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Der lachen­de Traurige

Immer wenn vom Komponisten John Cage die Rede ist, wird sein sym­pa­thi­sches Lachen erwähnt. Auch auf Bildern sieht man ihn mei­stens lachend. Dass der Mensch Cage – er wür­de die­ses Jahr sei­nen 100. Geburtstag fei­ern – aber auch eine lei­den­de Seite hat­te, das kam an der Diskussion im Cabaret Voltaire (im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Digital Brainstorming» des Migros-Kulturprozents) ganz klar her­aus.

Schwulsein in den USA

Die Referentin und Musikerin Iris Rennert beton­te in der Diskussion immer wie­der die bio­gra­phi­schen Bezüge in Cages Werken, wel­che meist ver­nach­läs­sigt wer­den. Cage war homo­se­xu­ell und leb­te ab 1942 mit sei­nem Partner Merce Cunningham in einer Loft in Chelsea, New York. Es war zwar ein offe­nes Geheimnis, dass die bei­den ein Paar waren, an ein rich­ti­ges Coming-Out war aller­dings zu jener Zeit in den USA nicht zu den­ken: Homosexualität galt bis 1973 gemäss der American Psychiatric Association als psy­chi­sche Krankheit und der berühm­te Befreiungsschlag «Christopher Street Day» der Gay-Community gegen ihre Diskriminierung fand erst 1969 statt. «Kontakt zum Rest der homo­se­xu­el­len Gesellschaft gab’s nur beim nächt­li­chen Cruisen in Parks», hat Cage ein­mal ernüch­tert fest­ge­stellt.

Das Leid des Versteckens

Dem dar­aus resul­tie­ren­den Leidensdruck ver­such­te Cage zuerst durch eine Psychoanalyse zu ent­kom­men, doch dies brach­te nicht die gewünsch­te Linderung: «Keiner der Ärzte kann einem hel­fen, die Gesellschaft und die Erziehung auch nicht.» So begann er, sich für Zen zu inter­es­sie­ren und die inne­re Stille dort zu suchen.

Dieser per­sön­li­che Hintergrund warf denn auch ein uner­war­te­tes Licht auf die Fragestellung der Diskussion, ob Cage mit sei­ner Kunst aus Prinzip pro­vo­zie­ren woll­te. Iris Rennert, der Musiker Andres Bosshard und der Historiker Peter Kraut waren sich einig, dass es Cage in sei­nen Werken viel­mehr um eine Verschiebung von Perspektiven ging. Um ele­men­ta­re Fragen, die er auf prä­zi­se und direk­te­ste Weise stell­te. Was ist nor­mal? Was ist Kunst? Was ist Musik? Was ist Stille?

Zeit für stil­les Nachdenken

Cages berühm­tes Werk «4’33’’» (noch immer viel zu wenig im Konzertsaal zu hören) erklang als tref­fen­des Beispiel. Es ist ein vir­tuo­ses Hinterfragen und Vergleichen von künst­le­ri­schen Gepflogenheiten und gemäss Iris Rennert unter­schwel­lig auch immer Cages Vergleich sei­ner eige­nen Lebensweise und Sexualität mit den dama­li­gen bedrücken­den Normen. Er zwang ganz beson­ders mit die­sem sei­nem Lieblingsstück alle Zuhörenden zu einem all­ge­mein offe­ne­ren Denken.

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