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Warum Beamte und Milieu nicht die­sel­be Sprache spre­chen

Das Puff erreicht man durch den Hintereingang. Ein paar Stufen, schon steht man in der Küche, die in den Salon führt. Draussen ist Apérozeit. Sich in eupho­ri­scher Übereinstimmung Zuprostende ver­ur­sa­chen dezen­te Glockenklänge. Im Puff ist der Teppichboden pink und die Stimmung gedämpft. Klebstreifen am Boden las­sen eine Art Raumaufteilung erah­nen, anson­sten ist die Einrichtung spar­ta­nisch: Zwei Matratzen, dunk­le Vorhänge, ein Flachbildschirm, zwei Spiegel an Ketten, zwei Aktivlautsprecher. Daraus ertönt eine Männerstimme. Wir sind in einem Puff an der Anwandstrasse im Zürcher Kreis Vier und hören einer Stimme zu, die kör­per­los ist, aber über Körper spricht.

Sextexte

Natürlich ist das Puff kein Puff, son­dern Les Complices: Ein Ort, der auf wenig Platz sehr viel Platz für alle mög­li­chen Künste schafft. Striche durch Rechnungen – Zur stadt­räum­li­chen Verlagerung von Sexarbeit in Zürich ist eine instal­la­ti­ve Dramatisierung des Autors und Theaterregisseurs Tim Zulauf. In der rund vier­stün­di­gen Performance/Installation wid­met sich Zulauf der PGVO, der Prostitutionsgewerbeverordnung, die am 1. Januar 2013 in Kraft getre­ten ist. «Zur Ausübung der Strassenprostitution wie auch zum Betrieb eines Bordells» brau­che Frau neu, so steht es auf der Website der Stadt Zürich geschrie­ben, eine Bewilligung.

Striche durch Rechnungen nähert sich der natür­li­chen Diskrepanz zwi­schen Beamtentum und Milieu mit Witz und Intellekt. Andreas Storm, wel­cher der Stimme aus den Aktivlautsprechern spä­ter impo­san­te Gestalt ver­lei­hen wird, schlüpft mal in die Rolle des Sittenpolizisten, mal in die­je­ni­ge der Sexarbeiterin Evelyn. Dabei redet er sehr über­legt und gepflegt. Er baut gan­ze Luftschlösser aus lee­ren Worthülsen, türmt dabei Sexarbeiterinnen auf Verrichtungsboxen, lässt Anschaffende pro­sa­isch mit Kulturschaffenden kopu­lie­ren und Anwohner auf grenz­über­grei­fen­de «Exoten!» mit Abgrenzung reagie­ren.

Das alles geschieht im Text gewalt­frei und harm­los. «Verdrängung in Verrichtungsboxen am Stadtrand» wird in der Beamtensprache zur «stadt­räum­li­chen Verlagerung von Sexarbeit»; bei Andreas Storm wird Sex zu einem Wort in einem Verwaltungskorsett, das ihn nichts so sehr fürch­ten lässt wie die Grenzen, die er für gewöhn­lich so genüss­lich aus­lo­tet.

Ausloten von Grenzen und Räumen

Immer mehr Männer und Frauen pfer­chen sich in den Salon, der wan­del­bar ist, wie Andreas Storm sel­ber. Erst Wohnzimmer dann Vereinstreff, wer­den die Spiegel von den Ketten gelöst und zu Stellwänden, die Städtepläne tra­gen und Verordnungen der Stadt Zürich. Das Licht ist erst noch weiss, spä­ter dann pur­pur und im Rotlicht wird Evelyn immer muti­ger. Sie (Andreas Storm) geht hin­aus auf die Anwandstrasse, spricht vor ver­dutz­ten Passanten über den Strassenstrich und klärt ein Paar im lang­sam vor­bei­fah­ren­den Wagen dar­über auf, dass auch ein Auto eine Box ist, in der man Sex haben könn(t)e.

Später wird Evelyn die schwar­zen Vorhänge vor den Schaufenstern durch rosa­far­be­ne ein­tau­schen und uns dabei beob­ach­ten, wie wir ihr und Christoph Rath auf dem Flachbildschirm zuse­hen. Die bei­den unter­hal­ten sich über ver­meint­li­che Sicherheit – denn: Ist Prostitution nicht etwa siche­rer, wenn sie sich vor unser aller Augen abspielt, mit­ten in der städ­ti­schen Nachbarschaft, als am Stadtrand zwi­schen lee­ren Bürokomplexen und aus­la­den­den Asylunterkünften? Dies ist bloss eine der Fragen, die Tim Zulauf in sei­ner instal­la­ti­ven Dramatisierung in die Köpfe sei­nes Publikums pflanzt. Als man das Puff durch den Hinterausgang ver­lässt, ist einem klar, war­um sich Milieu und Beamte nicht ver­ste­hen: Weil sie nicht die­sel­be Sprache spre­chen.

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