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Ehrlich hilf­los, hilf­los ehr­lich

Zwei Theatergruppen aus zwei Städten – Hildesheim und Zürich – tre­ten an einem Abend im Theater der Künste auf. Sie bie­ten zwei völ­lig ver­schie­de­ne Vorstellungen und krei­sen the­ma­tisch doch um das­sel­be: Das Nichts, die Leere, viel­leicht um ein schwar­zes Loch.

Der Auftritt der Gruppe «James & Priscilla» aus Hildesheim beginnt mit dem Lied «End of A Century». So lau­tet auch der Titel der Produktion. Man kommt nicht dar­um her­um, die­sen Titel als Programm zu ver­ste­hen. Ein Jahrhundert geht zu Ende. Was folgt jetzt? Auf der Bühne, im neu­en Jahrhundert sozu­sa­gen, spie­len die zwei Frauen und Männer von «James & Priscilla» ein gutes Dutzend Lieder. Musikalisch reiht sich Chillout, Rock und expe­ri­men­tel­ler Rock anein­an­der. Um Musikkritik geht es hier aber nicht. Nur soviel: Das Konzert macht Spaß, ist aber doch nicht hin­rei­ßend. Was ist nun aber mit dem Theaterauftritt?

Alltägliches Liebesdrama

Man kann ohne wei­te­res aus prä­gnan­ten Musikzeilen der Lieder eine Art Botschaft her­lei­ten. «Ende des Jahrhunderts», «Ich möch­te eine klei­ne Seerose sein», «Mein Körper ist ein Käfig…» Zusammen genom­men wirkt das sto­isch-lei­dend, leicht abge­löscht und auch etwas emo (um einen sol­chen Ausdruck mal zu bemü­hen). Wenn aller­dings «James & Priscilla» die Lieder tat­säch­lich in Hinblick auf ihre Textwirkung aus­ge­wählt haben, war das der Mühe nicht wert. So auf­merk­sam folgt kein Publikum Liedtexten.

Da ist nun aber noch die Handlung, d.h. ein Dialog, der zusam­men mit den Liedern eine Geschichte erzählt – eine belang­lo­se Geschichte indes, ohne Anfang, ohne Ende, ein all­täg­li­ches Liebesdrama, wie es immer schon da war, da ist, da sein wird. Es ähnelt einer sehr bekann­ten Filmhandlung. Die eine Protagonistin fährt mit einer Straßenbahn nach Begierde, bzw. Sehnsucht. Allerdings kommt hier noch die Endstation Friedhof dazu, und eine Haltestelle Elysische Gefilde. Das war’s dann auch.

Die redu­zier­ten und ein­präg­sa­men Dialoge sowie die kon­zen­trier­te und schwer unter­kühl­te Aufführung hin­ter­las­sen ein Loch. Hat man was ver­passt? Hat man Anspielungen über­hört? Davon gibt es ja eine Unzahl. Soviele, dass man beschließt, von nun an simp­le Anspielungen als Jugendsünden zu taxie­ren, und raf­fi­nier­te erst recht. Wie auch immer, zurück bleibt die Hilflosigkeit der Figuren und des Zuschauers. Man wähnt sich in einem Jahrhundert und Zeitalter, in dem es nur noch Leere gibt und ein Nichts. Am Ende fragt man sich, ob man über­haupt noch lebt. So gese­hen ist das Stück «End of A Century» eine Wucht. Und es bie­tet einen glat­ten Übergang zur näch­sten Aufführung.

Neue Dringlichkeit

Das Stück mit dem unmög­li­chen Titel «Ich möch­te mir dir tan­zen in mir ein­ge­brann­tes Bild des Ägyptischen Revoluzzertums» ist das pure Gegenteil der ersten Aufführung. Die Zürcher Gruppe «neue Dringlichkeit (nD)» ver­an­stal­tet ein wah­res Tohuwabohu auf der Bühne. Körper, Musikfetzen, Bilder, Videos, Requisiten wir­beln über­all her­um. Unterschiedlichste Inszenierungstechniken wer­den zu einem Spektakel ver­bra­ten. Das geht vom Break-Dance bis zum Sprechchor. Und hin­ter all dem steckt auch wie­der nur die dop­pel­bö­di­ge Hilflosigkeit. Die Schauspieler tan­zen hilf­los um die dar­zu­stel­len­de Hilflosigkeit.

Was ist gesche­hen? In Ägypten ist eine Revolution aus­ge­bro­chen. Nicht hier, wo sich jun­ge Leute nach einer Veränderung, nach einem Umbruch, über­haupt nach irgend­ei­nem Geschehen seh­nen. Es ist im fer­nen Ägypten pas­siert, dem Inbegriff für den war­men, geheim­nis­vol­len uralten Orient. Sogleich wird auch die Revolution auf Tahrir-Platz zur Projektion. Es gibt nichts Schöneres als einen Volksaufstand unter Palmen. Ein ein­fa­cher Feind, alle hal­ten gegen ihn zusam­men und sie­gen. Während hier­zu­lan­de sich nir­gend­wo ein Hebel anset­zen lässt. Aus Verzweiflung wird man Vegetarier oder sogar Veganer und weiß doch genau, dass man damit nie­man­dem hilft.

Revolutionssehnsucht

Natürlich ent­larvt jeder schwach begab­te Psychologe die Revolutionssehnsucht in unse­ren Breitengraden als Neurose. Natürlich müs­sen die Ägypter dank­bar sein, wenn sie nach ihrer Revolution auch nur halb so vie­le Freiheiten und poli­ti­sche Rechte erhal­ten wie wir. Solche Einsichten jedoch stei­gern die Ohnmacht nur und las­sen einen eine noch stär­ke­re Dringlichkeit spü­ren, etwas zu tun. Was tun? Das wuss­te die Gruppe «neue Dringlichkeit (nD)» auch nicht, als sie die Versatzstücke ihrer Ausführung wähl­te.

Immerhin ist mit dem Arabischen Frühling die Stimmung gekippt. Es ist Hoffnung auf­ge­keimt, dass bald über­all ein Tahrir-Platz sein wird, von Tanger bis zu Tienanmen. Selbst die Theatergruppe «neue Dringlichkeit (nD)» wäre ohne den ara­bi­schen Frühling nicht ent­stan­den. Sie bringt unver­fälscht und ehr­lich die Befindlichkeit einer Generation auf die Bühne. Eine Pirouette zuviel stört dabei nie­man­den. Applaus.

Den bei­den Aufführungen von Hilde an der Sihl zusam­men ist es hoch anzu­rech­nen, dass sie ein Zeitgefühl in eine künst­le­ri­sche Form brin­gen. Dies, obwohl es an sich unmög­lich ist, der Leere eine Gestalt zu geben. Wenn sie dabei ab und zu Hilflosigkeit an den Tag legen, ist das nur ehr­lich.

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