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Über die Unmöglichkeit des Möglichen

«Writing about music is like dancing about archi­tec­tu­re.» Diese Aussage (ob sie von Elvis Costello, Steve Martin oder Frank Zappa stammt, ist umstrit­ten) lässt sich im Geiste von The Rebellion Of The Silent Sheep fol­gen­der­mas­sen for­mu­lie­ren: Über Musik zu tan­zen ist wie über Architektur zu schrei­ben. Und schon ist die Gleichung, ein­mal umfor­mu­liert, gar nicht mehr unmög­lich.

Wer ver­steht denn schon

Wo liegt der Unterschied, ob ein Fan am Metal-Konzert die Haare mit vol­lem Oberkörpereinsatz nach vor­ne schwingt oder ob der Gitarrist mit fast den­sel­ben Bewegungen das Beste aus sei­nem Instrument raus­holt? Musik und Tanz sind Arbeit am Ausdruck von Gefühlen. Musik kann Banales trans­por­tie­ren, Melancholisches, Fröhliches, Lustiges oder Belangloses, genau­so wie Tanz.

Musik kann nach Schmerz tönen und von Liebe erzäh­len. Musik kann nach Liebe tönen und von Schmerz erzäh­len. Wer hört denn schon genau hin? Und wer ver­steht denn schon? Dabei will der Musiker doch gar nicht ver­stan­den wer­den, genau­so wenig wie der Tänzer. «Ich weiss nicht, ob man immer alles genau ‘ver­ste­hen’ muss, was auf der Bühne pas­siert», sagt die Choreografin des Stücks, Jessica Huber, gegen­über dem Züritipp. «Berührt sein reicht für mich auch. Sonst wür­de ich wohl ver­su­chen, ein Buch zu schrei­ben.» Über Archtitektur?

Im Takt der Atmung

The Rebellion Of The Silent Sheep will also gar nicht unbe­dingt über­set­zen. Die Vermittlung basiert auf einer rein emo­tio­na­len Ebene. Performance, Tanz, Musik und Sprache wer­den zu einer Symphonie aus gros­sen Gesten. Und wenn der Körper schon längst wie­der still­steht, tan­zen die Leidenschaft, die in der Brust sitzt, und die Liebe, die im Schoss sitzt, mit­ein­an­der noch Walzer zum Dreivierteltakt der Atmung.

Die Performance-Künstler Géraldine Chollet, Chris Durussel, Mathis Kleinschnittger und Barbara Schlittler brin­gen dem Publikum nahe, was sie den­ken, füh­len und ver­lan­gen. Wir lachen, wenn Barbara Schlittler davon singt, dass sie mit 25 noch Träume hat­te und heu­te, wo sie eigent­lich alles hat, trau­rig dar­über ist, dass sie kei­ne Träume mehr hat. Wir wei­nen, wenn Géraldine Chollet nach einem Mann ver­langt, 30 oder 35 Jahre alt und gut­aus­se­hend, der sie berührt, nur für einen Abend, nur für den Moment. Was zählt denn noch, aus­ser dem Moment, das Jetzt indem alles statt­fin­det: die Musik, die Emotionen, die Bewegungen, die Liebe.

Die Versöhnung mit uns selbst

Die ame­ri­ka­ni­sche Rockband Eels singt vom Verlangen. «My lon­ging is a pain, a hea­vy pres­su­re on my chest», heisst es in dem Song. Doch viel­leicht liegt das Verlangen auch in den Knien, und das Bedauern liegt in der Brust. Was also, wenn die Knie wei­ter nach vor­ne wol­len, dem Verlangen nach­ja­gen, wäh­rend das Bedauern über ver­pass­te Chancen einen zurück­hält? Der Körper kämpft mit sich selbst, dabei sehnt er sich nach Versöhnung. «My lon­ging is a fri­end, a way to stay clo­se» – das Leiden des gepei­nig­ten Sängers sucht sich mit sei­nen eige­nen Emotionen zu ver­söh­nen.

Der Choreografin Jessica Huber ist es gemein­sam mit ARTEM in die­ser Performance gelun­gen, dem Zuschauer auf­zu­zei­gen, dass man über Musik tan­zen kann, über Tanz ver­ste­hen und über das Verstandene auch schrei­ben kann. Der Takt kommt aus uns sel­ber, er pumpt durch unse­re Venen, die die­sen Körper bele­ben, wie die Musikliebhaber den Konzertsaal, der sonst nicht mehr ist, als ein lee­rer Raum. Architektur halt. Worüber sich übri­gens ganz her­vor­ra­gend schrei­ben lässt.

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