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Solides Orchesterspiel

Das ange­nehm früh­som­mer­li­che Wetter war eine star­ke Konkurrenz zum Orchesterkonzert der Zürcher Hochschule der Künste, wel­ches im Stadthaus Winterthur statt­fand. Wahrscheinlich des­halb war der Saal trotz des attrak­tiv aus­ge­klü­gel­ten Programms mit Werken der bei­den Publikumslieblinge Mozart und Schubert nur cir­ca zur Hälfte gefüllt. Alle Abwesenden haben sich eini­ge Kostbarkeiten ent­ge­hen las­sen.

Powerplay

Das Orchester eröff­ne­te unter dem Dirigat sei­nes lang­jäh­ri­gen Leiters Johannes Schlaefli frisch und schwung­voll mit Mozarts «Prager»-Sinfonie. Schon in die­sem ersten Stück wur­de hör­bar, dass der Klangkörper der ZHdK kraft­voll zu spie­len ver­mag. Der jugend­li­che Übermut und die Ambitionen der Studenten führ­ten zu einem betont extro­ver­tier­ten Orchesterspiel, wel­cher ganz im Trend der Klangästhetik heu­ti­ger Solisten liegt. Schlaeflis Interpretation nutz­te die publi­kums­wirk­sa­men Vorzüge die­ses Powerplays. Er setz­te zudem pri­mär auf Präzision im Zusammenspiel und auf Hörbarkeit der musi­ka­li­schen Struktur statt auf Innigkeit und indi­vi­du­el­len Ausdruck.

Virtuosität

Auf die Sinfonie folg­te die (lei­der) unvoll­endet geblie­be­ne Sinfonia con­cer­tan­te für Streichtrio und Orchester, ein Stück wel­ches prak­tisch nie auf­ge­führt wird. Mit gros­sem Mut wag­ten sich die drei jun­gen Solistinnen an die schö­nen, aber hor­rend schwie­ri­gen und fies expo­nier­ten Soloparts. Es war klug von ihnen, im ein­lei­ten­den Orchestertutti mit­zu­spie­len um so die ersten, beson­ders hals­bre­che­ri­schen Kapriolen nicht im Kaltstart bewäl­ti­gen zu müs­sen. Auf die­se Weise waren sie bei ihrem eigent­li­chen Soloeinsatz nach der Orchesterexposition schon warm­ge­lau­fen und über­zeug­ten mit gekonn­tem und dif­fer­zier­tem Spiel, beson­ders die Bratschistin Giorgia Elena Cervini und die Cellistin Christine Hu.

Mehr Mut zum Piano

Auch in den Stücken nach der Pause setz­te das Orchester sein Kraftspiel fort, es glänz­te beson­ders an den dra­ma­ti­schen, mit­reis­sen­den und klang­vol­len Stellen der Partitur. Durch Schlaeflis star­ken Fokus auf gute Koordination ent­stan­den vie­le über­flüs­si­ge Betonungen auf den Taktanfängen, was die Entstehung von grös­se­ren Phrasen und die Entfaltung künst­le­ri­scher Grösse hemm­te. An den lei­sen Stellen blieb das Orchester lei­der oft etwas matt und see­len­los, fast nie wur­de mit Risiko die Lautstärke bis ins wirk­li­che Piano zurück­ge­nom­men oder mit einem per­sön­li­chen Ton über­rascht. Eine Ausnahme bil­de­ten das erste und das drit­te der Orchesterstücke op. 10 von Webern, in wel­chen hauch­zar­te Klangwirkungen ent­stan­den.

The one who should be named

Der Solo-Klarinettist, des­sen Name wie die Namen aller ande­ren Orchestermusiker nicht im Programm stand, war das gehei­me Highlight des Abends: Mit nur zwei kur­zen Soli in Schuberts frag­men­ta­ri­schem Andante h‑Moll und in des­sen «unvoll­ende­ter» Sinfonie demon­strier­te er ein­drück­lich, wie inten­siv und zau­ber­haft ein ein­zel­ner, tief emp­fun­de­ner Pianoton sein kann und wie man damit einen gan­zen Saal auf­hor­chen lässt. Der namen­lo­se Klarinettist schat­tier­te auf sub­til­ste Weise die Wendungen sei­ner Melodien ab und zog die Zuhörer mit weni­gen Noten in sei­nen Bann. Wenn sich doch nur jeder Musiker ein­fach eine Scheibe von die­ser Inspiration abschnei­den könn­te.

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