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Jenseits von Papageno

Der Kunstraum Bellerive, der die Gruppenausstellung fowling/Vogelfang beher­bergt, hat eher Katakombencharakter. Man betritt ihn durch den Nebeneingang einer herr­schaft­li­chen Villa und ist froh über die ersten Vogelskulpturen, an denen man merkt, dass man sich nicht ver­lau­fen hat. Innen macht alles einen sehr impro­vi­sier­ten Eindruck, und die Verteilung der Werke auf die ein­zel­nen Kellerräume erscheint ein wenig will­kür­lich. Die all­ge­mei­ne Lockerheit wirkt zunächst sym­pa­thisch (alter­na­tiv und so), aber wäh­rend man die ver­schie­de­nen Grafiken, Videos und Installationen betrach­tet, wünscht man sich nach und nach doch etwas mehr Ordnung, um nicht sagen etwas mehr Respekt vor dem Werk. (Ist es spies­sig, wenn man in einer Ausstellung kei­ne Hunde antref­fen möch­te – kei­ne Exponate, son­dern Besuchshunde? Oder der Meinung ist, dass man in stark hal­len­den Räumen bes­ser den Mund hal­ten soll­te, aus­ser man hat etwas wirk­lich, wirk­lich Geistreiches anzu­bie­ten? Das kann man aber natür­lich nur teil­wei­se den Organisatoren anla­sten, es fällt genau­so ins Register Zuschauerkritik.)

Das Fangen von Vögeln erweist sich indes­sen als erstaun­lich ergie­bi­ges Thema. Es scheint zwar auto­ma­tisch ein Aufeinanderprallen von Tier und Mensch, Technik und Natur zu impli­zie­ren, auf jeden Fall nicht gera­de eine glück­li­che Symbiose. Doch es lässt eine gros­se Bandbreite zu – ver­mut­lich, weil die Konnotationen von Vögeln sehr unter­schied­li­che Sichtweisen evo­zie­ren kön­nen (man braucht hier­für nur das Gedankenexperiment zu machen, was einem bei dem Wort Lerche ein­fällt, was bei dem Wort Taube und was bei dem Wort Geier). Manche der aus­ge­stell­ten Werke sind eher direkt, ande­re befremd­lich, man­che sind bei­des. Einige wagen es sogar, schlicht­weg die Schönheit der Tiere in den Vordergrund zu stel­len.

Abwesenheiten und Angriffe

Sie sind aber natür­lich in der Minderheit. Ebenso ist die kon­trä­re Position ver­tre­ten, näm­lich die Abwesenheit der Vögel über­haupt. Die rea­dy-made-Ästhetik der Installation von Ewa Pilakowski etwa (Metallgerippe, Antennen) ver­brei­tet einen dump­fen, grau­en Geschmack von ent­zau­ber­ter Zivilisation: Vielleicht fängt man etwas mit die­sem Zeug, aber wenn nicht… Ähnlich eine ande­re Skulptur, die zwar «rock ‘n’ roll» beti­telt ist, aber aus unver­ar­bei­te­tem Holz, Stein und Stacheldraht besteht und dem Betrachter zuzu­flü­stern scheint: Wenn du sie haben willst, baue erst­mal einen Käfig!

Anders als die­se trotz allem recht bra­ven Exponate fin­det man jedoch auch Werke, die die Zerstörung the­ma­ti­sie­ren, oder viel­mehr: selbst Zerstörungen voll­zie­hen, also gewis­ser­mas­sen Zerstörungen sind. Das Werk «Mutter Amerika» etwa brei­tet auf einer Holztafel eine schril­le Verwüstung aus Farbe, Glassplittern und geschmol­ze­nem Plastik aus; man kann hier, wenn man es dar­auf anlegt, noch die zer­fled­der­ten Reste eines Vogels erken­nen, doch tat­säch­lich gewinnt das Material der­ar­tig die Oberhand, dass das Figürliche nur noch als vage Erinnerung nach­hallt. Einen ähn­li­chen, wenn auch etwas mil­de­ren Effekt ver­mit­telt das Werk der Künstlergruppe U5, wo ein zer­matsch­tes Küken eine in Gold ein­ge­rahm­te ame­ri­ka­ni­sche Flagge zu zer­tei­len scheint (das ist zwar wit­zig, aber nur auf den ersten Blick).

Anthropomorphismen, Technomorphismen

Eine ande­re Herangehensweise offen­ba­ren die Collagen der Amerikanerin Whitney Sparks, wo die Vögel, die im Winter nach Süden zie­hen, über­lappt wer­den mit Karten über mensch­li­che Migrationsbewegungen, Darstellungen frem­der indi­ge­ner Völker und moder­ner Flugzeugtechnologie. Der Mensch wird ein­ge­mein­det in den migrie­ren­den Teil der Natur. «Und was fängst du nun an? Wie willst du leben? – Wie Vögel, Mutter» (Macbeth, Akt IV). Als hät­ten wir noch die Wahl. Der Vogelfang, die Zivilisierung, erscheint hier plötz­lich als Rückkoppelung, die auf die Lebensweise des Menschen selbst ver­weist. Und zwar mit einer gewis­sen Raffinesse, die ande­ren Positionen, bei denen Menschen zu Vögeln gemacht wer­den, manch­mal abgeht.

Es darf, wie immer in der Kunst, ein­fach nicht zu gewollt erschei­nen. Genau das ist das Beeindruckende an dem Bild «Ornitholokalypse» von Ekin Senan: Man hat nicht das Gefühl, es wol­le einem irgend­ei­ne Botschaft ver­mit­teln. Die Grafik zeigt ein Wirrwarr von Vögeln in unter­schied­li­chen Stadien ihrer Zerlegung; doch trotz der unru­hi­gen, dyna­mi­schen Komposition wirkt nichts dar­an auf­dring­lich. Es han­delt sich nicht um eine orgia­sti­sche Zerstörung; viel­mehr erkennt man bei nähe­rem Hinsehen in den Zergliederungen ein Zerfliessen von Natur und Technik (Cyborgvögel, sozu­sa­gen), sodass die orga­ni­schen Formen in die Ästhetik von Bauplänen und Konstruktionszeichnungen über­ge­hen. Sicher, chao­ti­sche, ver­stö­ren­de Phantasien, die jedoch mit einer knall­har­ten natu­ra­li­sti­schen Präzision umge­setzt wer­den, die an den Surrealismus erin­nert. Warum wirkt die­se Art der Auseinandersetzung so viel stär­ker? Vermutlich, weil die Zerstörung hier frei von Affekten und Ressentiments erscheint; anders gesagt, sie ist bei aller Raserei von gros­ser Zielstrebigkeit. Man erkennt die Ideen, doch man merkt auch in aller Deutlichkeit, dass ein Kunstwerk nicht nur aus Ideen besteht, son­dern sei­ne eige­ne Wirklichkeit schafft. Und in Erinnerung bleibt.

Draussen wur­de es inzwi­schen dun­kel. Die Vögel am See zwit­scher­ten, als wäre nichts gesche­hen.

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