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Ein kur­zer, hef­ti­ger Flirt

Obschon Christopher Krieses Prinz Hamlet ein «weis­ses, rei­ches, hete­ro­se­xu­el­les Arschloch» ver­kör­pert, dreht sich die Welt für ein­mal nicht um Hamlet. Sondern Hamlet dreht sich in einer zur Scheibe zurück­ent­wickel­ten Welt, um wel­che her­um die Zuschauer sit­zen. Argwöhnisch, den Blick gezwun­ge­ner­mas­sen unter die Röcke der bei­den Ophelias wer­fend, ist das Publikum gleich­zei­tig Hamlets Verbündeter, Hamlets Tribunal, Hamlets Geliebte und Hamlet selbst.

Kraftausdrücke und kraft­vol­les Schauspiel

Diese Welt ist die Bühne im Theater der Künste im Zeughaushof und sie ist flach, rund und knall­gelb. Vier Pfosten in allen Himmelsrichtungen bie­ten ein gerin­ges Mass an Orientierung, mehr Hilfeleistung kriegt das Publikum kaum. Die drei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen lie­fern sich ver­ba­le Kämpfe, Wort-Duelle; zeit­li­che Abfolge oder Handlung sucht das Publikum ver­ge­bens. Das wir­re, bis­wei­len ver­wir­ren­de Spiel um Identitäten gelingt dem Regisseur Kriese, der mit Prinz Privileg / Hamlet sei­ne Master-Produktion prä­sen­tiert, zwei­fels­oh­ne. Und ver­liert sich der Zuschauer auf der Suche nach dem Sinn die­ser Inszenierung, holt ihn das gro­be Vokabular augen­blick­lich wie­der an den Bühnenrand zurück. «Egozentrisches Arschloch», «ver­fluch­ter Bastard», «Fotze» – wir­kungs­voll und zahl­reich sind die Kraftausdrücke alle­mal.

Doch dann ist da die­ses beein­drucken­de Quintett, das schwitzt und schreit und flü­stert und liebt und küsst und flir­tet, ja, immer wie­der flir­tet. Das Publikum wird in das intri­gan­te Spiel, das Prinz Hamlet und Ophelia mit­ein­an­der trei­ben, mit­ein­be­zo­gen – noch viel mehr, es wird Teil die­ses wahn­wit­zi­gen Schauspiels, das sich um die gros­sen Themen des Lebens und der Vergänglichkeit dreht. Wenn es Krieses Absicht war, die­ses Stück wie einen kur­zen, hef­ti­gen Flirt auf einen wir­ken zu las­sen, der einen schwind­lig macht und des­sen Sinn man erst dann sucht, wenn man am Ende etwas rat­los aber rand­voll mit fri­schem Selbstvertrauen dasteht, dann ist ihm der Versuch gelun­gen.

Irreführendes Verwirrspiel

Noch wäh­rend man sich wun­dert, wel­che Absicht Kriese mit die­sem Sprechtheater ver­folgt, mau­sert sich Hamlet zum Schürzenjäger. Er bezirzt die bei­den Ophelias glei­cher­mas­sen wie sein Publikum. Er strotzt vor Selbstbewusstsein und hän­digt kur­zer­hand einer jun­gen Schönheit aus dem Publikum sei­ne Telefonnummer aus. Hamlet spricht sach­lich von der Liebe, die es als «tie­fe, inne­re Liebe» gar nicht gäbe; das letz­te Stück Romantik, das der Liebe eben­so hart­näckig anhaf­tet wie die Klette ihrem Verführer, ver­fliegt in dem Moment, in wel­chem Kriese sei­ne Theatergruppe alles auf­lö­sen lässt: «Mach kein Theater», kriegt Hamlet zu hören. Spätestens jetzt wird dem Publikum klar: Es ist dem attrak­ti­ven Prinzen mit dem ein­dring­li­chen Blick, die­sem ego­zen­tri­schen Arschloch, auf den Leim gegan­gen. In Hamlet’s Augen ist die Liebe bloss ein gros­ses Theater.

Das Stück dau­ert rund sech­zig Minuten und das ist gut so. Über die­se kur­ze Dauer mag der Regisseur die Spannung in dem wort­la­sti­gen Stück, das stark per­for­ma­ti­ven Charakter auf­weist, auf­recht­erhal­ten. Man ver­dankt es Kriese, dass er sei­ne Figuren kein «Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage» her­un­ter­be­ten lässt, son­dern dass er Hamlet eine eige­ne Sprache gibt, auch wenn es eine der­be ist. Aber Kriese hät­te gut dar­an getan, dem Publikum ein wenig mehr Orientierung zu bie­ten, sei es auf der Bühne oder im Pressetext. «Ein sinn­li­cher Abstecher in die wun­der­ba­re Welt des Genusses» steht in die­sem geschrie­ben. Krieses Irreführen beginnt also bereits hier: Was nach einem Werbeslogan für die Globus deli­ca­tes­sa klingt, soll­te eher lau­ten: «Ein unsin­ni­ger Abstecher in die unge­niess­ba­re Welt der Liebe.» Dann wüss­te das Publikum eher, was es erwar­tet.

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