Geduldsspiel

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Lange, sehr lan­ge sin­gen die Schauspieler in «Ein bun­ter Abend mit Bodybuildern» von Jetse Batelaan und dem Ro Theater ihren Text bereits. Das war erst irri­tie­rend, dann lustig, dann rüh­rend, dann müh­sam. Die Schauspieler sind Laien und in Wirklichkeit har­te, kick­bo­xen­de Jungs aus Rotterdam und sie spie­len Szenen aus einem durch­schnitt­li­chen Alltag. Aber nun, gegen Ende der Performance, ver­schwin­det die Melodie aus dem Text. Nämlich als einer der Jungs vor das Publikum tritt und sagt: «Mein Name ist Gui und in der näch­sten Szene spie­le ich mich sel­ber mit 14 Jahren». Sofort wird deut­lich, wie unter­schied­lich der Alltag der Menschen doch ist. Hatten die jun­gen Sportler gera­de noch Arzt, Bäcker, Kunde gespielt und dabei (aus Unbeschwertheit?) gesun­gen, zei­gen sie nun, was sie in ihren wirk­li­chen Leben so mach(t)en. Wo vor­her schier unend­li­che Belanglosigkeit gezeigt wur­de, flackert nun ech­tes Leben auf, rauscht die Zeit plötz­lich vor­bei – und reicht nicht mehr aus, um die packen­de Geschichte fer­tig zu erzäh­len. Gui ver­füg­te mit 14 schon über mehr­jäh­ri­ge Erfahrung als Drogenkurier und wur­de von Dealern aufs Gröbste ver­hau­en. Solche Dinge erzählt Gui, wäh­rend er von einem Fuss auf den ande­ren tritt, mit einer lei­sen Stimme ohne Melodie. Und als er dazu ansetzt, etwas wirk­lich zu offen­ba­ren, bricht der har­te Junge in Tränen aus. Die ande­ren neh­men ihn in den Arm, klop­fen auf sei­ne Schultern. Und gehen mit ihm ab.

Diese Szene ist eine klei­ne Offenbarung. Sie öff­net eine neue Dimension und straft das Publikum Lügen. Denn bis dahin wur­de auf der Zuschauertribüne gestöhnt, geächzt und auf den Stühlen hin- und her gerutscht. Vielleicht hät­te man dem Untertitel der Vorstellung im Voraus mehr Beachtung schen­ken sol­len: «Eine authen­ti­sche Darstellung unan­ge­brach­ter Schüchternheit». Da liegt die Langatmigkeit eigent­lich bereits drin ver­bor­gen – im Gegensatz zum Titel. Ein bun­ter Abend. Mit Bodybuildern! Das könn­te ja etwas wer­den.

Schüchternheit stra­pa­ziert

Es wird aber etwas ande­res als ein hei­ter-lusti­ges Vergnügen. Es wird einem hin und wie­der auch zu bunt. Ein lan­ger erster Teil die­ses Abends mit «Bodybuildern» besteht aus kur­zen Szenen: Situationen beim Arzt oder beim Bäcker bei­spiels­wei­se. Nichts Aufregendes. Gespielt wer­den sie von den har­ten Jungs in Boxermontur – eben sin­gend. Vor jeder Szene stel­len sie sich sepa­rat vor und sagen, wel­che Rolle sie gleich spie­len wer­den und zwi­schen jeder Szene fin­det ein klei­ner Umbau statt. All dies geschieht mit einer Langsamkeit, die nach eini­ger Zeit im über­hitz­ten Raum zum Gegenteil von Schüchternheit wird. Wer erlaubt sich, das Publikum immer wie­der so lan­ge auf das Spiel war­ten zu las­sen? Und dann auch noch so zu spie­len? Natürlich: Wer sich im Vornherein infor­miert hat, dem wur­de freund­li­cher­wei­se ange­kün­digt, dass schau­spie­le­risch nicht extrem viel zu erwar­ten sei. Aber auf die Kombination mit die­ser weit­schwei­fi­gen Belanglosigkeit wur­de man nicht vor­be­rei­tet. Schon nach der ersten Szene ver­schwin­den eini­ge Zuschauer durch den Notausgang. Wer bleibt, dem geht das Singen der neun Schauspieler irgend­wann auf die Nerven und man fragt sich, ob Batelaan die­se Form schlicht und ergrei­fend der Einfachheit hal­ber gewählt hat. Wer den Text singt, braucht zumin­dest für das Sprechen kei­ne schau­spie­le­ri­schen Fähigkeiten. Aber das kann man sich dann doch kaum vor­stel­len. Am Ende der Performance bie­tet sich tat­säch­lich eine bes­se­re Vermutung an: Die Zuschauer wer­den in der letz­ten Szene mit Gui nicht nur erlöst, son­dern über­wäl­tigt. Das also ist die Belohnung für das Ausharren im lan­gen ersten Teil. Nur dadurch kann über­haupt die­se Wirkung ent­ste­hen.

Die Form gibt den Inhalt

Dabei steht es zu Beginn, wäh­rend einer Einführung durch den Regisseur, um die Erwartungen noch ganz anders. Die «Bodybuilder» war­ten hin­ter einer geschlos­se­nen Tür. Das weiss man, weil man sie hört: Sie toben wie Löwen im Käfig, die in die Arena gelas­sen wer­den wol­len. Sie brül­len und pol­tern und geben kei­ne Ruhe. Doch als sich die Türe end­lich lang­sam öff­net, wer­den die Jungs ganz still. Kein Mucks ist mehr zu ver­neh­men. Sie blicken schüch­tern ins Publikum und schlies­sen die Türe wie­der sach­te. Diese geht mehr­mals wie­der auf und zu, wobei hin und wie­der einer der Jungs, oben ohne und im Boxer-Outfit, auf die Bühne tritt, das Publikum höf­lich begrüsst und sich mit Namen vor­stellt. So geht das eine Weile und wirkt ganz rüh­rend. Sofort wird klar, was mit der «unan­ge­brach­ten Schüchternheit» im Untertitel der Veranstaltung gemeint ist. Diese zag­haf­ten, höchst anstän­di­gen Auftritte wol­len so gar nicht zum Bild pas­sen, das die­se Jungs abge­ben. Auch nicht zu ihrem läs­si­gen Gang und den Tattoos. Und doch ist einem die unan­ge­brach­te Schüchternheit in gewis­sem Sinne ver­traut. So wir­ken sie manch­mal auch «in Echt», die har­ten Jungs, die Anstand noch in der Kinderstube ler­nen muss­ten, aus der sie meist zu früh her­aus­wuch­sen.

Bemerkenswert, wie Batelaan sei­ne Beobachtung von Welt in eine sehr unge­wöhn­li­che Form über­führt und die Zuschauer trotz­dem an der Alltagserfahrung packt. Später, als sich alles zu wie­der­ho­len scheint, wird es einem zu bunt. Und des­halb geht Batelaans Rechnung auf.

Nach Guis ein­drück­li­chem Auftritt hat sich die Mühe also gelohnt, man ist eini­ger­mas­sen ver­söhnt mit Batelaan und sei­nen Bodybuildern. Doch just bevor man in den Sommerabend ent­las­sen wird, setzt das Ro Theater noch zu einer Zugabe an. Der auf­wen­dig­ste Umbau des Abends fin­det statt, was die Geduld der Zuschauer nun doch arg stra­pa­ziert und den gelun­ge­nen Bruch von vor­hin lei­der auf­zu­lö­sen droht. Gespielt wird eine klei­ne Anekdote, die inhalt­lich kaum Überraschendes bie­tet und in der Form wie­der die Langfädigkeit vom ersten Teil auf­nimmt. Dabei bleibt unklar, wozu es die­se Zugabe braucht.

Der Eindruck, den die Zuschauer nach Hause beglei­ten dürf­te, wer­den den­noch kaum die hüb­schen Melodien sein, in denen die mei­sten Texte vor­ge­tra­gen wur­den, son­dern Guis gedämpf­te Stimme, mit der er Bekenntnisse über ein Leben am Rande der Gesellschaft preis­ge­ge­ben hat.

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