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Gewürfelter Sprachwitz

Traditionelle Poetry Slams als Kultivierungsstätten von Rampensau-Poesie zu bezeich­nen, und dies sehr wohl­ge­sinnt, ist wohl nicht weit her­ge­holt. Jedenfalls besitzt die­ser kul­tu­rel­le Massensport einen unge­heu­ren Unterhaltungswert, der Autoren mit viel spon­ta­nem Charme anzieht.

Mit «Icon Poet» taucht nun ein neu­es Konzept in die­sem Genre auf. Vier Spontanautoren tre­ten in die­sem Spiel gegen­ein­an­der an, um live vor Publikum Kürzestgeschichten zu impro­vi­sie­ren. Fünf gewür­fel­te Icons, drei Minuten Zeit und ein Szenario ist alles, was sie zur Verfügung gestellt bekom­men. Was dar­aus ent­steht, ist dann qua­si Rampensau-Poesie für die Twitter-Generation.

Schweisstreibende Kombinationen

Da muss in weni­gen Sätzen eine Heiratserklärung mit einem Goldfisch und Reagenzgläsern hin­ge­zau­bert oder ein Tischgebet mit einem Engel, einer Bowlingkugel und einer Schildkröte aus dem Ärmel geschüt­telt wer­den. Erlaubt ist dabei alles, was Spass macht und zum Gewürfelten asso­zi­iert wer­den kann. Literatur ist dabei nicht zu erwar­ten, dafür leben­di­ge Sprache.

Die vier Spontanautoren des Abends, Simon Libsig, Ruedi Widmer, Paul Steinmann und Jürg Wirth, haben eine muti­ge Leistung gezeigt und für so man­ches herz­haf­te Lachen gesorgt. Nicht jede Geschichte gelang, doch bei tota­ler Schreibblockade gab es schliess­lich noch Joker ein­zu­lö­sen. Das Publikum schrieb näm­lich sel­ber mit und konn­te einen in Not gera­te­nen Spontanautoren aus der Patsche zie­hen.

In Rand und Band, aber schmun­zelnd

Dieses akti­ve Einbeziehen der Zuhörer birgt ein gros­ses Potenzial sowie einen Knackpunkt: Man kann selbst sei­nen Sprachwitz unter Beweis stel­len – oder man merkt, dass auf Knopfdruck lustig sein ver­dammt schwie­rig ist. Wenn das Publikum näm­lich selbst kei­ne gute Portion Rampensau-Genetik mit­bringt, ver­läuft der Abend beson­ders für den Moderator etwas zäh.

Doch auch wenn der Abend nicht glei­cher­mas­sen aus­ser Rand und Band geriet wie an einem Poetry Slam in Berlin-Kreuzberg, ver­klang er doch mit einem gros­sen Schmunzeln im Gesicht. Die gute Stimmung unter­stütz­te nicht zuletzt der Austragungsort in der wun­der­schö­nen Remise. Dort gastiert im Dezember die tem­po­rä­re Buchhandlung «Dezember Bücher» mit einem inter­es­san­ten Konzept: 60 klei­ne­re Verlage ver­kau­fen jeweils zwölf frei aus­ge­wähl­te Publikationen. Die Auswahl ist unkon­ven­tio­nell und bie­tet vie­le poten­zi­el­le Lieblingsbücher, die man selbst ger­ne unter dem Weihnachtsbaum wie­der­fin­den wür­de.

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