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Akkuratesse statt Raffinesse

Die Programm-Konzeption die­ser Kammermusik-Soirée im klei­nen Tonhallesaal schien pri­mär zwei Absichten zu ver­fol­gen: Erstens die Präsentation der kam­mer­mu­si­ka­li­schen Fähigkeiten des dies­jäh­ri­gen «Artist in Residence» Martin Helmchen, zwei­tens die Vorstellung der Bläsersolisten und Streicherstimmführer des Tonhalleorchesters.

Aus die­sem Grund hat­te der erste Teil des Konzertes etwas von einem gemisch­ten Bläser-Vortragsabend an einer Musikhochschule. Die Vortragenden spiel­ten ihre Stücke jedoch über­zeu­gend: Simon Fuchs impo­nier­te in Schumanns Romanzen mit sei­nem wun­der­bar gesang­li­chen Oboenton und erstaun­lich lan­gem Atem, Michael Reid spiel­te klug, sorg­fäl­tig und unprä­ten­ti­ös die apho­ri­sti­schen Klarinettenstücke von Alban Berg.

La flûte enchan­tée

Den ful­mi­nan­te­sten Auftritt der ersten Konzerthälfte hat­te die fran­zö­si­sche Flötistin Sabine Poyé Morel, wel­che mit den Schubertschen Variationen ein Feuerwerk an Klangfarben und die Technik tran­szen­die­ren­der Virtuosität zün­de­te. Mit musi­kan­ti­schem Feinsinn und bis­wei­len auch mit etwas Ironie – in der für heu­ti­ge Ohren irgend­wie komisch klin­gen­den Marsch-Variation – brach­te sie ihren Part mit­reis­send auf den Punkt. Nach der 5. Variation hät­ten eini­ge Zuhörer am lieb­sten einen Zwischenapplaus gege­ben! Die enga­gier­te Flötistin schick­te wäh­rend des Spiels kon­takt­su­chend fra­gen­de und erwar­tungs­vol­le Blicke in Richtung Klavier: «Spielt da nicht noch jemand mit?», schien sie sich zu fra­gen. Eigentlich ja, aber der Pianist hielt sich kam­mer­mu­si­ka­lisch (zu) dezent im Hintergrund. Er spiel­te zwar äus­serst zuver­läs­sig und mit gröss­ter Präzision in allen drei Werken, jedoch kamen von ihm kaum inspi­rie­ren­de Impulse.

Das Korsett der Kontrolle

Alfred Brendel hat ein­mal gesagt: «Kontrolle kann auf dem Spiel sit­zen wie ein Panzer, ein Korsett oder ein gut geschnit­te­ner Massanzug.» Obwohl Martin Helmchen in Brendel ein gros­ses Vorbild sieht, scheint er des­sen Warnung nicht zu hören. Sein Klavierspiel wird viel­mehr geprägt durch den genann­ten Panzer, wel­cher ihm zu einer tadel­lo­sen Realisierung des Notentexts ver­hilft. Jedoch geht ob die­ser Akribie die Sinnlichkeit und der Charakter der Musik mei­stens ver­lo­ren. Dies zeig­te sich auch im Klavierquintett von Brahms: Während sich die alle­samt aus­ge­zeich­ne­ten Streicher mit Verve und Geschmack dem musi­ka­li­schen Strom hin­ga­ben, beharr­te Helmchen beck­mes­se­risch auf Artikulationen und metro­no­misch star­rem Tempo. Diese unter­schied­li­chen Haltungen erga­ben bis­wei­len sogar gro­tes­ke Klangeffekte, beson­ders an den lyri­schen Stellen im ersten und im zwei­ten Satz. Anstatt die Streicher zu unter­ma­len oder mit ihnen zu inter­agie­ren, stand Helmchen immer wie­der mit unpas­send cha­rak­te­ri­sier­ten Tönen und sei­nem oft metal­li­schen Forte im Abseits.

Der Zweck hei­ligt die Mittel

Einen Grund für die­se ste­ri­le Art des Musizierens könn­te in der Vita des Pianisten zu fin­den sein: Wer in renom­mier­ten Konzertreihen spie­len will, muss Wettbewerbserfolge vor­wei­sen kön­nen. Wer vie­le Wettbewerbe und Preise gewin­nen will muss in erster Linie über ein Klavierspiel ver­fü­gen, bei wel­chem sich in tech­ni­scher Hinsicht nichts bean­stan­den lässt und wel­ches nir­gends aneckt. Dies dürf­te Helmchen von sei­nen Lehrern gelernt haben, wel­che in der Szene bekannt sind für ihre Umtriebigkeit in Wettbewerbsjurys. Doch arti­sti­sche Perfektion ist nur eines der Qualitätsmerkmale einer musi­ka­li­schen Aufführung, und sie macht noch kei­nen Künstler. Diese Erkenntnis scheint im klas­si­schen Musikzirkus jedoch – lei­der – etwas in den Hintergrund gera­ten zu sein.

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