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Freiheit ist …

… bis zum bit­te­ren Ende zu blei­ben. Gerade weil bei der aktu­el­len kraut_produktion «Freiheit ist, das Theater auch ein­mal vor Ende der Vorstellung ver­las­sen zu dür­fen». Die Gruppe star­te­te den zwei­ten Abend ihrer fünf­tä­gi­gen «Absage an siche­re Werte» mit 20 Zuschauern. Am Schluss waren noch zwei da.

Es war wie an einer Probe: Die Beleuchterin wer­kelt noch im Bühnenbild her­um und ver­legt Kabel, Regisseur Michel Schröder unter­bricht die Einstiegsszene: «Das geht so nicht. Ich weiss auch nicht.»

Schröders Schauspieler ste­hen in einem Chaos aus Bühnenbildresten ver­gan­ge­ner Stücke. Aus «Babylon», zum Beispiel, der Schimmel-Kühlschrank und die Toilette. Vieles ist beschä­digt, wohl bereits am ersten der fünf Abende dem Tatendrang von Schauspielerin Sandra Utzinger und ihrer Kettensäge zum Opfer gefal­len. Zwei Zuschauer haben sich die Freiheit genom­men, etwas spä­ter zu kom­men.

Zu viel Freiheit?

Regisseur Michel Schröder arbei­tet nor­ma­ler­wei­se sehr genau, sagen die Schauspieler. Aber in die­ser Produktion will er ihnen Freiheit las­sen. Vermutlich nicht ganz so viel, wie sie sich bald neh­men wer­den. Jeder der fünf Abende am Theater Spektakel soll anders sein. Gestern soll die Vorstellung gut besucht gewe­sen sein.

Solange Tommi Zeuggin sei­ne unglaub­li­chen, eksta­ti­schen Tänze auf­führt, Herwig Ursin sei­nen Familien-Dia-Vortrag hält, und Kaspar Weiss den künst­le­ri­schen Wert sei­nes aus­ge­mi­ste­ten Kellerrats anpreist, scheint die Show zwar frei, aber durch­aus insze­niert. Weiss hat gera­de ange­kün­digt, dass man sei­ne Kellerfundstücke beim Ausgang mit­neh­men dür­fe, dar­un­ter angeb­lich wert­vol­le Dinge wie ein sel­te­ner Siebdruck. Ein Video wird ein­ge­spielt, in dem ein Mann im Anzug Kunst-Anlagestrategien erklärt. Zwei Leute ver­las­sen den Saal.

Die Antwort der frei­en Szene …

Dabei ist die Frage span­nend: Was ist Kunst wert? Schröders T‑Shirt mit dem Aufdruck «Die Hälfte» kün­digt schon lan­ge an, dass es hier bald ans Eingemachte gehen wird. Die Hälfte der Subventionen strei­chen, so lau­te­te näm­lich die Forderung vom schei­den­den Pro-Helvetia-Direktor Pius Knüsel im Buch «Der Kulturinfarkt». Schauspieler und der Regisseur fin­den zu einer Diskussion über die­se Forderung zusam­men. Vorher wird aber die Bühne lan­ge umge­baut. Gelegenheit für acht Leute, das Fabriktheater zu ver­las­sen.

… fällt heu­te aus.

Die Antwort der frei­en Theaterszene auf den «Kulturinfarkt», fällt an die­sem Abend lei­der aus. Der Gast, den kraut_produktion für die­sen Abend ein­ge­la­den haben, wird näm­lich vom Freiheitsteufel gerit­ten. Thomas U. Hostettler, knapp beklei­det mit roten Boxershorts, trägt rot-weiss gerin­gel­te Stulpen und einen Asterix-Schnauz. In der ersten Hälfte sass er mehr oder weni­ger still auf einem Sofa im Hintergrund. Sein deka­den­ter Umgang mit Prosecco dürf­te den Abend defi­ni­tiv in die roten Zahlen geris­sen haben. Eine Zuschauerin hat ein Glas Prosecco bekom­men, zwei ande­re haben die Show ver­las­sen.

Nun ist Hostettler wild ent­schlos­sen, mehr Pep in die Veranstaltung zu brin­gen, über­nimmt die Vorstellungsrunde zum Diskussionseinstieg – und dann die gan­ze Show. Aus der Performance wird ein «Karaoke from Hell», bei dem nicht alle mit­ma­chen dür­fen. Das redu­ziert die Zuschauerzahl noch­mals dra­stisch: Um 22 Uhr, zwei Stunden nach Spielbeginn, eine Stunde vor Schluss, gehen inner­halb einer Viertelstunde acht Leute.

Die Kraut-Schauspieler neh­men es gelas­sen, auch sie räu­men das Feld. Hostettler und ein Teil der Band musi­zie­ren wei­ter. Schade um die «Kulturinfarkt»-Antwort, sie hät­te dem Abend wohl mehr Substanz ver­lie­hen. Aber die wil­den Einlagen und kurio­sen Video-Clips ver­mö­gen gut zu unter­hal­ten an die­sem Sonntagabend im tra­shi­gen Kraut-Universum. Um 22.40 Uhr (frü­her als ange­kün­digt) erklingt drin­nen ein letz­ter ein­sa­mer Flötenton und draus­sen beim Bier gibt’s einen klei­nen Applaus für die let­zen bei­den Zuschauerinnen.

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