythos der jeweils ande­ren Kultur auf­ge­grif­fen und sich den unbe­kann­ten Stoff ange­eig­net. Dies hat eine teil­wei­se eigen­wil­li­ge Darstellung von Aufstand, Freiheitskampf und Interpretation der Geschichte frem­der Kulturen her­vor­ge­bracht.

Der erste Teil führt mit­ten in die Geschichte um Wilhelm Tell, den Apfelschuss und den Mord am Tyrannen Gessler – dies jedoch auf Persisch. Den eige­nen Nationalmythos in frem­der Sprache und mit Untertiteln zu erle­ben, lässt ihn ent­frem­det wir­ken und bie­tet zugleich die Möglichkeit einer neu­en Perspektive. Die Schauspieler von Don Quixote haben die Symbole der Unterdrückung auf­ge­grif­fen, spie­len mit dem Hut, dem rot­leuch­ten­den Apfel und einer alter­tüm­li­chen Armbrust, ohne dabei die Parallelen zur eige­nen Kultur zu ver­ges­sen.

Reflexion am Rande

Musikalisch unter­malt, mit weni­gen Worten und Gesangseinlagen lebt die Darstellung der Morde von einer Symbolsprache und aus­drucks­star­ken Schauspielern. Ihre Mimik und Gestik ver­lei­hen den fast schon quä­lend lang­sa­men Inszenierung eine Spannung, die das Publikum fes­selt. In per­si­scher Tracht wer­den die Landvögte im Hamam gelyncht, beim Umtrunk erdolcht und Tell und Gessler duel­lie­ren sich schliess­lich beim urchigen Schwingerkampf. Schriftliche Einblendungen über kul­tu­rel­le Gepflogenheiten in Bezug auf ira­ni­sche Freiheitskämpfer erin­nern immer wie­der an die eige­ne Kultur im frem­den Mythos.

Tells Frau, in einen Tschador ver­hüllt und stets am Rande der run­den Bühne, ist das stil­le Gewissen und gleich­zei­tig die Reflexion des zen­tra­len Geschehens. Wäre die Gnade der Rache als ehren­vol­ler Akt vor­zu­zie­hen und eines gerech­ten Helden wür­di­ger als hin­ter­häl­ti­ger Mord? Schliesslich distan­ziert sie sich von Tell und sei­nen gefei­er­ten Heldentaten und ver­leiht der Frage nach Rache oder Gnade zusätz­li­che Bedeutung.

Verwirrender Bruch

Die Überleitung zum ira­ni­schen Mythos um den «Drachenkönig» Zahhak erscheint komisch und erin­nert zuerst an eine ver­patz­te Zirkusdarstellung. Ein schril­ler Clown stürmt die Bühne und lei­tet in brei­tem Basler-Dialekt die per­si­sche Dichtung aus dem «Buch der Könige» ein. Durch einen Pakt mit dem Teufel erlangt König Zahhak die Krone. Doch der Kuss des Satans hat ihm zwei Schlangen aus den Schultern spries­sen las­sen, die täg­lich nach fri­schen männ­li­chen Gehirnen gie­ren. Daher erobert er den bevöl­ke­rungs­rei­chen Iran, des­sen jun­ge Männer ihm als Nahrung für sei­ne Gifttiere die­nen.

Sehr viel leb­haf­ter, lau­ter und chao­ti­scher insze­nie­ren die Schauspieler von Mass & Fieber den per­si­schen Mythos um den Freiheitskämpfer Feridun als rap­pen­den Helden, einer bun­ten Kuh als Mutter und dem schwei­ze­ri­schen Bundesbrief. Dabei ist ihre Darstellung nicht weni­ger fes­selnd. Insbesondere durch die kon­ti­nu­ier­li­che Erwähnung aktu­el­len poli­ti­schen Geschehens erhal­ten die eigent­lich toten Helden eine leben­di­ge Aktualität. Die zuneh­mend «hirn­lo­se» Gesellschaft wird zur Zumutung und ruft unwei­ger­lich einen Widerstandskämpfer auf den Plan: den Schmid Kaveh. Zusammen mit Feridun, einem Nachkommen des einst durch Zahhak ermor­de­ten Königs, ruft er zum Widerstand gegen den Tyrannen auf.

In einem Stelldichein aller Figuren nimmt dies­mal ein Engel die Rolle des Gewissens ein, wel­cher die Gnade der Rache vor­zieht. Tell, sei­ner Rachgier bereits erle­gen, kann das Blut nicht mehr von sei­nen Händen waschen. Feridun hin­ge­gen ver­schont den tyran­ni­schen König und bestraft ihn mit Verbannung. Doch die Frage bleibt, was dann noch der Sinn sein soll? Weshalb wird die Geschichte über­haupt erzählt? Die Antwort kön­nen nur die Mythenerzähler selbst geben, die Helden blei­ben ledig­lich als Gefässe erhal­ten, die jede Generation mit ihrem eige­nen Sinn fül­len.

Das Elysium der Helden

Das Publikum wird gebe­ten, den «Garten der Helden» nun selbst zu betre­ten. In einem inter­ak­ti­ven Parcours wird es dazu auf­ge­for­dert, selbst über sei­ne Helden und den Sinn und Unsinn von Heldentum nach­zu­den­ken. Versteht man eine Kultur nur, wenn man ihre Helden ver­steht? Oder ist es die Kultur selbst, die ihre Helden schafft? Bilder, Skulpturen, klei­ne­re Inszenierungen und Hörspiele zie­hen den Zuschauer mit­ten in die Diskussion hin­ein, regen zur Reflexion an und öff­nen Türen zur neu­en Betrachtung alter Freiheitskämpfer.

 

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