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Eine Frage der Schuld?

«Am Anfang ist’s ein biss­chen holp­rig – das muss so sein.» Ob aller Anfang tat­säch­lich schwer sein muss, dar­über lässt sich strei­ten. Doch dass Gabriel Vetter sei­nen holp­ri­gen Start the­ma­ti­siert, nimmt den Kritikern (fast) den Wind aus den Segeln. Mit viel Charme stellt der mehr­fa­che Poetry-Slam-Champion vom ersten Augenblick an eine Verbindung zum Publikum her, die er nicht mehr ver­liert.

«S’Grosi ver­särb­lets»

Der Leitfaden von Vetters Solo-Programm ist sein Grosi, das er auch gleich meh­re­re Bühnen-Tode ster­ben lässt. Die alte Dame mit dem trocke­nen schwar­zen Humor ist der Ausgangspunkt sei­ner viel­fäl­ti­gen Darbietungen. Sie ermög­licht es ihm, die unter­schied­lich­sten Themen auf­zu­grei­fen, ohne den roten Faden ganz zu ver­lie­ren. Er refe­riert über typisch bür­ger­li­che und typisch schwei­ze­ri­sche Diskussionspunkte, phi­lo­so­phiert über sein Bücherregal und wes­halb er selbst kei­ne Bücher schreibt, oder singt laut­stark über den Klassenclown aus frü­he­ren Tagen. Die unter­schied­li­chen Intonationen und Tempi, sowie die Wortakrobatik zie­hen den Zuhörer in Bann. Doch sein Programm ist mehr als Slam Poetry. Er springt hin und her zwi­schen Literaturvorlesung, Politsatire und poe­ti­schen Oden. In sei­nen Texten fühlt sich der St. Galler siche­rer als im frei­en Umgang mit dem Publikum. Er über­rascht mit uner­war­te­ten Wortspielen und über­ra­schen­den Fragen, immer illu­striert mit krea­ti­ven Fallbeispielen.  Die Lacher sind ihm «Im Hochhaus», der Kleinkunstbühne des Migros-Kulturprozent,  von Anfang an garan­tiert.

Ein schwar­zes Ende

Je wei­ter fort­ge­schrit­ten die Vorstellung ist, desto mehr gewinnt sie an Qualität, gewinnt Gabriel Vetter an Selbstbewusstsein und Schwung. Das Tempo erhöht sich, wenn er über den «men­ta­len Apartheids-Äquator» zwi­schen den Migros- und Coop-Kindern spricht und immer neue, tref­fen­de Beobachtungen zum mensch­li­chen Alltag anstellt. Doch nicht nur sei­ne Fragen sind uner­war­tet, eben­so das selbst­re­fe­ren­zi­el­le Ende. Gabriel Vetter wird immer zyni­scher und tief schwarz in der Themenwahl.  Die Vorstellung gip­felt in phi­lo­so­phi­schen Fragen, die hart an der Grenze zum guten Ton sind – oder sogar ein biss­chen drü­ber. Mit die­ser Gratwanderung spielt der Künstler wäh­rend des gan­zen Programms, zu Beginn nur sub­til. Zum Schluss jedoch treibt er es auf die Spitze und lässt den Zuschauer pein­lich berührt in den Rängen sit­zen. Gabriel Vetter schockiert, stellt unan­ge­neh­me Fragen: Soll man nun wei­nen oder lachen? Wer ist Schuld? Ist Menschsein heil­bar? Und trotz aller Ernsthaftigkeit sei­ner abschlies­sen­den Fragen schafft er es, den Zuhörer mit einem guten Gefühl und einem Lachen aus dem Saal zu ent­las­sen.

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