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Maschinengesänge

«BEHRINGER: Sie schnau­ben, sag ich dir.
DAISY: Du bist ver­rückt, sie sin­gen.
BEHRINGER: Dann bist du ein­fach unmu­si­ka­lisch.
DAISY: Was ver­stehst du von Musik, mein armer
Freund. Und dann sieh doch nur, sie spie­len, sie tan­zen!»
Ionesco, «Die Nashörner»

Es gibt Kunst, die durch das wirkt, was sie sagt oder abbil­det; und es gibt Kunst, die durch das wirkt, was sie ist. Sie schafft eine neue Erlebnisweise, eine sen­si­bi­li­ty, wie Susan Sontag sagen wür­de. Sie wirft durch ihre schlich­te Präsenz, durch ihr So-und-nicht-anders-gemacht-sein, Fragen auf. Sagen wir in die­sem Fall, der Einfachheit hal­ber, Fragen über Maschinen und Information. Diese Fragen sind begriff­li­cher Natur; es ist in der Tat buch­stäb­lich ein «Digital Brainstorming» (so der Titel der Veranstaltungsreihe des Migros-Kulturprozent).

In dem mul­ti­me­dia­len Schauspiel «Hermes», das der Berliner Künstler Karl Heinz Jeron insze­niert und das man wohl auch irgend­wie als «Oper» bezeich­nen kann, geht es in vier Akten vor­geb­lich um die Themen Geheimnis, Sex, Schuld und Verrat – also um uns Menschen und das, was wir so tun. Tatsächlich besteht der Text des ein­zi­gen Librettos aus Fragmenten, die Jeron Handy-Telefonaten in öffent­li­chen Verkehrsmitteln abge­lauscht hat (wer öfter Zug fährt, weiss: die­se Telefonate allein bewei­sen, dass uns der rich­ti­ge Umgang mit mobi­ler Kommunikation noch fehlt und viel­leicht noch eini­ges mehr). Das Bühnenbild besteht aus frei zugäng­li­chen Grafiken aus dem Internet. Die Sänger aller­dings, die das Sample inti­mer, per­sön­li­cher Bekenntnissen vor­tra­gen, sind Roboter. Sie sind etwa einen hal­ben Meter hoch und bewe­gen sich mit­hil­fe klei­ner Rädchen. Sie haben Anzeigen, die blau leuch­ten. Begleitet wer­den sie von einem Chor aus ande­ren Robotern, die an einer Leine über ihnen hän­gen. Ihre Stimmen sind hoch und fein, fried­lich und den­noch selt­sam abwei­send; die Modulationsskala ist beein­druckend; die emo­tio­na­le Ausdrucksstärke ist natur­ge­mäss begrenzt.

Verfremdung

Der Kunstraum Walcheturm ist ein fru­ga­ler Saal mit nack­ten Wänden und hohen Decken; nur ein paar Trägerbalken aus Holz zie­hen sich durch das Weiss. Es ist dun­kel, auf dem Boden zit­tern die pro­ji­zier­ten Bilder. Das alles hat etwas sehr Andächtiges, als hät­te eine Ordensgemeinschaft sich hier ver­sam­melt, um kon­spi­ra­tiv die Botschaft der Maschinen zu emp­fan­gen. Doch es ist im eigent­li­chen Sinne kei­ne Botschaft; das Medium ist die Botschaft. Nachrichtentechnisch betrach­tet, ope­rie­ren die Gesänge der Maschinen an der Grenze zwi­schen Information und Rauschen. Die Worte kom­men, sind aber unend­lich fremd. Man könn­te mei­nen, sie kämen aus einer kal­ten, von Schaltkreisen regier­ten Zukunft, oder sogar aus Japan. Eine Verfremdung, von der Brecht sicher nicht mal zu träu­men wag­te.

Die Versuchung ist stark, Anthropomorphismen zu bemü­hen, um den Eindruck zu beschrei­ben, den die Roboter auf den Betrachter machen. Man ist ver­lei­tet, ihnen fast so etwas wie Weisheit oder Erleuchtung zu unter­stel­len, von so fern schei­nen sie auf das Sprechen her­ab­zu­blicken, das sie da wie­der­ge­ben (ihr Sound erin­nert ein wenig an das düster-beschwö­ren­de Titelstück aus Philipp Glass’ Filmmusik zu «Koyaanisquatsi»). Doch wir­ken sie auch selt­sam ver­lo­ren, als hät­te man sie aus einer Sprache aus­ge­sperrt, deren Laute sie zwar mehr oder weni­ger repro­du­zie­ren kön­nen, deren Tiefe ihnen jedoch für immer ver­schlos­sen blei­ben wird. Es mag lächer­lich sein, sich über die Befindlichkeiten von Robotern Gedanken zu machen. Doch in dem Moment, in dem eine Maschine eine eige­ne Stimme hat, ist sie weit mehr als nur ein Recorder – aus dem ein­fa­chen Grund, dass eine Stimme weit mehr ist als ein Speichermedium für wo auch immer her­rüh­ren­de Zeichen. Sie ist wesent­lich Ereignis, aku­sti­sche Materialität. Sie kommt zu uns aus einem noch unde­fi­nier­ten Raum.

Auslöschung der Schallquellen

Der Effekt, der dadurch ent­steht, ist ein Maximum an Distanz. «Und was vori­ges Jahr war, war auch bereits da. Es gab nur nicht genü­gend Beweise.» «Bin ich den Sex nicht wert oder was?» «Also ich habe das schon des Öfteren gese­hen, im Fernsehen kommt sowas auch.» Diese Sätze wir­ken schon in schrift­li­cher Form wie gehö­ri­ger Quatsch. Und jetzt den­ke den­ke man sich die qua­si-aus­ser­ir­di­schen Maschinenstimmen dazu. Wovon berich­ten sie? Man möch­te sagen, von gar nichts. Wessen Worte sind das? Und wen küm­mert es über­haupt, wer spricht? Das Informations-Recycling ver­nich­tet den Informationswert eben­so wie die Subjektwerte von Sendern und Empfängern. Schallquellen, that’s about it. Man schreit, man tele­fo­niert, man röchelt, man schweigt – ein exem­pla­ri­scher Lebenslauf unter dem Gesichtspunkt der Lautproduktion. Am Ende ist alles gesagt. Erde wird die Sprachlöcher fül­len.

Leise Ironie

Natürlich darf man bei aller Feierlichkeit kei­nes­falls die lei­se Ironie, das Spielerische und Ungerichtete ver­ges­sen, ohne die das Treiben von Jeron und sei­nen «will­fäh­ri­gen Gesellen» sicher einen viel Charme ver­lie­ren wür­de. Jeron beteu­ert im ein­lei­ten­den Vortrag (und belegt es anhand von Videobeispielen), es gehe ihm im Grunde nicht um Musik, son­dern um Klangwelten; um die Töne, die sich aus den Dingen unse­rer Umgebung gewin­nen las­sen, wenn man sie – buch­stäb­lich – unter Strom setzt. (Übrigens, dar­an sei an die­ser Stelle erin­nert, war vor kur­zem der hun­dert­ste Geburtstag von John Cage). Eine merk­wür­di­ge Art, durch die Welt zu gehen, gewiss. Und wenn man für einen Augenblick ver­gisst, dass man sich hier im Kontext der Kunst befin­det, wo alles erlaubt ist, bekommt das Ganze tat­säch­lich etwas Absurdes. Im Übrigen jedoch gehe ich davon aus, dass man über die oben ange­deu­te­ten Ideen schon bald aus ande­ren Gründen lachen wird (spä­te­stens Ende der 2020er, wenn nach dem Wegfall der Subventionen und gegen den erbit­ter­ten Widerstand der Künstlergewerkschaften die Beschäftigung von Robotersängern an den euro­päi­schen Opernhäusern zum Normalfall gewor­den ist).

Im Allgemeinen sind wir stolz auf unse­re Stimmen, viel­leicht sogar auf unse­re Worte. Doch schon die har­ten, aber letzt­lich noch über­schau­ba­ren Abweichungen der Maschinengesänge las­sen uns zwei­feln, was unse­re Stimmen wert sind, wenn man ihnen von einem ande­ren, sich noch in Hörweite befind­li­chen Punkt aus lauscht. Hermes ist der Schutzgott der Redekunst, und er ist auch der Bote zwi­schen dem Reich der Menschen und dem Olymp, dem Sitz der Götter. Aber wel­chem Olymp?

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