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Feministische Problem-Collage

Es sind die ewig glei­chen Fragen: «Warum ver­die­nen die Frauen in Europa im Schnitt 20 Prozent weni­ger als die Männer?» Und im Kontrast zu die­ser Himmel schrei­en­den Ungerechtigkeit: «Warum will ich mich nicht Feministin nen­nen?» Schauspielerin und Regisseurin Katarina Schröter hat all die­se Fragen eigent­lich satt (wie so man­che Frau, die Kritikerin ein­ge­schlos­sen). Trotzdem beschäf­ti­gen die­se Fragen. Schröters Regie-Debüt am Theater am Neumarkt ist nun die Initialzündung zum poli­ti­schen Aktivismus. Die genau­en Forderungen der vier­ten Welle der Frauenbewegung sind in Arbeit, dem Findungsprozess kann man in der klei­nen Dépendance an der Chorgasse live bei­woh­nen.

Hier wer­den Meinungs- und Geschichtsfetzen zur Collage zusam­men­ge­klebt. Zu Beginn tritt eine Marxistin auf und for­dert Gleichheit, das Schlagwort der ersten Welle der Frauenbewegung: Gleichheit bei der Arbeit, bei den poli­ti­schen Rechten, der Bildung. Heute alles erreicht, und irgend­wie eben doch nicht.

Das weiss Schröter bestens: Ihre Mutter, Feministin der zwei­ten Welle, orga­ni­sier­te in den 70er-Jahren femi­ni­sti­sche Podien «in einer bay­ri­schen Kleinstadt!». Das muss Schröters Bruder so ent­setzt haben, dass er eine Gegenbewegung ins Leben rief, die nun namens­ge­bend ist für ihr Stück: «Feminismus ja, aber rhyth­misch».

Zum Rhythmus

In die­ser Frauenbewegung geben zwei Männer den Ton an. Daniel Lerch und Markus Kubesch unter­le­gen (und über­tö­nen) die Fragen, Debatten und Thesen. Auch die Schauspielerinnen neh­men immer wie­der die Instrumente zur Hand, die Songs sor­gen für Luft im dich­ten Fragen-Konstrukt. Rrrrt-Girl-Grove (Amerikas Dritte-Welle-Feminismus) kommt aber kaum auf. Die Songauswahl bleibt über wei­te Strecken undurch­sich­tig, zusam­men­hangs­los.

Ausser dann, wenn Porno-Rapperin Lady Bitch Ray (Franziska Wulf) die Bühne stürmt, um ihren Sex-Rap ins Publikum zu schleu­dern. Sie macht noch­mals die um ihre wil­de 68er-Zeit trau­ern­de TV-Kommissarin Michaela May (Katarina Schröter) fer­tig, wie in jener deut­schen TV-Talksendung 2007. Auch die Auseinandersetzung zwi­schen Skandalautorin Charlotte Roche (wie­der Wulf) und Alice Schwarzer (Tabea Bettin) muss­te für das Stück nicht neu erfun­den wer­den. Die Schauspielerinnen las­sen die­se ohne­hin extre­men Persönlichkeiten in über­zeich­ne­ter Art und Weise auf­ein­an­der­pral­len. Pussys tref­fen auf Parteiprogramme, Selbstbefriedigung auf Selbstbestimmung – wie die Realität ist die Theater-Collage schrill und dif­fe­ren­ziert bis zur Unübersichtlichkeit.

Schröters femi­ni­sti­sche Mutter und ihr Rhythmus for­dern­der Bruder tau­chen auf dem Video-Screen auf. Sie amü­sie­ren sich bei einem Rollentausch. Sie spricht, als wäre sie der Sohn und der Sohn imi­tiert die Mutter. Ein lie­be­vol­les und auch ent­lar­ven­des Augenzwinkern auf dem Geschlechter-Schlachtfeld.

Die stärk­sten Momente bezieht das Stück aus Videosequenzen (Elvira Isenring) mit ech­ten Frauen, die sich (Frauen-)Fragen zu ihrem Leben stel­len. Forderungen zu Familie, Karriere und Lohnverhandlungen wer­den laut.

Bitte nicht ent­schul­di­gen, bluf­fen!

Der gröss­te Stolperstein für das Stück ist aus­ge­rech­net ein weit ver­brei­te­tes Frauenproblem: Understatement. Die Gewehrsalven an Fragen hol­pern, strau­cheln, sit­zen nicht. Die Frauen ver­pas­sen Einsätze, Unsicherheit nistet sich in der geball­ten Frauenpower ein – obwohl das Textbuch immer zur Hand ist.

Schröters These zum Schluss lei­tet sie mit der Entschuldigung ein, dass die Zeit kaum gereicht hät­te. Wo zuvor die Frauen-Metal-Stimme die Gitarre über­dröhn­te, wird sie nun von der Musik ver­schluckt. Das soll­te beim Schritt auf die poli­ti­sche Bühne nicht pas­sie­ren. Im Zweifelsfall lie­ber angrei­fen und sagen: Wir wol­len jetzt ein­fach gleich viel Lohn, ver­dammt!

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