Macht ein star­kes Stück

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Vier jun­ge Menschen im Pyjama phi­lo­so­phie­ren. Um sie her­um ist eine spek­ta­ku­lä­re Kulisse aus­ge­brei­tet: Unten Supermarkt, oben Plüschtheater, davor eine Freitreppe, alles schön bunt (in heil­sa­mem Kontrast zum Grau vie­ler moder­ner Bühnenbilder). Dazu Musik der Sorte süss bis melo­dra­ma­tisch, ein Staffage vol­ler Schalk und Augenzwinkern, irgend­wie schrill und doch auch ein­fach schön. Nur haben sich die drei Jungs und die Frau im Schlafanzug lei­der in der Kulisse ver­steckt. Sie wer­den gefilmt; die Aufnahme wird auf eine Leinwand pro­ji­ziert.

 Philosophie auf der Bühne

«Die Frage ist doch…», so begin­nen die vier immer wie­der. Sie tei­len die Welt in Menschen, die sich neh­men, was sie haben wol­len, und ande­re. Diese ande­ren sind lang­wei­lig. Auf das Wort lang­wei­lig hin stür­zen sich alle auf den Redenden und strei­cheln, knut­schen und drücken ihn fast zu Tode. Das wird zum Running Gag. Bald stürzt sich auch die Crew hin­ter der Kamera auf den jeweils Langweiligen. So kommt die ganz Schauspielertruppe ins Bild. Schrittweise ver­legt sich das stets gefilm­te Geschehen auf die Freitreppe vor der Kulisse. Kamera und Bühne bie­ten jeweils einen ande­ren Bildausschnitt des Geschehens; ver­frem­den und ästhe­ti­sie­ren es damit.

Aber man run­zelt die Stirn. Werden hier in einem Theaterstück phi­lo­so­phi­sche Lehren aus­ge­brei­tet? Zumal vor der Vorstellung der Text des Stücks ver­teilt wur­de! Ist das hier eine Vorlesung? Eine böse Bemerkung zuckt in der Feder. «Wenn ich mich für Philosophie inter­es­sie­re, lese ich etwas dar­über. Dazu brau­che ich kein Theater. »

Es sind aller­dings erfri­schen­de und befrei­en­de Gedanken, wel­che die Vier ent­wickeln. Sie stel­len fest, dass die Leidenschaft mehr als durch alles ande­re durch das Spiel geweckt wird. Im Fussball oder beim Film ent­hem­men sich die Gefühle. Gerade weil man weiss, dass es sich um ein zeit­lich begrenz­tes Spiel han­delt. Warum will man aus­ge­rech­net in der Liebe aus dem Spiel Ernst machen? Warum spielt man nicht Liebe und geniesst sie in vol­len Zügen. Wenn aus Spass Ernst wird, ist der Spass zu Ende. Wozu denn die­ser hei­li­ge Ernst?

 Das Spiel auf vie­len Ebenen

Das wird char­mant und stür­misch vor­ge­tra­gen, abwech­selnd mit Schalk und mit Sprachgewalt. Sätze wer­den wie­der­holt und vari­ie­ren und damit ein­gän­gig. Das Thema ver­schiebt sich auf Gedanken zur Theatertheorie und zur Sozialkritik. Als Rahmenhandlung dient die Herstellung des Films. Kameramann, Tonfrau, Kabelträger sind Darsteller im Stück und not­ge­drun­gen Kameramann, Tonfrau und Kabelträger, das heisst Dargestellte.  Sogar die Souffleuse wird als Figur mit­ein­be­zo­gen. Und selbst, wenn das Publikum gefilmt wird, spielt es das Publikum. So grei­fen die Räder inein­an­der. Was sich hoch­tra­bend und theo­re­tisch anhört, wird bald selbst zum Spiel. Philosophie im Theater – und es funk­tio­niert!

Die Schauspieler schüt­ten ein Füllhorn mit Witz und Sarkasmus aus, Kaskaden von poin­tier­ten Szenen und über­ra­schen­den Wendungen. Das gan­ze stei­gert sich. Immer schnel­ler sprin­gen die Figuren von einer Ebene zur ande­ren. Die gefilm­ten Szenen wer­den zeit­lich ver­scho­ben zum Bühnenspiel gezeigt. Dann plötz­lich schläft alles ein. Das heisst, zunächst nur der eine Mann. Er wälzt sich unru­hig schla­fend über die Freitreppe, hin­weg über die ande­ren Figuren, dann zer­schep­pert er noch einen Teil der Requisiten. Er steckt alle ande­ren an. Sie rol­len über die Freitreppe. Hier hat das Bühnenspiel sei­nen cho­reo­gra­phi­schen Höhepunkt. Die Farben der Kostüme, die Bewegungen, die Musik, alles passt und erhei­tert das Publikum.

 Aus Spass wird Ernst

Der ergrei­fend­ste Moment auf der Bühne ist gera­de­zu kenn­zeich­nend für die Dramatik von «Macht es für Euch!». Eine schwül­stig-süs­se Opernouvertüre von Richard Wagner erklingt. Es sei Musik, mit der man nicht in Verbindung gebracht wer­den wol­le und die man sich doch manch­mal wün­sche, heisst es an ande­rer Stelle. Der blon­de Mann im Pijama (Jirka Zett) fasst sei­ne Liebesphilosophie zusam­men. Gefilmt ist er allein im Bild, wäh­rend auf der Bühne die Filmenden zu sehen sind. Der Auftritt ist iro­nisch gebro­chen und doch nun frei von jeder Ironie. Es wirkt, als habe er wirk­lich eine hef­ti­ge Liebe mit dem ande­ren Mann im Pijama gelebt. Es scheint, als sei dies mehr als nur der Einfall des Autoren René Pollesch. Jedenfalls geht die Szene unter die Haut. Womit die Frage, die auch immer wie­der gestellt wird – wie näm­lich das Schauspiel wohl auf die Zuschauer wir­ke ­– wenig­stens von einer Person  beant­wor­tet wäre.

«Macht es für euch!» ist ein ful­mi­nan­tes Stück.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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