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Mehr Sein als Schein

Ihr Gesicht ist ver­bor­gen, als die Zuschauer den Raum betre­ten. Naoko Tanaka sitzt im Halbdunkeln an einem klei­nen Tisch, ihren Kopf auf die Tischplatte gelegt und durch ihre Arme geschützt. Nur ihre Haare sind sicht­bar. Lange harrt sie in die­ser Position aus, um sich dann umso abrup­ter vom Tisch und der dar­auf lie­gen Puppe – eben­so starr und regungs­los wie die Künstlerin gera­de eben selbst – zu lösen.

Das Unterbewusste als Tableau Vivant

Was folgt ist kein ein­fa­ches Schattenspiel, son­dern eine Installationsperformance, wel­che Choreographie und visu­el­le Kunst ver­bin­det. Als das Deckenlicht aus­geht und nun­mehr nur die klei­ne Glühbirne in Tanakas Hand den Raum beleuch­tet, wirft die Künstlerin als mensch­li­cher Projektor ver­stö­ren­de Bilder an die Wand und ent­führt uns auf eine Reise in die Tiefen des mensch­li­chen Unterbewusstseins.

Schnell wird klar, Tanaka trennt sich hier sinn­bild­lich von sich selbst, um sich selbst erken­nen zu kön­nen. Sie wagt sich in den Sumpf aus Erinnerungen und Gefühlen und ver­ar­bei­tet so die per­sön­li­che Geschichte ihrer Magersucht. Begleitet von einer hyp­no­ti­sie­ren­den Geräuschkulisse aus Hundegebell, fah­ren­den Zügen, plät­schern­dem Wasser und Herzklopfen, spa­ziert Tanaka durch Wälder, kreuzt Bahngleise und sperrt ihren Schatten in einen Vogelkäfig. Dabei scheint ihr Körper, sym­bo­li­siert durch die Puppe, gegen die atem­be­rau­ben­de Schattenwelt ver­schwin­dend klein, bleibt jedoch auf dem Tisch lie­gend immer prä­sent und fass­bar. Es ist die Reflexion von Licht und Schatten, Körper und Seele, Bewusstsein und Unterbewusstsein die hier im Zentrum steht.

Die Flüchtigkeit der Reflexion

Erst als alle Lichter nach Ende der Performance im Raum ange­hen, wird sicht­bar, mit welch ein­fach­sten Mitteln Naoko Tanaka die Zuschauer auf ihre Reise ent­führ­te – so fin­den sich unter und um den Tisch ledig­lich etwas Pappkarton, Besteck und eini­ge Filmstreifen. Während die­se Objekte immer wie­der und aus ande­ren Winkeln beleuch­tet wer­den, rücken sie gleich­zei­tig in den Hintergrund. Ihre Schatten tan­zen, ver­zer­ren sich und kaum wer­den sie an die Wand gewor­fen, sind sie bereits nicht mehr. Es ist die Flüchtigkeit der ent­ste­hen­den Bilder, ihre Nichtreproduzierbarkeit, die Tanakas Kunst aus­ma­chen.

„Ich bin Naoko Tanaka und spie­le jetzt die Scheinwerferin“ stell­te sie sich nach der Eingangsszene in japa­nisch höf­li­cher Manier vor. Die in Deutschland leben­de Naoko Tanaka stu­dier­te bil­den­de Kunst an der Hochschule der Künste in Tokio und kam 1999 als Stipendiatin an die Kunstakademie Düsseldorf. Als Mitbegründerin des Künstlerkollektivs Ludica ent­wickel­te sie zahl­rei­che Bühnen- und Tanzperformances mit. „Die Scheinwerferin“ ist nun das erste Solo der Künstlerin und zugleich ihre per­sön­lich­ste Performance.

Mit Hilfe des Instrumentes Licht erschafft Naoko Tanaka nicht nur Bilderwelten, son­dern in erster Linie Gedankenwelten. Es ent­steht so eine immer neue Komposition von Bildern, wel­cher jeder Zuschauer selbst zu einem Gesamten zusam­men­fügt und somit unver­meid­lich die eige­ne Geschichte reflek­tiert. Eine gekonn­te und ein­neh­men­de Performance, die auch nach Ende noch lan­ge Schatten wirft.

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