Zwischen geni­taler Oberflächlichkeit und genia­lem Hintersinn

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«Guten Abend.» Mit lei­ser Stimme und seriö­ser Ernsthaftigkeit wird das Publikum begrüsst. Auf der Kleinkunstbühne des Migros-Kulturprozents im Hochhaus am Limmatplatz sit­zen zwei jun­ge Männer auf ihren Stühlen und blicken zag­haft ins Publikum, wäh­rend sie ihre Gitarren stim­men. Simon & Jan, der eine mit lan­gen Rastalocken, der ande­re mit einer Schiebermütze über den kur­zen, blon­den Haaren, wir­ken wie zwei Studenten, die in den Semsterferien end­lich mal wie­der tun wol­len, wor­auf sie Bock haben. In ihrem Fall: Eigene Lieder machen, die die Leute zum Lachen brin­gen sol­len. «Der letz­te Schrei» ist ihr erstes Programm und Simon & Jan sind nun damit erst­mals in der Schweiz.

Jan spricht nicht nur sehr lei­se, son­dern auch sehr lang­sam. Er wirkt scheu und zurück­hal­tend, was sich selbst­ver­ständ­lich bald als Trugbild erwei­sen wird. In Deutschland, sagt Jan, herr­sche ja das Klischee, die Schweizer sei­en wahn­sin­nig lang­sam. Darauf wol­le man heu­te etwas Rücksicht neh­men. Danke, sehr nett.

Flüchtige Witze

Der Start mit einem Lied aus ihrer Studentenzeit, in der sich die bei­den Musiker ken­nenglernt haben, gelingt wun­der­bar. Sie sin­gen dabei von den ewi­gen guten Vorsätzen und dem ewi­gen schlech­ten Gewissen der im ewi­gen Motivationskampf rin­gen­den Studierenden und wir­ken höchst authen­tisch. Das Spiel und der Gesang sind per­fekt. Die bei­den Musiker spie­len hin­ge­bungs­voll schö­ne Balladen. Der Kontrast zwi­schen die­ser gefühl­voll-per­fek­ten musi­ka­li­schen Inszenierung, die eigent­lich zum Zurücklehnen, Entspannen und Geniessen anregt, und dem Inhalt der Liedtexte erzeugt eine reiz­vol­le Spannung. Mit Entspannen ist also nichts. Die jun­gen Männer sin­gen näm­lich von den Mühen des Lebens, von der kor­rup­ten Fäulnis in der Politik, vom Generationenkonflikt – und immer wie­der von Genitalien und Fäkalien. Die Texte sind manch­mal intel­li­gent und scharf­sin­nig und nicht sel­ten derb und vul­gär. Letzteres wird wohl der Grund dafür sein, dass eini­ge älte­re Damen nach der Pause klaf­fen­de Lücken im Publikum hin­ter­las­sen. «Es kommt uns regel­mäs­sig Publikum abhan­den», sagt Jan. «Das sind wir uns gewöhnt.» Schön, dass sich die jun­gen Künstler davon nicht beir­ren las­sen und die näch­ste Komposition ihres sechs­tei­li­gen Zyklus’ «Genitalien auf Abwegen» anstim­men, die aller­dings eine der harm­lo­se­sten Zeilen beinhal­tet: «So’n Genital wird digi­tal meist maxi­mal ver­pi­xelt. Wird es das nicht, handelt’s sich ver­mut­lich um ein Wixbild.»

Insgesamt wird in «Der letz­te Schrei» viel Belangloses kunst­voll ver­packt, in musi­ka­li­schem Superkönnen und sprach­li­cher Raffinesse vor­ge­tra­gen. Die Texte sind tadel­los gereimt, die Lieder per­fekt durch­kom­po­niert, der Inhalt ist oft ober­fläch­lich und reis­se­risch. Das ist gelun­ge­ne Komik, sehr amü­sant, lustig und unter­halt­sam, manch­mal auch über­ra­schend. Aber es ist nichts, was einen blei­ben­den Eindruck hin­ter­las­sen wür­de. Ist der Witz gespielt, hat er sich auch schon ver­flüch­tigt.
Vielleicht ent­steht die­ser Eindruck aber auch, weil aus Schweizer Perspektive vie­le der poli­ti­schen Witze zu weit weg sind und das Publikum nicht genü­gend anspre­chen. Wenn Simon & Jan bei­spiels­wei­se über den ver­stor­be­nen FDP-Politiker Jürgen Möllemann wit­zeln, der vor zehn Jahren kurz­zei­tig deut­scher Vizekanzler war, dann regt sich im Publikum in Zürich wenig.

Scharfer Verstand, locke­re Zungen

Aber! Das poli­tisch inkor­rek­te­ste aller Lieder zeigt ganz deut­lich, was bis­her nur zwi­schen­durch auf­ge­flackert war: Die Jungs kön­nen noch mehr. «Lesbische, Schwarze, Behinderte 2.0» ist der abso­lu­te Höhepunkt des Programms. Es beginnt mit einem Schocker: «Auch Lesbische, Schwarze, Behinderte kön­nen ätzend sein.» Davon gelan­gen Simon & Jan zur Behauptung, im Parlament sei­en ätzen­de Menschen gefragt. «Und sowas sol­len wir wäh­len? Die Hände, mit denen sie win­ken, genau wie das Geld, das sie zäh­len, da hilft doch kein Waschen, die stin­ken.» Und das Lied wird nicht mehr freund­li­cher. Simon & Jan scheu­en sich nicht, ein­zel­ne Politiker offen mit Kraftwörtern zu beti­teln. Doch das allein ver­leiht die­ser Nummer selbst­ver­ständ­lich nicht ihre Kraft. Sie ana­ly­siert bei aller schein­ba­ren Oberflächlichkeit sehr prä­zi­se, sie lässt eine Dringlichkeit spü­ren, die nur auf ech­tem Interesse basie­ren kann, ihre Kommentare sind mehr­deu­tig, aber unmiss­ver­ständ­lich und äus­serst bis­sig. Eine geist­rei­che Nummer, für die es neben Verstand und sprach­lich-musi­ka­li­schem Können auch eine gute Portion Schneid und Leidenschaft braucht. Hier gleicht sich das Niveau des Inhalts dem­je­ni­gen der musi­ka­li­schen und sprach­li­chen Komponente an. Mehr von die­ser Sorte wür­de Simon & Jan wohl schnur­stracks in die Comedy-Elite kata­pul­tie­ren.

Frau ver­zeiht dar­um, dass die Zugabe mit einem ein­fäl­ti­gen Aufruf an die Frauen zum Draufgängertum beim Männeraufriss endet. Er wird immer­hin in lusti­gen Anekdoten und gutem Sprachwitz gemacht und lässt Raum für Interpretationen.

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