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Unter die Haut: Soap & Skin in der Roten Fabrik

Die Schlange vor dem Clubraum der Roten Fabrik reicht fast bis zum nacht­schwar­zen See hin­un­ter. Soap & Skin ist kein Geheimtipp mehr – am Eingang wer­den neben Platten, CD’s und T‑Shirts auch Notenhefte fürs Klavier und sogar endor­phin­träch­ti­ge Soap&Skin-Schokolade ver­kauft.

Irrender Geist

Die Bühne ist abge­se­hen vom Flügel leer, dar­auf das silb­ri­ge Notebook. Und dann gehn die Lichter aus, und Zuschauerraum und Bühne blei­ben in abso­lu­te Dunkelheit getaucht, bis die ersten Töne von Deathmetal den Saal erschüt­tern und gleis­sen­de Scheinwerfer über die Bühne zucken. Eine schwar­ze Gestalt betritt lang­sam und laut­los die Bühne, wan­dert erra­tisch durchs Blitzgewitter und steht schliess­lich fast zufäl­lig vor dem Mikrofon. Ein ein­zi­ger Scheinwerfer fällt von oben auf ein weis­ses, von leuch­tend rotem Haar gerahm­tes Gesicht. Die Erleuchtete steht ganz still, ein­zig die roten Lippen öff­nen sich und erfül­len den Raum mit einem war­men, schwe­ren alles umhül­len­den Fluidum. Schliesst sich der Mund von Anja Plaschg ali­as Soap & Skin, dreht sie dem Publikum den Rücken zu und irrt rast­los über die dunk­le Bühne, kau­ert sich zusam­men, scheint sich zu ver­stecken vor den her­auf­be­schwo­re­nen Dämonen.

Im Publikum herrscht ehr­fürch­tig musea­le Stille. Dem Spiel von Dunkelheit und Lichtzucken aus­ge­lie­fert, lässt es die rohe Gewalt der Musik auf sich nie­der­don­nern. Manche Klanginstallationen neh­men den Atem wie ein Schlag gegen die Brust; umso mehr fin­det die fast schmerz­li­che Schönheit, der Plaschgs Stimme ent­strömt, Eingang in den Zuschauer. Sie scheint zeit­wei­se von sich sel­ber über­wäl­tigt: Erschrocken dreht sie sich vom Zuschauerraum ab, rauft sich die Haare, bis sie wie­der in eine Trance zu fal­len scheint und wie weg­ge­tre­ten zit­ternd, fast epi­lep­tisch auf die Tasten des Flügels schlägt.

Sometimes I wish I were an angel

Wie aus Interviews bekannt, ist Plaschg um eine mythi­sche Distanzierung ihrer Person bemüht. Sie macht es auch heu­te Abend dem Publikum nicht leicht, an sie her­an­zu­kom­men; Kommentare sind sel­ten und so lei­se und undeut­lich, dass der sonst stumm, andäch­tig befan­ge­nen Menge ein «hä?» ent­weicht. Als sie beim fran­zö­si­schen Cover Voyage Voyage den Text ver­gisst und abbricht, wirft sie einen hilf­lo­sen Blick ins Publikum. Auf ein­mal sieht sie, die ja 21 ist, sehr jung und so unbe­hü­tet aus, dass man sie an einen son­ni­ge­ren Ort mit­neh­men und sie gleich­zei­tig vor dem Tageslicht beschüt­zen möch­te. Aus dem Riss im sonst so kon­zer­triert-ent­rück­ten Auftritt ent­springt der Wunsch, sie wür­de nun end­lich etwas sagen, etwas an sich auf­blit­zen las­sen, das nicht nur tra­gisch und dra­ma­tisch ist – sie lächelt: «non», und nimmt das Spiel wie­der auf.

Kurz dar­auf steht sie am Bühnenrand, vor ihr der rest­los gefüll­te Saal. Sie holt aus mit Händen und Armen und diri­giert vir­tu­os ihr unsicht­ba­res digi­ta­les Orchester, die gewal­ti­ge Zaubershow aus wild gewor­de­nen Instrumenten, deren Herrscherin sie ist. Sie schüt­telt sich im Strobo und ver­schwin­det schliess­lich im Getöse, geht lei­se ab, so wie sie gekom­men ist.

Unter anhal­ten­dem Applaus kommt Soap & Skin noch ein­mal auf die Bühne, die Hände vor dem Gesicht. Was soll ich denn jetzt noch, sagt sie viel­leicht, man ver­steht es nicht. Schliesslich setzt sie sich an den Flügel, über­legt.

«Maybe you know», haucht sie und beginnt. Sometimes I wish I were an angel – ein­zel­ne Lacher aus dem Publikum; spä­te­stens bei «your honey kis­ses keep me fed» lacht auch Plaschg und befreit stimmt der Saal ein, bis einem schliess­lich sogar bei der Schnulze der Kelly Family eng im Hals wird. Das Velvet Underground Cover Linger on ist das letz­te Lied des Abends und dies­mal ver­harrt Soap & Skin mit dem Gesicht zum Publikum und fängt, mit einem kur­zen, fast unsicht­ba­ren Lächeln, den letz­ten Ton in ihrer Faust.

Die Nacht ver­senkt sich im See, die Sterne sehr kühl im kla­ren Himmel. Die Zuschauer zie­hen die Schultern hoch und Jacken an, stei­gen auf ihre Velos und in Busse, getränkt von der all­mäh­lich abeb­ben­den Flut jener dun­kel­ro­man­ti­schen, sin­gen­den und klin­gen­den Gegenwelt. Ein im heu­ti­gen Konzertbusiness eigen­ar­ti­ges und sel­te­nes Ereignis, das unter die Haut gegan­gen ist.

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