Solo auf der nach aus­sen gestülp­ten Lunge

Von

|

Drucken Drucken

Frischauf in die 11. Konzertsaison der «Musik im Schloss» spiel­ten in Rapperswil die Akkordeonistin Vivane Chassot und das Vogler Quartett. Der Grosse Rittersaal war voll, als am Sonntagnachmittag ein viel­sei­ti­ges Programm in unge­wöhn­li­cher Besetzung gege­ben wur­de. In das Concerto Nr. 4 in A‑Dur von Johann Sebastian Bach fügt sich das Akkordeon (anstel­le der Oboe d’amore) har­mo­nisch ein. Angesiedelt in der mitt­le­ren Stimmlage liegt es über­ra­schend nahe beim Streicherklang. Auch im 2. Satz, einem medi­ta­ti­vem Larghetto, domi­niert es nicht. An den Solostellen, wenn «die nach aus­sen gestülp­te Lunge», wie Chassot ihr Instrument bezeich­net, ihren cha­rak­te­ri­sti­schen Klang ent­fal­tet, horcht man  auf. Die Konzert-Kooperation mit den Streichern Tim Vogler (Violine), Frank Reinecke (Violine), Stefan Fehlandt (Viola), und Stephan Forck (Violoncello) ist ein gelun­ge­nes Experiment.

Neuinterpretationen und Entdeckungen

Es folg­te ein Ausschnitt aus der neu­en CD von Viviane Chassot, die «Nouvelles sui­tes de piè­ces de cla­vecin» von Jean-Philippe Rameau. Die 32-jäh­ri­ge Künstlerin wähl­te «La poule», «Les sou­pirs» und die «Gavotte mit sechs Variationen». Die Cembalo-Stücke sind eine ech­te Herausforderung für das Knopfakkordeon, und Chassot über­wand sie, in die Noten ver­tieft, mit gewis­sen Unsicherheiten. Auch dar­über, ob die Komposition nicht fürs Cembalo geeig­ne­ter sei, kann man geteil­ter Meinung sein. Der Interpretation fehl­ten doch eini­ge klang­li­che und dyna­mi­sche Nuancen.

Angenehm über­rasch­ten die «Fünf Bagatellen» von Antonin Dvorak. Klangsatt und sin­gend prä­sen­tier­ten wie­der alle fünf Musiker die «Kleinigkeiten». Zeitnah mit den bekann­ten «Slawischen Tänzen» ent­stan­den, erin­ner­te das fünf­te Stück „Poco alle­gro» auch an einen sol­chen. Seinen Solopart hat­te das Vogler Quartett dann mit dem exqui­si­ten Streichquartett Nr. 1 von Erwin Schulhoff. Hier glänz­ten die seit 25 Jahren auf­ein­an­der ein­ge­spiel­ten Herren (Professoren der Musikhochschule Stuttgart). Das in der Zwischenkriegszeit, 1924, ent­stan­de­ne Werk stellt vie­le Fragen in Form von Dissonanzen in den Raum. Akkurat into­nie­ren die Streicher das span­nungs­vol­le Stück vol­ler tech­ni­scher Raffinessen.

Erfahrung vor Innovation

Musikhistorisch in der Neuzeit ange­kom­men, geben die Fünf einen gut gewähl­ten Abschluss: «Anxiety» und «Fear» aus Astor Piazzolla‘s «Five Tango Sensations». Violinen und Akkordeon bedie­nen unse­re Hörgewohnheiten, es ent­steht der fast authen­ti­sche Klang der Originalkomposition. Die kon­ge­nia­le Zugabe, «Adios Nonino», run­det den Vortrag ab. Um ein neu­es Hörerlebnis rei­cher, ver­lässt der Besucher die schö­ne Spielstätte. Der jun­gen Künstlerin wünsch­te man bald die Souveränität, die ihre erfah­re­ne­ren Konzertkollegen aus­strahl­ten. Die Fingerfertigkeit dafür besitzt sie.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo